Der neue öster­reichische Fiskal­struktur­plan

06. Juni 2025

Am Tag der Budgetrede von Finanzminister Marterbauer wurde der erste sogenannte österreichische Fiskalstrukturplan an die EU-Kommission geschickt. Dieser übersetzt die Budgetpläne und das Regierungsübereinkommen in die Form, die für die reformierten EU-Fiskalregeln vorgesehen ist. Der Plan soll für die gesamte Legislaturperiode gelten, sieht aber eine Konsolidierung der österreichischen Haushaltsfinanzen über einen auf sieben Jahre gestreckten Zeitraum vor. Die Berechnungsmethoden der neuen Regeln als auch die österreichischen Maßnahmen müssen kritisch betrachtet werden.

Lackmustest für die neuen EU-Fiskalregeln

Mit dem im letzten Jahr reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union wurde insbesondere dessen sogenannter präventiver Arm abgeändert. Dieser zielt darauf ab, die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der EU-Mitgliedsstaaten wirksam zu koordinieren und die nationalen Haushaltspolitiken gegenseitig zu überwachen. Ein übermäßiges Defizit und damit die Anwendung des damit einhergehenden Defizitverfahrens im korrektiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts sollen so vermieden werden. Nicht nur aus österreichischer Sicht entbehrt das nicht einer gewissen Ironie: Denn nachdem die EU-Fiskalregeln aufgrund der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine von 2020 bis 2023 außer Kraft gesetzt wurden, wurden diese für 2024 ohne Übergang wieder auf „scharf“ gestellt. In den letzten Krisenjahren sind aber die öffentlichen Schuldenstände und Defizite in vielen EU-Mitgliedsstaaten angestiegen. Gerade die ehemaligen Finanzminister Blümel und Brunner traten in den EU-Gremien für eine besonders strenge Variante der EU-Fiskalregeln ein, obwohl sie diese selbst nicht einhalten konnten.

Bereits im Sommer 2024 wurden EU-Defizitverfahren gegen sieben EU-Mitgliedsstaaten eröffnet. Österreich wird sich demnächst in diese Liste einreihen. Wiewohl die jüngste Reform gewisse Erleichterungen bei den Konsolidierungspflichten im Vergleich zum alten Regelwerk mit sich bringt, bleibt die einseitige Fixierung auf die Budgetpolitiken der Mitgliedsstaaten bestehen. Jetzt setzt die unweigerliche Konsequenz in Form des Schnürens milliardenschwerer Konsolidierungspakete in immer mehr Mitgliedstaaten ein. Eine etwas mildere, aber umso längere Austerität, die sich als fatal für das Erreichen der Klimaziele und soziale Investitionen auswirken könnte, droht sich zu manifestieren.

Fiskalstrukturplan als Herzstück der reformierten multilateralen Überwachung

Die Reform der Fiskalregeln hat unmittelbar zur Folge, dass jeder Mitgliedsstaat seit Herbst letzten Jahres einen Fiskalstrukturplan an die EU-Kommission zu übermitteln hatte. Dieser Plan ersetzt die bisherigen nationalen Reformprogramme sowie die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme. Im Fiskalstrukturplan legen die EU-Mitgliedsstaaten dar, wie sie vorgehen, um den Verpflichtungen aus dem EU-Fiskalregelwerk nachzukommen, und die länderspezifischen Empfehlungen sowie die Prioritäten der EU umsetzen. Der Planungshorizont des Fiskalstrukturplans erstreckt sich über den Zeitraum einer Legislaturperiode (in Österreich bis 2029).

Verletzt ein Land die in den Fiskalregeln festgeschriebene Schuldenquote von über 60 Prozent des BIP bzw. ist das jährliche Defizit über 3 Prozent des BIP, so sind länderspezifische Konsolidierungs- bzw. Anpassungserfordernisse nötig, die im neuen Regelwerk grundsätzlich auf vier Jahre verteilt werden. Verpflichtet sich der Mitgliedsstaat zur Umsetzung von Reformen und Investitionen, kann dieser Anpassungszeitraum auf bis zu sieben Jahre verlängert werden.

Österreich strebt im abgegebenen Fiskalstrukturplan eine Verlängerung von vier auf sieben Jahre an. Diese ist sinnvoll, wenn Mitgliedsstaaten hohe Konsolidierungsvorgaben in Zeiten einer schwächelnden Wirtschaft haben und mit der Verlängerung jährlich weniger konsolidieren müssen. Gleichzeitig plant der österreichische Finanzminister ein „Front-loading“, also eine schärfere Konsolidierung zu Beginn.

Fragwürdige Methodologie der EU-Fiskalregeln

Die neuen Fiskalregeln basieren auf einer Vielzahl fragwürdiger Annahmen. Wichtigster neuer Indikator des neuen EU-Fiskalregelwerks ist der Nettoausgabenpfad. Dieser beschreibt, wie hoch das maximale Ausgabenwachstum in den kommenden Jahren sein darf, um die langfristige Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten. Alle Länder, deren öffentlicher Schuldenstand bzw. Defizit über den Maastricht-Kriterien liegen, haben dazu von der EU-Kommission bereits im Juni 2024 einen Referenzpfad übermittelt bekommen, von dem nur begründet abgewichen werden kann. Im Referenzpfad sollen konjunkturelle Ausgaben herausgerechnet werden (z. B. gestiegene Zahlungen des Arbeitslosengeldes in einer Rezession), insgesamt soll am Ende des Anpassungszeitraums ein sinkendes oder stabilisierendes öffentliches Schuldenniveau erreicht werden. Österreich weicht im Fiskalstrukturplan vor allem aufgrund des schlechteren Ausgangswerts 2024 vom Referenzpfad ab, der eben auch zur Eröffnung eines Defizitverfahrens führen wird – in welchem dann andere Vorgaben gelten: Statt einer Rückführung der Staatsschuldenquote wird hier auf die Unterschreitung der Defizitgrenze von 3 Prozent des BIP abgestellt.

Reformen und Investitionen im österreichischen Fiskalstrukturplan

Neben wirtschafts- und budgetpolitischen Strategien zählt der österreichische Fiskalstrukturplan 67 Reformen und Investitionen auf. Den Reformen und Investitionen ist gemein, dass sie in irgendeiner Form auf die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen und die gemeinsamen EU-Prioritäten adressieren müssen. Konkret wurden Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm sowie bereits vereinbarte Reformen im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans (ARP) – die die Bedingung für Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität waren – aufgelistet und bestimmten länderspezifischen Empfehlungen oder Unionsprioritäten zugewiesen.

Der Fiskalstrukturplan muss laut unionsrechtlichen Vorgaben auch darlegen, wie der faire grüne und digitale Wandel sowie die Europäische Säule sozialer Rechte umgesetzt werden. Dieser Vorgabe kommt der österreichische Fiskalstrukturplan nur unzureichend nach: So werden etwa die nationalen Ziele zur Umsetzung der sozialen EU-2030-Kernziele für Beschäftigung, Erwachsenenbildung und Armutsbekämpfung nicht adressiert, obwohl der Fiskalstrukturplan den Zeitraum 20252029 abdeckt, was fast dem gesamten verbleibenden Zeitraum entspricht.

Von den 67 Reformen und Investitionen wurden 14 Maßnahmen ausgewählt, die die Verlängerung des Zeitraums zur Budgetkonsolidierung rechtfertigen sollen. Im technischen Dialog mit der EU-Kommission wurden für diese 14 Maßnahmen auch Indikatoren festgelegt, anhand derer im jährlichen Fortschrittsbericht die Umsetzung überprüft wird (in der Regel nach dem Muster „Beschluss bzw. Umsetzung bis Quartal X im Jahr Y“):

  • Gesundheit: Anhebung des Krankenversicherungsbeitrags für Pensionist:innen (Beschluss durch Parlament bis Q3/2025)
  • Pensionen: Aufwertung von Pensionen bei neuen Pensionsantritten in Höhe von 50 Prozent der generellen Pensionserhöhung (Aliquotierung) (Beschluss durch Parlament bis Q1/2026); Änderung der Korridorpension auf Antrittsalter 63 Jahre und 504 notwendige Versicherungsmonate (Beschluss durch Parlament bis Q3/2025; gesetzliches Antrittsalter bei Korridorpension liegt bei 63 Jahren im Q2/2027 und 504 Monate sind notwendig bis Q1/2029)
  • Kinderbetreuung: Zweites verpflichtendes Kindergartenjahr (Finanzierung ist bis Q1/2026 aufgestellt, in allen Bundesländern bis Q3/2027 implementiert)
  • Bildungsbereich: Einführung des sozialindizierten Chancenbonus in der Schulfinanzierung (Umsetzung des ARP bis Q4/2025; Sicherstellung von Monitoring und Finanzierung bis Q1/2026)
  • Arbeitsmarkt: Nachfolgeregelung für die Bildungskarenz schaffen (Beschluss durch Parlament bis Q1/2026); Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte (Umsetzung der Maßnahmen bis Q1/2028); Einschränkung des Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld (Beschluss durch Parlament bis Q1/2026)
  • Steuerbereich: Erhöhung der Glücksspielabgabe auf Lotterien; Anhebung der Konzessions- und Glücksspielabgabe für elektronische Lotterien; Vereinheitlichung der Besteuerung bei Share Deals bei der Grunderwerbsteuer; Umwidmungszuschlag bei Grundstücksveräußerungen; Anhebung des Stiftungssteuersatzes (Beschluss durch Parlament bis Q1/2026)
  • Forschung und Entwicklung: Möglichkeit der Bilanzierung selbst erstellter F&E-Ausgaben speziell für Start-ups, um bessere Bewertungen zu ermöglichen (Beschluss durch Parlament bis Q4/2027, erstmalige Anwendung für Bilanzjahr 2028 in Q1/2029)

Die Maßnahmen haben neben ihren fiskalischen Wirkungen auch Wachstumseffekte von 0,8 Prozentpunkten im Jahr 2029. Diese Wachstumseffekte dürfen aber nicht für die Budgetplanung einberechnet werden – ein weiteres Kuriosum des neuen Regelwerks.

Conclusio

Österreich hat mit einiger Verzögerung aufgrund der Regierungsbildung seinen Fiskalstrukturplan nach Brüssel geschickt. Der Fiskalstrukturplan und die jährlichen Fortschrittsberichte sind das Herzstück der Überwachung der neuen EU-Fiskalregeln. Da Österreich die rigiden EU-Fiskalregeln verletzt, sind im Fiskalstrukturplan umfassende Reformen und Investitionen sowie die Budgetkonsolidierung dargelegt.

Die Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS hat sich bei ihrem Konsolidierungsplan an den Zahlen orientiert, die die Verhandler:innen von FPÖ und ÖVP im Jänner 2025 der EU-Kommission gemeldet hatten. Schon damals war allerdings klar, dass eine stark ausgabenseitige Konsolidierung zu einem weiteren Rezessionsjahr führen würde und die blau-schwarzen Pläne, ein EU-Defizitverfahren damit zu verhindern, Wunschdenken waren. Dennoch hält die Regierung am „Front-loading“ in der Konsolidierung fest, auch wenn die Maßnahmen aus dem Jänner im Doppelbudget teilweise entschärft wurden.

Die Schuldentragfähigkeitsanalyse ist kein geeignetes Instrument für die Budgetplanung und sollte dringend überarbeitet werden. In der aktuellen Fassung droht sie die mittelfristig notwendige Konsolidierung europaweit auf Kosten von Klimazielen und sozialen Investitionen zu verschärfen. Paradoxerweise werden die Fiskalregeln bereits wieder zugunsten von Militärausgaben aufgeweicht, eine größere Reform steht aber nicht zur Debatte.

Die Verlängerung der budgetären Anpassung durch Österreich von vier auf sieben Jahre ist zu begrüßen. Die 14 genannten Maßnahmen, die großteils aus dem Regierungsprogramm entnommen sind, sind jedoch teilweise kritisch zu sehen. Zudem kommt Österreich der Verpflichtung im Fiskalstrukturplan unzureichend nach, klar darzulegen, welche Maßnahmen geplant sind, um den fairen grünen und digitalen Wandel sowie die Europäische Säule der sozialen Rechte umzusetzen. Sowohl in der Klima- als auch in der Sozialpolitik sind große Anstrengungen erforderlich, um die vereinbarten Ziele bis 2030 zu erreichen.

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