Konjunkturprognosen liefern eine wichtige Entscheidungsgrundlage für zukünftiges Handeln: Für die Sozialpartner sind sie zentral für Lohnverhandlungen, für die Bundesregierung liefern sie eine Grundlage für eine seriöse Budgetplanung. Die weltweite Verflechtung der Wirtschaft und ihre häufigen Krisen machen Prognosen zunehmend schwieriger. Diese Unsicherheiten müssen künftig klarer kommuniziert werden, der inhaltliche Fokus muss auf einer breiteren Wohlstandsorientierung liegen.
Die trügerische Genauigkeit der Konjunkturprognosen
Es gibt eine Vielzahl an nationalen und internationalen Institutionen, die regelmäßig Wirtschaftsprognosen für Österreich erstellen. Aus Sicht der Sozialpartner und der Bundesregierung kommt dem Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) jedoch eine Schlüsselrolle zu: Seine Konjunkturprognosen bilden die Basis für die österreichische Budgetplanung und fließen in die Lohnverhandlungen der Sozialpartner ein. Sie liefern viermal jährlich nicht nur Zahlen, sondern lösen oftmals auch wirtschaftspolitische Diskussionen aus.
Alle Prognoseinstitute liefern Einschätzungen zur zukünftigen Entwicklung vieler Bereiche, die weit über das Wirtschaftswachstum hinausgehen. Dazu gehören etwa Inflation, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, Emissionen, Einkommensungleichheit und Armutsgefährdung. All diese Indikatoren zusammen ergeben ein Gesamtbild eines breit definierten Wohlstands, der das eigentlich relevante Ziel unserer Gesellschaft sein sollte. In der öffentlichen Berichterstattung liegt der Fokus jedoch meist einseitig auf dem Wirtschaftswachstum bzw. dem Bruttoinlandsprodukt.
Konjunkturprognosen stützen sich auf unterschiedliche Statistiken und vorläufige Schätzungen, erfordern aber auch Annahmen und notwendige Vereinfachungen. Aus all diesen Puzzleteilen entsteht ein Gesamtbild der wirtschaftlichen Entwicklung auf Basis der bis zur jeweiligen Prognose verfügbaren Informationen. Damit wird implizit vorausgesetzt, dass sich die Zukunft aus der Vergangenheit fortschreiben lässt. In Zeiten großer Umbrüche ist diese Grundlage aber besonders wackelig. Zudem werden viele Daten – auch noch Jahre im Nachhinein – regelmäßig revidiert. Dadurch können sich Statistiken der Vergangenheit noch nachträglich ändern. Hinter jeder trügerisch präzisen Zahl verbirgt sich daher ein beträchtliches Maß an Ungewissheit.
Die politische Macht der Zahlen
Diese in Zahlen gegossenen Prognosen beeinflussen Erwartungen, dienen als Grundlage für Verhandlungen und legitimieren politische Entscheidungen. Optimistische Prognosen fördern die Zuversicht unter wirtschaftlichen Akteur:innen, beflügeln ihre Investitions- und Konsumentscheidungen. Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass Prognosen fundiert sind und nicht systematisch zu optimistisch oder zu pessimistisch sind. Gemessen wird die Qualität der Prognosen also auch anhand der Realität, die sie versuchen vorherzusagen.
Schon geringste Abweichungen bei zentralen Referenzgrößen wie dem Bruttoinlandsprodukt können Budgetlücken im Staatshaushalt verursachen oder verringern und zugleich die Grundlage für Lohnabschlüsse verändern. Besonders deutlich zeigte sich das bei der Herbstlohnrunde 2023: Damals wurde ein wirtschaftlicher Aufschwung von +1,2 Prozent für 2024 prognostiziert und damit Zuversicht bei den Verhandlungspartnern verbreitet. Zwei Jahre und mehrere Prognosen und Revisionen später ist das Bild ein völlig anderes: Statt eines Aufschwunges folgte eine Rezession von -0,7 Prozent. Auch für die öffentliche Hand haben solche Fehleinschätzungen spürbare Folgen: Bleibt das Wachstum hinter den Erwartungen zurück, entstehen Milliardenlücken im Budget, geplante Maßnahmen müssen verschoben, gestoppt oder neu priorisiert werden.
Die Grenzen ökonomischer Prognosen
Prognosen stoßen trotz großer Datenmengen und komplexer Modelle an Grenzen. Unerwartete Ereignisse wie Kriege, Handelskonflikte oder Energiekrisen durchbrechen die Muster, auf denen Berechnungen beruhen. Außerdem basieren frühe Schätzungen oft auf unvollständigen Daten und müssen später korrigiert werden – das macht die Einschätzung der ursprünglichen Prognosen noch schwieriger. Besonders Krisen oder plötzliche Wendepunkte sind kaum vorhersehbar.
Manche Risiken kann man berechnen – andere nicht. Schon der Ökonom Frank Knight unterschied 1921 zwischen Risiken, die man grob einschätzen kann („known unknowns“) und Ereignissen, die völlig überraschend auftreten und nicht vorhersehbar sind („unkown unknowns“). In Zeiten vieler gleichzeitiger Krisen gelten diese radikalen unvorhersehbaren Unsicherheiten besonders stark. Deshalb sind exakte Vorhersagen fast unmöglich. Trotzdem braucht die Politik Prognosen – nicht als perfektes Bild der Zukunft, sondern als Orientierung für wichtige Entscheidungen.
Wie werden Prognosen zukunftstauglich?
Der Ökonom Kurt Rothschild bringt die Zweischneidigkeit von Konjunkturprognosen auf den Punkt: Sie sind „unmöglich und unentbehrlich“. Einerseits sind sie Bauchgefühlen bei Weitem überlegen und liefern Orientierung für die unsichere Zukunft. Andererseits basieren sie auf Annahmen, stützen sich stark auf die Entwicklungen der Vergangenheit und abrupte Wendungen bringen die Prognosemodelle oftmals an ihre Grenzen. Die nüchternen Zahlen vermitteln eine trügerische Exaktheit und die damit verbundenen Prognoserisiken gehen in der Kommunikation meist unter.
Wir schlagen vier Punkte vor, die die Grundlagen für Konjunkturprognosen verbessern, breiter aufstellen und ihre Einordnung in ein anderes Licht rücken:
- Bewertung neu denken: In den Prognoseunterlagen werden zwar immer auch mögliche Risiken nach oben und unten berücksichtigt, doch in der öffentlichen Diskussion geraten diese oft in den Hintergrund. Wichtig ist: Unsicherheiten gehören dazu und müssen im Gesamtzusammenhang betrachtet werden.
- Krisenindikatoren beobachten: Durch systematische Beobachtung von Warnsignalen in Finanz- und Gütermärkten lassen sich etwaige Verwundbarkeiten frühzeitig aufspüren. Sie könnten eine wichtige Ergänzung zur Kommunikation bestehender Unsicherheiten sein.
- Datenbasis stärken: Viele der berechenbaren Unsicherheiten entstehen durch die späte Verfügbarkeit verlässlicher Informationen. Der Ausbau und die schnellere Verfügbarkeit von Daten könnten die Unsicherheit von Prognosen reduzieren. Dazu sind aber eine bessere öffentliche Dateninfrastruktur und ausreichend Ressourcen für die Statistik Austria notwendig.
- Gesamtgesellschaftliche Wohlstandsorientierung berücksichtigen: Statt nur auf eine einzelne Zahl wie das Wirtschaftswachstum zu schauen, braucht es ein breiteres Bild zum Wohlstand in der Gesellschaft. Nur so lässt sich verstehen, wie stabil die aktuelle wirtschaftliche Lage wirklich ist. Konjunkturprognosen müssen aufzeigen, wie sich wirtschaftliche Entwicklungen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen und das Klima auswirken. Prognoseunterlagen beinhalten diese Informationen zum Teil bereits. Diese Aspekte müssen aber stärker in mediale Berichterstattung.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und gekürzte Fassung des Editorials der Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“, Band 51, Nr. 3. In dieser Ausgabe finden sich u. a. auch interessante Beiträge zu der Verteilung von Treibhausgasemissionen nach Vermögen sowie zur Lohnquote in Österreich.