Grüne Berufs­wander­karten: Qualifizierungs­wege für den sozialen und ökologischen Umbau

01. August 2025

Die Klimakrise ist kein Szenario einer unbestimmten Zukunft, sondern unsere Gegenwart – wie wir durch die Zunahme von Hitze, Starkregen und anderen Extremwetterereignissen merken. Die notwendigen Umstellungen in Produktions- und Arbeitsweisen verändern aber auch die Arbeitswelt und konkrete Berufe. Die Studie „Grüne Berufswanderkarten für den sozialen und ökologischen Umbau“ entwirft für ausgewählte, besonders betroffene Berufe Qualifizierungsmöglichkeiten für einen Umstieg in andere Tätigkeiten, die bereits stark nachgefragt sind oder es sein werden. Sie wurde von den Forschungsinstituten FORBA und ABIF im Auftrag der AK Wien erstellt.

Vom Ausgangsberuf zum Zielberuf über den Berufswanderweg

Nach dem Vorbild einer Studie aus dem Jahr 2012, die Berufswanderwege für Berufswechsler:innen entworfen hat, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Pensionierung in ihrem Job bleiben können, stellen die neuen Berufswanderkarten „Wanderwege“ für sozial-ökologische Qualifizierungen dar.

Die Ausgangsberufe sind nun aus Branchen, die sich aufgrund der Klimakrise bzw. des sozialen und ökologischen Umbaus stark verändern werden bzw. verändern sollten. Dazu gehören auf der einen Seite jene, die mit „Verbrennern“ oder anderen Arten von fossiler Energie zu tun haben, wie z. B. Fahrzeugbau, Tankstellenpersonal oder die Flugbranche. Auf der anderen Seite geht es um Berufe, die aufgrund der Veränderung des Klimas unter Druck geraten, wie jene im Bereich des Wintertourismus. Es ist anzunehmen, dass mittel- bis langfristig immer weniger Menschen in diesen Berufen arbeiten werden.

Die Zielberufe auf der anderen Seite sind Berufe, für die es hohen Bedarf geben wird, weil sie etwa für unsere Infrastruktur oder soziale Sicherheit gebraucht werden. Mit den einzelnen „Berufswanderkarten“ werden konkrete Wege gezeichnet, wie die notwendigen Qualifikationen von einem Ausgangs- hin zu einem Zielberuf erreicht werden können. Auch Aufwand und Dauer der nötigen Bildungsmaßnahmen werden abgebildet.

Personen mit langjähriger Berufserfahrung im Fokus

Der Fokus liegt auf Personen ab ca. Mitte 30 mit langjähriger beruflicher Erfahrung, für die eine Veränderung wünschenswert, notwendig und realistisch erreichbar ist. Zusätzlich richtet sich der Fokus auf Personen mit mittlerer Formalqualifikation, also vor allem Fachkräfte mit Lehrabschluss, überwiegend in manuellen Berufen. Der Grund dafür ist, dass es hier großen Veränderungsdruck gibt und diese Personen noch lange im Erwerbsleben stehen werden. Ergänzend werden mit spezifischen Berufswanderkarten beispielhaft Arbeitskräfte ohne formalen Berufsabschluss sowie auch Erwerbstätige mit höherer Formalbildung wie Matura in den Blick genommen.

Handlungsbedarf z. B. im Automobilsektor und Wintertourismus

Der Handlungsbedarf in Bezug auf neue oder veränderte Qualifikationen zeigt sich an allen Ecken und Enden: Man kann von zumindest 10.000 Beschäftigten mit signifikantem Umschulungsbedarf bis 2035 ausgehen, die in österreichischen Zulieferbetrieben mit Fahrzeug-Antriebstechnik im weiteren Sinne befasst sind, vor allem im produzierenden Bereich. Die Berufswanderkarten zeigen unter anderem Wege für die Berufe der Kfz-Techniker:in und des Fahrzeugbaus auf.

© A&W Blog


Nachdem die Temperaturen im Alpenraum besonders stark ansteigen, kämpft der Wintertourismus zunehmend mit Problemen. Wohin sich die rund 8.000 Personen orientieren könnten, die im Bereich der Seilbahnen beschäftigt sind, zeigen die Berufswanderkarten ebenfalls.

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Großes Potenzial: Energiewende und Pflege

Umgekehrt bestehen große Chancen durch die notwendige Energiewende. Laut Umweltbundesamt gibt es in Österreich noch rund 1,4 Mio. Öl- und Gasheizungen, die getauscht werden müssen. Hier stellen die Berufswanderkarten dar, welche Wege von Berufen der Installations- und Gebäudetechnik zu Berufen nicht-fossiler Heizsysteme führen.

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Großen Bedarf zeigt auch die Personalbedarfsprognose der Gesundheit Österreich: Bis 2030 werden rund 76.000 zusätzliche Personen in der Pflege benötigt. Das kann unter den richtigen Rahmenbedingungen u. a. für Personen ein interessanter Weg in die Zukunft sein, die in Dienstleistungsberufen im fossilen Bereich arbeiten. Flugbegleiter:innen verfügen beispielsweise über Kompetenzen im Bereich des Krisenmanagements, die für Pflegeberufe sehr relevant sind.

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Große Umwälzungen brauchen strategische Planung und strukturelle Lösungen. So kann die Finanzierung von Weiterbildungen und Umschulungen nicht auf die einzelnen Arbeitnehmer:innen abgewälzt werden. Eine Studie des IHS zeigt jedoch, dass genau das die Tendenz der letzten Jahre war. So ist der Anteil des AMS an der Finanzierung von Weiterbildung innerhalb von zehn Jahren von 20 auf 14 Prozent zurückgegangen, jener der Unternehmen von 41 auf 31 Prozent. Eingesprungen sind die Arbeitnehmer:innen, deren Ausgabenanteil von 29 auf 42 Prozent stark angestiegen ist.

Fazit der Studie: Gute Basis – aber noch viele Hürden

Das österreichische System hat grundsätzlich eine gute Ausgangsbasis für Umqualifizierungen. Umschulungen sind oft kürzer und einfacher als gedacht, oft lässt sich mit vergleichsweise geringem Aufwand ein neuer Beruf erlernen. Berufswechsler:innen brauchen aber klare Informationen – damit ein Umstieg gelingt, müssen passende Qualifizierungswege natürlich erst einmal bekannt sein. Berufswechsler:innen brauchen außerdem passende Angebote und Ressourcen. Am wichtigsten ist: Die notwendige Zeit sowie finanzielle Unterstützung sind entscheidend, damit Weiterbildung überhaupt möglich ist.

So kann gute Qualifizierung gelingen:

  • Weiterbildung und Umschulung von Erwachsenen
    Sowohl Arbeitsuchende als auch Beschäftigte brauchen ausreichende und passende Angebote, um neue Qualifikationen zu erwerben und formal anerkennen zu lassen.
    Das heißt für die Arbeitsmarktpolitik des AMS: 
    • Gleichrangigkeit von Vermittlung und Weiterbildung in der Arbeitsmarktpolitik
    • Ausbau der Weiterbildungsangebote mit guter existenzieller Absicherung
    • Mehr Budget für das AMS und auch mehr personelle Ressourcen für Beratung

  • Bessere Angebote für Beschäftigte/Recht auf eine zweite Chance
    Arbeitnehmer:innen brauchen aber auch Weiterbildungsangebote, ohne ihren Job aufgeben zu müssen – vor allem wenn sich das Geschäftsmodell ändert oder wenn ihre Qualifikationen noch nicht offiziell anerkannt sind. Die bestehenden Angebote reichen nicht aus. Arbeitnehmer:innen sollen das Recht haben, sich neu zu orientieren, auch wenn das bedeutet, ihren aktuellen Job zu verlassen.
  • Neue Weiterbildungszeit? – Noch offen
    Ob die geplante „Weiterbildungszeit“ ein sinnvolles Instrument wird, ist noch unklar.
    Es ist zu wenig Budget veranschlagt und die Vorgaben sind zu eng. Die AK fordert deshalb weiterhin ein Qualifizierungsgeld.
  • Finanzierung neu denken
    Neben der Arbeitsmarktpolitik, die bereits jetzt für Arbeitsuchende zuständig ist, müssen auch die anderen Ministerien ihre Verantwortung für Beschäftigte übernehmen. Das sind vor allem Wirtschafts-, Industrie- und Umweltpolitik, aber auch Bildungs- und Infrastrukturpolitik. 
    • Vorschlag: Weiterbildungsfonds
      Unternehmen zahlen 1 Prozent der Jahres-Bruttolohnsumme ein. Davon werden 20 Prozent für Weiterbildung der Beschäftigten verwendet. Zusätzlich sollen pro geleisteter Überstunde Arbeitgeber:innen einen Überstunden-Euro abführen. Der Betrag soll für Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik und des Gesundheitsschutzes eingesetzt werden.
    • EU-Förderungen gezielt nutzen
      Die Transformation ist eine europäische Aufgabe. Deshalb müssen auch EU-Gelder verwendet werden: Der Just Transition Fonds soll für ganz Österreich gelten, nicht nur für einzelne Regionen. Eine Abschaffung des Europäischen Sozialfonds wäre falsch – er ist zentral für Bildungs- und Arbeitsmarktprojekte.
  • Rahmenbedingungen in den Regionen schaffen
    Die richtigen Rahmenbedingungen unterstützen Menschen bei ihrer Weiterbildung. Besonders wichtig sind zum Beispiel ein Ausbau der Kinderbetreuungs- und bessere Mobilitätsangebote.
  • Gute Arbeitsbedingungen als Basis
    Zu guter Letzt sind kürzere und planbare Arbeitszeiten mit Mitsprache der Beschäftigten unverzichtbar für gutes Arbeiten – und die Basis dafür, gute Arbeitskräfte bekommen und halten zu können. Dienstpläne müssen rechtzeitig vorgelegt werden und auch halten, Schichtmodelle gesund gestaltet werden. Wichtig sind auch Modelle für alternsgerechtes Arbeiten und betriebliches Gesundheitsmanagement.

Link zur Studie

Zusammenfassung und Presseunterlage mit weiteren Grafiken zu konkreten Berufswanderkarten

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