Am 4. Juni 2025 hat die EU-Kommission im Rahmen des EU-Semesters das Frühjahrspaket veröffentlicht. Im Länderbericht und den länderspezifischen Empfehlungen (LSE) legt die EU-Kommission dar, was die österreichische Regierung aus ihrer Sicht tun sollte, um wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Herausforderungen zu begegnen. In den Empfehlungen findet sich neben viel Altbekanntem ein besonderer Fokus auf Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau. Aus Beschäftigtenperspektive steigt der Druck Richtung Abbau sozialer und arbeitsrechtlicher Standards.
Die EU-Kommission gibt Österreich im heurigen Jahr fünf Empfehlungen zu den Themenbereichen Haushalt, EU-Fonds, Wettbewerbsfähigkeit, Energie/Dekarbonisierung und Arbeitsmarkt/Soziales mit. Im Vergleich zum Vorjahr fällt auf, dass die EU-Kommission einerseits mehr und umfangreichere Empfehlungen ausspricht, andererseits auch, dass neben sehr breit gehaltenen Formulierungen konkret die Reform einzelner Gesetze (Elektrizitätswirtschaftsgesetz) eingemahnt wird. Diese sehr unterschiedliche Flughöhe einzelner Empfehlungen ebenso wie die Breite der adressierten Bereiche erschweren eine allgemeine Einschätzung. Denn in manchen Bereichen bleibt die EU-Kommission äußerst vage, sodass unklar bleibt, welche Stoßrichtung mit der Empfehlung überhaupt angepeilt ist. Je nach Lesart können recht unterschiedliche Maßnahmen als Umsetzung einer Empfehlung interpretiert werden. Diese Flexibilität ist vom Standpunkt nationalstaatlicher Souveränität her grundsätzlich positiv zu beurteilen. Immerhin spricht die EU-Kommission Empfehlungen zu Bereichen aus, die in der Kompetenz der EU-Mitgliedsstaaten liegen und lediglich einer gemeinsamen Koordinierung unterliegen. Insgesamt gilt es umso mehr, die LSE in einer Gesamtschau zu betrachten und zu analysieren, wie kohärent sie zusammenwirken und welche Richtung sie vorgeben. Die den länderspezifischen Empfehlungen vorangehenden Erwägungsgründe sowie der Länderbericht dienen als eine Art Vademecum: Hier nimmt die EU-Kommission eine grundsätzliche Einbettung und Kontextualisierung vor, die dennoch nicht immer alle Unklarheiten ausräumt.
Was empfiehlt die EU-Kommission Österreich 2025 und wie sind die Empfehlungen in den einzelnen Bereichen einzuschätzen?
Haushalt
Die Empfehlung zum Staatshaushalt lässt gleich zu Beginn aufhorchen: Erstmals empfiehlt die EU-Kommission Österreich, seine Verteidigungsausgaben und -bereitschaft gesamthaft zu erhöhen. Gleichzeitig weist die EU-Kommission – vor dem Hintergrund eines in Kürze zu eröffnenden Defizitverfahrens – auf die Einhaltung des eingereichten österreichischen Fiskalstrukturplans hin, der die Umsetzung der neuen EU-Fiskalregeln beschreibt. Die EU-Kommission führt aus, dass entschlossenes Handeln nötig ist, um die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten. Insbesondere die Bereiche Gesundheit, Langzeitpflege und Pensionen, etwa durch Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters sowie eine Verbesserung der Kosteneffizienz im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich führt die Kommissionsbehörde an. Als zwei „Evergreens“ in der Haushaltsempfehlung führt die EU-Kommission abschließend die Vereinfachung der Finanzbeziehung und -zuständigkeiten der verschiedenen staatlichen Ebenen inklusive Angleichung der Finanzierungs- und Ausgabenverantwortlichkeiten an sowie die Verbesserung des Steuermixes, um die hohe Belastung des Faktors Arbeit zu reduzieren und nachhaltiges Wachstum zu fördern.
Österreich soll zwar sparen, gleichzeitig aber mehr Geld für die Verteidigung in die Hand nehmen. Die explizite Einforderung einer expansiven Verteidigungspolitik an ein neutrales Land in Budgetnöten ist durchaus bemerkenswert und der aktuellen geopolitischen Lage geschuldet. Wichtig hervorzuheben sind dabei aber eindeutig die Folgewirkungen dieser fiskalischen Empfehlung: Sie erhöhen implizit den Druck auf Sozialabbau und mindern den Spielraum für dringend nötige Investitionen im Zuge der sich zunehmend zuspitzenden Klimakrise. Denn Investitionen sollen nun zuvorderst in die Verteidigung umgeleitet werden. Dafür stellt die EU-Kommission gerade alle Weichen: Am 19. März 2025 erläuterte sie, dass EU-Mitgliedsstaaten die EU-Fiskalregeln ohne Konsequenzen verletzen dürfen, wenn zusätzliche Verteidigungsausgaben getätigt werden. Das ist nun auch der Grund dafür, warum beispielsweise gegen Finnland kein Defizitverfahren eröffnet werden wird, obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen. Im neuen Omnibus-Paket zur Verteidigungsbereitschaft ruft die EU-Kommission explizit dazu auf, Gelder aus Kohäsionsmitteln und dem Aufbau- und Resilienzfonds in Verteidigung umzuleiten. Gelder, die für den Abbau regionaler Disparitäten und die digitale und grüne Transformation bestimmt sind. Diese Zweckentfremdung droht mit zunehmenden sozialen Verwerfungen einherzugehen. Diese bestehen bereits und manifestieren sich auch immer stärker an den Wahlurnen durch die Wahl extrem rechter Parteien. So wird auch die Stabilität und Sicherheit der EU im Inneren gefährdet.
Äußerst enttäuschend ist, dass die EU-Kommission selbst in diesen budgetär angespannten Zeiten keine klaren Worte zur notwendigen Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern findet, sondern erneut nur kryptisch von einem „besseren Steuermix“ spricht. Deutlicher wird hier nur der Länderbericht für Österreich 2025. Dieser benennt die überdurchschnittlich hohen Steuern auf Arbeit in Österreich, während Steuern auf Kapital und Eigentum unter dem EU-Schnitt liegen. Dabei wären Letztere zentral, um etwa die auch von der Kommission angesprochene Nachhaltigkeit der Gesundheits- und Pflegeleistungen in Österreich abzusichern.
Wettbewerbsfähigkeit
Ein Novum ist auch die dritte Empfehlung zur Wettbewerbsfähigkeit als dem großen Megathema der Kommission von der Leyen II. Österreich solle die Unternehmensdynamik sowie die Schaffung und das Wachsen junger Unternehmen fördern, empfiehlt die EU-Kommission hier. Dazu brauche es besseren Zugang zu Risikokapital und einen Abbau von Barrieren, die institutionelle Investoren von Investitionen abhalten. Unternehmen sollen zudem mehr digitale Lösungen einsetzen und es soll dafür Sorge getragen werden, dass die hohen Forschungs- und Entwicklungsquoten besser in marktfähige Lösungen überführt werden können. Zuletzt findet die aktuelle Simplifizierungsagenda der EU Eingang in die LSE. Regulierungen müssen vereinfacht, Verwaltungsaufwand reduziert und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, aber auch der Wettbewerb gestärkt werden, um Preise zu senken.
Während die vage gehaltene Empfehlung wohl oftmals zunächst Kopfnicken und Zustimmung zu den recht pauschalen Aussagen auslöst, lohnt sich ein näherer Blick darauf, wie die EU-Kommission selbst die von ihr verwendeten Termini mit Inhalt befüllt. So hat die EU-Kommission mit ihren Omnibus-Paketen der letzten Monate gezeigt, dass „Simplifizierung“ oftmals schlicht als Code für Deregulierung herangezogen wird und konkret Verschlechterungen für Arbeitnehmer:innen und Verbraucher:innen bedeutet. Das reicht von der Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes und Nachhaltigkeitsberichtspflichten bis hin zur Einführung einer neuen Kategorie von Unternehmen größer als KMUs, den sogenannten „small mid-caps“, die künftig auch von diversen Verpflichtungen ausgenommen werden sollen. Aus Beschäftigtenperspektive wirft auch die Empfehlung zum Abbau von Barrieren für institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Vorsorgekassen in Equity-Instrumente viele Fragen auf. Eine grundlegende Frage ist, von welchen Barrieren die EU-Kommission überhaupt spricht. Der Blick in den Länderbericht offenbart, dass die EU-Kommission den Zugang zu Risikokapital für junge Unternehmen entwickeln möchte und steuerliche Anreize vorschlägt. Auch damit zeigt die EU-Kommission, dass sie den Inhalt von Wörtern gerne uminterpretiert und „Anreize setzen“ meint, wenn sie „Hürden abbauen“ sagt. Generell muss angemerkt werden, dass der Zweck von Pensionsfonds und Vorsorgekassen, die mit dem über ein Berufsleben lang von Beschäftigten erwirtschafteten Geldern operieren, in der (Alters-)Absicherung liegt und die Gelder daher möglichst risikoarm veranlagt werden sollten.
Energie/Dekarbonisierung
Zunächst empfiehlt die EU-Kommission die zügige Reform des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes, um dadurch neue Möglichkeiten zu schaffen, die weiterhin hohen Energiekosten anzugehen. Sie empfiehlt dabei insbesondere die Flexibilisierung des Energiesystems und die Förderung langfristiger Stromabnehmvereinbarungen (Power purchase agreements) zwischen Energieerzeugern und größeren Endverbrauchern (in der Regel Industriebetriebe). Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen müsse reduziert und das Ausrollen erneuerbarer Energien und der nötigen Infrastruktur beschleunigt werden, etwa durch eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und das Einrichten von speziellen Beschleunigungsgebieten. Emissionen insbesondere im Verkehrssektor und in der Industrie müssen gesenkt werden und die Energieeffizienz gesteigert werden.
Vielen Punkten in der Empfehlung kann beigepflichtet werden – die Reform des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes ist überfällig und wird von der aktuellen Regierung prioritär behandelt, der im Koalitionsprogramm verankerte Zeitplan mit Umsetzung bis Sommer 2025 kann aber nicht mehr eingehalten werden. Zentral wäre eine stärkere Beteiligung von Erzeugern an den Netzkosten, um dem Prinzip der Verursachergerechtigkeit stärker Rechnung zu tragen. Die Forderung nach einem Ausbau erneuerbarer Energien und der Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sind Common Sense. Die Frage ist, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlung gegeben sein müssen. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit innerhalb der LSE der EU-Kommission an Österreich: Denn die Einmahnung zur Einhaltung der restriktiven EU-Fiskalregeln erschwert öffentliche Ausgaben in grüne Investitionen erheblich. Vor dem Hintergrund des gerade erst veröffentlichten zweiten österreichischen Sachstandsberichts zum Klimawandel, der Österreichs besondere Betroffenheit darlegt, erscheint die plötzliche Ausnahme von Verteidigungsausgaben vom Fiskalregelwerk besonders arbiträr bzw. von politischen Partikularinteressen getrieben und hinderlich für die Umsetzung der Empfehlung zur Dekarbonisierung.
Arbeitsmarkt/Soziales
Die EU-Kommission empfiehlt Österreich, Anreize zu schaffen, um die Anzahl der gearbeiteten Stunden insgesamt zu erhöhen und die Vollzeitteilnahme am Arbeitsmarkt von Frauen anzuheben, etwa durch eine bessere Qualität und Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen. Des Weiteren wird die Verbesserung der Arbeitsmarktergebnisse von älteren Arbeitnehmer:innen und benachteiligten Gruppen, wie niedrig qualifizierten Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund, angeregt. Erwähnt wird auch die Notwendigkeit, die Grundkenntnisse ab frühem Alter, insbesondere in der Schule, zu erhöhen. Zuletzt sollen vermehrt Anstrengungen unternommen werden, damit Beschäftigte die Fähigkeiten für die grüne Wende erwerben können.
Gegen den Großteil der Empfehlungen ist nichts einzuwenden. Eigenartig erscheinen aber einige einseitige Narrative im Länderbericht und den Erwägungsgründen, mit denen die EU-Kommission ihre Empfehlung zu Anreizen für längeres Arbeiten argumentativ unterfüttert. Analytisch bekommt dabei die lange Rezession in Österreich viel zu wenig Beachtung. Entsprechend unkritisch fällt auch das Urteil zur verfehlten Wirtschaftspolitik der letzten Jahre aus. So ist es eigentlich augenscheinlich, dass der Rückgang des Arbeitsvolumens vor allem auf die konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen ist – die von der Corona-Krise und der Rezession der letzten beiden Jahre geprägt ist – und nicht auf andere vermeintliche Gründe wie fehlende „Anreize“ oder geänderte Arbeitszeitpräferenzen der Arbeitnehmer:innen. Konstruiert erscheinen auch die dort getroffenen Ableitungen rund um die Themen „tax wedge“ (auf Deutsch „Steuerkeil“) und „Arbeitszeit“: So argumentiert die EU-Kommission, dass hohe Steuern auf Arbeit die Beschäftigten davon abhielten, mehr zu arbeiten, wodurch sich der Arbeitskräftemangel verschärfe und das wirtschaftliche Potenzial begrenzt werde. Aus Beschäftigtenperspektive ist das von der EU-Kommission gesponnene Narrativ, dass die Menschen einfach weniger bereit wären, mehr Leistung zu bringen – sei es aufgrund individueller Präferenzen oder steuertechnischer Nachteile –, aufs Schärfste zurückzuweisen. Der zentrale Faktor für das Arbeitszeitvolumen ist die konjunkturelle Entwicklung – it’s the economy, stupid! Außer Streit steht aber: Hinderlich für die Beteiligung am Arbeitsmarkt bleiben weiterhin andere strukturelle Faktoren, wie sie die EU-Kommission auch anspricht: fehlende Kinderbetreuungsplätze, fehlende alternsgerechte Arbeitsplätze, hinzu kommen noch ungleich verteilte Sorgearbeit, schlechte Arbeitsbedingungen und Diskriminierungen am Arbeitsmarkt. Diesen Empfehlungen zur Beseitigung struktureller Hürden ist unbedingt beizupflichten, ebenso jener zur Bildung, die einerseits auf Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen abzielt, andererseits auch die Notwendigkeit zur Aus- und Weiterbildung in Green Jobs thematisiert.
Conclusio
Die fiskalischen Empfehlungen bilden den bestimmenden Rahmen für alle übrigen Empfehlungen der EU-Kommission. Widersprüchlichkeiten zwischen Empfehlungen zur Fiskalpolitik und Klima- und Sozialpolitik bleiben unaufgelöst und gehen somit zulasten Letzterer. Besonders auffällig ist, dass die EU-Kommission Österreich wie jedes Jahr zur Einhaltung der Fiskalregeln aufruft, dies aber im heurigen Jahr mit der Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben koppelt – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Die EU-Kommission entwickelt ihr Megathema „Wettbewerbsfähigkeit“ nun auch im Rahmen des europäischen Semesters weiter. Wichtig ist auch zu benennen, welchen Themen kein Platz in den länderspezifischen Empfehlungen eingeräumt wird: Verteilungs- und Armutsfragen spielen keine Rolle. Dabei hält der Länderbericht fest, dass Österreich in bedeutenden Bereichen wie gute Gesundheit und Wohlbefinden Rückschritte gemacht hat. Auch die Armutsgefährdung ist mit 16,9 Prozent weiterhin bedenklich hoch und weit von dem im Rahmen der EU-Sozialpolitik gesteckten 2030-Ziel entfernt. Der im Herbst erwartete zweite Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) muss hier Verbesserungen bringen, indem eine stärkere Verankerung der ESSR im europäischen Semester erfolgt, die sich auch in den Empfehlungen widerspiegelt.