2026: den Kom­pass neu aus­richten

30. Dezember 2025

Nicht selten pochen Jahresausblicke auf notwendige Weichenstellungen in eine bessere Zukunft. Die derzeitige Verfasstheit der Welt untermauert die Dringlichkeit aber in besonderem Maße. Auch Österreich kämpft aktuell mit vielen Herausforderungen: steigende Arbeitslosigkeit, galoppierende Teuerung, sinkende Produktivität und ein großes Budgetdefizit. Zwar zählt Österreich noch immer zu den besten Sozialstaaten und den attraktivsten Wirtschaftsstandorten der Welt, das Erfolgsmodell bröckelt allerdings spürbar. Es ist also höchste Zeit, den Kompass neu auszurichten. 

2025: mehr Krisenverwaltung als Gestaltung 

Die heimische Wirtschaftspolitik stand 2025 im Zeichen der Schadensbegrenzung. Die neue Regierung war vor allem damit beschäftigt, den fiskalischen Scherbenhaufen der Vorgängerkoalitionen zusammenzukehren und die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte zu stoppen. Dabei bewies die Koalition aus weltanschaulich weit entfernten Parteien viel Tatendrang und Pragmatismus zur Umsetzung zahlreicher positiver Maßnahmen, von der Erhöhung der Bankenabgabe bis zur Hitzeschutz-Verordnung. Gleichzeitig blieb die Regierung als Krisenfeuerwehr in zentralen sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen hinter den drängenden Anforderungen der Realität zurück. 2026 muss der Sprung von der Krisenverwaltung zur Zukunftsgestaltung gelingen: hin zu einer wohlstandszentrierten, sozial gerechten, ökologisch nachhaltigen und demokratiestärkenden Wirtschaftspolitik. 

© A&W Blog


Ein nachhaltiges Wohlstandsmodell entwickeln 

Das über Jahrzehnte dominierende exportorientierte Wachstumsmodell gerät vermehrt an seine Grenzen. Österreich ist – wie viele andere EU-Länder – stark abhängig von globalen Wertschöpfungsketten und zunehmend fragilen Absatzmärkten. Doch die Karten in der internationalen Wirtschaftsordnung werden gerade neu gemischt und langwährende Handelsbeziehungen wackeln. Die geopolitischen Krisen der letzten Jahre und der Einsatz von Zöllen als politisches Druckmittel haben gezeigt, wie verwundbar das exportorientierte Modell ist. Die heimischen Ausfuhren in die USA zum Beispiel sind im Zeitraum Jänner bis September 2025 um fast ein Viertel eingebrochen. 

Ein zukunftsfähiges Wohlstandsmodell muss breiter aufgestellt sein: weniger abhängig von Exportüberschüssen, die auch zu gefährlichen globalen Ungleichgewichten beitragen, und stärker getragen von stabiler (EU-)Binnennachfrage, Innovation und Nachhaltigkeit. Der Fokus auf preisliche Wettbewerbsfähigkeit durch Druck auf Löhne, Arbeits- und Umweltstandards gefährdet den Wohlstand mehr, als er ihn steigert. Stattdessen braucht es eine Rückbesinnung auf alte Stärken der österreichischen Wirtschaft wie exzellente Produktqualität, gut ausgebildete Arbeitskräfte und hohe Produktivität. Die mit Spannung für Anfang 2026 erwartete Industriestrategie muss die Eckpfeiler für eine Neuorientierung bieten. 

Besonders wichtig wird es sein, das Wohlstandsmodell auf Vollbeschäftigung und gesunde Arbeitszeiten auszurichten. Der österreichische Wohlstand beruhte lange Zeit auf stabiler Beschäftigung und hohen Löhnen, die sich in starker Konsumnachfrage und einem soliden Budget spiegelten. In Zeiten der Vollbeschäftigung konnten Ungleichheiten reduziert und auch jene Menschen in bezahlte Arbeit gebracht werden, die oft davon ausgeschlossen werden. Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen ist eine Beschäftigungs- und Wohlstandsorientierung der Wirtschaftspolitik besonders wichtig. 

Wachstum neu denken 

Nach der längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte ist die Orientierung auf ein erhofftes, rasch steigendes Wirtschaftswachstum verständlich. Ein Anstieg der Wertschöpfung ist zentral für eine positive Entwicklung von Beschäftigung, Einkommen und öffentlichen Finanzen. Doch Wachstum um jeden Preis und ohne Ziel darf nicht das leitende Motiv moderner Wirtschaftspolitik sein. Für ein nachhaltiges Wohlstandsmodell ist es notwendig, den sozialen und ökologischen Umbau als Wachstumsmotor anzutreiben und klimaschädlichem Wachstum mit hohen Folgekosten einen regulatorischen Riegel vorzuschieben. Entscheidend ist nicht ob, sondern wo und wie gewachsen wird

Auch in einer Phase konjunktureller Schwäche muss Wirtschaftspolitik aktiv definieren, in welchen Bereichen Wachstum gesellschaftlich notwendig und erwünscht ist. Dazu zählen insbesondere Pflege, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, der ökologische Umbau sowie gesellschaftlich wertvolle Zukunftstechnologien. Investitionen in diesen Bereichen beleben nicht nur die Konjunktur, sondern schaffen langfristigen Wohlstand für zukünftige Generationen. Wachstum wird so zum Mittel für gesellschaftlichen Fortschritt – nicht zum Selbstzweck. 

Ungleichheiten abbauen 

Große Ungleichheit ist ein Bremsklotz für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. In Österreich gilt das vor allem für die Vermögensungleichheit, denn nirgendwo in Europa ist die Vermögenskonzentration höher als hierzulande. Gleichzeitig gibt es kaum ein Land, in dem Vermögen so wenig zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen. Das tritt in der aktuellen Budgetkonsolidierung wieder schmerzhaft zutage, denn diese erfolgt überwiegend über Ausgabenkürzungen – häufig in Bereichen mit unmittelbaren sozialen Auswirkungen. Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur ist hier klar: Konsolidierungen über Ausgabenkürzungen haben stärkere negative Effekte auf Beschäftigung, Wertschöpfung und Ungleichheit als einnahmenseitige Maßnahmen. 

Wenn 2026 ein Jahr der Weichenstellung sein soll, muss endlich ein fairer Beitrag von den großen Vermögen in den Staatshaushalt fließen. Das ist nicht nur eine Frage der fiskalischen Vernunft, sondern der sozialen Gerechtigkeit. Die beschlossene Erhöhung der Bankenabgabe, ein höherer Steuersatz für Privatstiftungen und Maßnahmen gegen Steuerbetrug sind positiv zu sehen, der nächste Schritt muss jetzt eine Abgabe auf hohe Erbschaften sein. Das empfehlen nicht nur die Wissenschaft, internationale Institutionen und die Zivilgesellschaft, sondern auch zahlreiche Vermögende. Selbst wenn die besonders Begünstigten der Geburtslotterie nur einen Teil der Vermögenszuflüsse für die Allgemeinheit abgeben, käme ein Steueraufkommen in Milliardenhöhe etwa für den nötigen Ausbau der Pflege zusammen. 

Großes Potenzial für mehr Gerechtigkeit gibt es auch zwischen den Geschlechtern. Frauen verdienen in Österreich immer noch fast ein Fünftel weniger als Männer, einer der schlechtesten Werte im EU-Vergleich. Gleichzeitig übernehmen Frauen und Mädchen viel mehr unbezahlte Haus- und Sorgearbeit. 2025 kam noch verschlimmernd dazu, dass erstmals seit Jahren die Arbeitslosigkeit von Frauen schneller gewachsen ist als jene bei den Männern. Zum notwendigen großen Wurf gegen die Ungleichheit gehören auch eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit und geschlechterspezifische Arbeitsmarktmaßnahmen. 

Ökologischen Umbau beschleunigen 

Auch 2025 wird als eines der heißesten Jahre der Geschichte in die Statistik eingehen. Die volkswirtschaftlichen Schäden der Klimakrise durch zerstörte Infrastruktur steigen in den letzten Jahren dramatisch an, zwischen 1980 und 2024 betrugen sie europaweit mehr als 800 Milliarden Euro. Währenddessen zögert die Politik, relativiert oder nimmt bereits beschlossene Maßnahmen wieder zurück. Die Abschwächung der Klimaziele oder der Zickzack-Kurs beim Verbrenner-Aus: Das untergräbt Planungssicherheit für Unternehmen und verstärkt gleichzeitig die Verunsicherung der Bevölkerung. 

Ein glaubwürdiger ökologischer Umbau braucht Verlässlichkeit, langfristige Zielpfade und den politischen Mut, kurzfristige Widerstände aus der fossilen Industrie zu überwinden. Klimapolitik ist kein Luxus, sondern Verlustbegrenzung. Jeder Euro, der in den ökologischen Umbau investiert wird, spart künftige Schäden. Wer Klimaziele aufweicht, entscheidet sich damit nicht für Sparsamkeit, sondern für eine gigantische Hypothek zukünftiger Generationen. 

Sozial-Ausbau statt Militär-Aufbau 

Es gab kein Jahr in der aufgezeichneten Geschichte ohne eine kriegerische Auseinandersetzung auf unserem Planeten. Und doch gab es deutlich friedlichere Phasen in der jüngeren Vergangenheit als derzeit, wo das globale Konfliktpotenzial sehr hoch ist und Kampfhandlungen nach 30 Jahren wieder in Europa toben. 2026 wird die Wirtschaftspolitik somit auch stark von sicherheitspolitischen Erwägungen getrieben sein. In der öffentlichen Debatte gibt es zwar keine eindeutige Einschätzung zur tatsächlichen militärischen Bedrohungslage für Österreich, dennoch wurde das Verteidigungsbudget für 2026 deutlich aufgestockt. Auch auf EU-Ebene sind die Weichen für eine starke Aufrüstung bereits gestellt, insgesamt sollen 800 Milliarden Euro im Rahmen von „ReArm Europe“ in die Rüstungsindustrie fließen. 

Der Aufrüstungsdiskurs ist derzeit kaum zu bremsen. Das Minimalziel ist, dass er nicht auf Kosten der nötigen Ausgaben für soziale Sicherheit geht. Auf EU-Ebene wurde mit „ReArm Europe“ erneut bewiesen, dass für manche Initiativen rasch ungeahnte finanzielle Spielräume geschaffen werden, wohingegen etwa für Armutsbekämpfung noch nie so freigiebig agiert wurde. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung wird also sein, die soziale Sicherheit nicht der militärischen Sicherheit zu opfern. Falls überhaupt notwendig, gibt es hier auch ein ökonomisches Argument: Der Fiskalmultiplikator, also der Effekt von Staatsausgaben auf das BIP, liegt bei Militärausgaben in Deutschland bei maximal 0,5, während Investitionen in Infrastruktur oder Bildung einen zwei- bis dreimal höheren Multiplikator aufweisen. 

Vertrauen in Demokratie zurückgewinnen 

Nicht zuletzt müssen 2026 auch die Weichen für die Zukunft der Demokratie gestellt werden. Der jüngste Demokratiemonitor fiel ernüchternd aus: Nur noch 35 Prozent der Menschen in Österreich finden, dass das politische System gut funktioniert, im unteren ökonomischen Drittel sind es sogar nur 19 Prozent. Immer mehr Menschen fühlen sich politisch nicht repräsentiert und ziehen sich aus demokratischen Entscheidungsprozessen zurück. Gleichzeitig wächst der Einfluss großer Vermögen auf politische Entscheidungen – sei es durch Lobbying, Medienmacht oder direkte politische Interventionen

Dieses Ungleichgewicht gefährdet die demokratische Substanz unserer Gesellschaft. Vertrauen kann nur dann zurückgewonnen werden, wenn Wirtschaftspolitik wieder sichtbar an den Interessen der breiten Mehrheit anknüpft und die Partikularinteressen einiger Reicher hintanstellt. Die wahrscheinlich nächste große Bewährungsprobe für diese Regierung wird die Budgetdebatte, wo die Politik beweisen kann, dass das Gemeinwohl oberste Priorität hat. Denn nur so bewahren wir unsere Demokratie davor, zum Spielball für Rechtspopulisten und Überreiche zu werden. 

2026 muss daher mehr sein als ein weiteres Jahr der Krisenverwaltung. Es muss der Beginn eines wirtschaftspolitischen Neuanfangs sein – sozial gerecht, ökologisch nachhaltig und demokratisch verankert. 

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung