In den letzten Jahren haben sich Konzepte verbreitet, die die sich schnell wandelnden Rahmenbedingungen der heutigen Zeit benennen wollen. VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), TUNA (Turbulent, Uncertain, Novel, Ambiguous) oder neuerdings auch Begriffe wie BANI (Brittle, Anxious, Nonlinear, Ambiguous) sind bekannt geworden. Sie versuchen die zunehmende Unsicherheit, Komplexität und Dynamik globaler Entwicklungen zu beschreiben. Um in einer solchen Umwelt nicht „Bahnhof“ zu verstehen, bedarf es einer angepassten und strategischen Herangehensweise in der Wirtschaftspolitik. Ein strategisch vorausschauendes Denken und Handeln. Das Instrument der strategischen Vorausschau (Foresight) soll dies ermöglichen und zu einer besseren Politikgestaltung beitragen.
In einer Welt, die geprägt ist von rasanten technologischen Entwicklungen, geopolitischen Unsicherheiten und den Folgen des Klimawandels, wird die Fähigkeit, die Zukunft proaktiv zu gestalten, immer wichtiger. Ein Blick in die Daten zeigt die große Verunsicherung und die damit verbundenen Ängste, mit denen unsere Gesellschaften konfrontiert sind. Beispielsweise versucht der World Uncertainty Index (WUI) das weltweite Ausmaß an wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit mithilfe der Auswertung von Länderberichten der Economist Intelligence Unit zu messen. Er zählt dazu, wie häufig in den Berichten Begriffe auftreten, die mit Unsicherheit in Verbindung stehen, und umfasst mittlerweile 143 Länder.
Die hohe weltweite Unsicherheit stellt Planungs- und Handlungsfähigkeit von Menschen, Unternehmen, aber auch dem Staat vor große Herausforderungen, denn traditionelle Planungsstrategien bauen überwiegend auf Vergangenheitsdaten und linearen Prognosen auf. Diese Ansätze sind jedoch in einer zunehmend unsicheren Welt oft unzureichend, führen zu falschen Reaktionen und unterschätzen Entwicklungen. Die hohe Unsicherheit verlangt neue Wege, um mit ihr umgehen zu können und zu einer besseren Qualität der politischen Gestaltung zu gelangen.
Strategische Vorausschau und der Blick in mögliche Zukunftsszenarien
Eine Methode, die immer mehr angewandt wird, um sich auf Veränderungen und Unsicherheit besser vorzubereiten, ist jene der strategischen Vorausschau (strategic foresight). Anstatt nur auf historische Daten zu setzen, berücksichtigt die Methode der strategischen Vorausschau eine Vielzahl möglicher Zukunftsszenarien. Gerade für die Bewältigung komplexer Herausforderungen wie der Klimakrise, geopolitischer Spannungen und technologischer Sprünge ist eine vorausschauende Perspektive essenziell. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass Organisationen, seien es Unternehmen oder öffentliche Verwaltungen, die auf Methoden der strategischen Vorausschau setzen, widerstandsfähiger sind und ihre Strategien besser auf zukünftige Herausforderungen abstimmen können. Dabei geht es jedoch nicht nur darum, besser auf Krisen zu reagieren, sondern diese aktiv zu gestalten und zukünftige Chancen zu erkennen. Diese Strategiefähigkeit erlaubt es, in unwägbaren Zeiten anpassungsfähig und fokussiert zu bleiben und damit jene Kapazitäten aufzubauen, die staatliche Institutionen beispielsweise auch für eine erfolgreich implementierte Industriestrategie brauchen.
Um solche Methoden effektiv zu nutzen, braucht es eine Kultur der Zukunftsorientierung, eine organisatorische Verankerung, Methodenkompetenz. Dazu gehören unter anderen die Einrichtung von auf strategische Vorausschau spezialisierte Teams, die Integration der Ergebnisse in Entscheidungsprozesse, die kontinuierliche Weiterbildung von Entscheidungsträger:innen und die Nutzung moderner Technologien wie KI und Datenanalyse, um Zukunftsszenarien noch besser entwickeln zu können. Darüber hinaus können Beteiligungsprozesse in der Organisation oder auch darüber hinaus mit relevanten Stakeholdern nicht nur die Szenarien besser informieren, sondern auch die Akzeptanz von Maßnahmen, die aus der strategischen Vorausschau entstehen, erhöhen.
Den Erfahrungen zum Trotz: Warum wird strategische Vorausschau bisher so wenig genutzt?
Kleinere Einheiten als auch viele öffentliche Organisationen verfügen aktuell noch nicht über die notwendigen Strukturen, Ressourcen und Kompetenzen, Methoden und Prozesse der strategischen Vorausschau anzuwenden. Die größte Barriere ist daher ein fehlendes organisatorisches Fundament, beispielsweise die Einrichtung einer zentralen Stelle, welche Aktivitäten der strategischen Vorausschau systematisch bündelt und ressortübergreifend koordiniert. Zwar existieren gerade im öffentlichen Bereich, in Ministerien und Behörden, oft einzelne Initiativen, doch fehlt es an Vernetzung und Auswertung für umfassende strategische Entscheidungen. Fehlende Zuständigkeiten und unklare Verantwortlichkeiten erschweren die Einführung neuer Methoden weiter. Auch braucht es Weiterbildung und Professionalisierung der Beschäftigten, um die für die strategische Vorausschau spezialisierten Fähigkeiten und Kompetenzen innerhalb von Organisationen zu entwickeln.
Damit es gelingt, diese Herausforderungen zu überwinden, ist der Ausbau von eigenen Einheiten zur strategischen Vorausschau nötig. Das bedeutet, dass nicht nur einzelne Abteilungen, sondern das gesamte System von den Akteur:innen und Partner:innen systematisch vernetzt und in die Aktivitäten eingebunden werden. Darüber hinaus verlangt eine erfolgreiche Umsetzung einer strategischen Vorausschau in die strategische Planung und Entscheidungsfindung ein klares Mandat. Oft scheitert es genau an diesem Punkt. Kurz gesagt: Eine verstärkte Nutzung von Methoden der strategischen Vorausschau benötigt nicht nur technisches und fachliches Know-how, sondern auch einen tiefgreifenden organisatorischen und kulturellen Wandel. Gelingt dies, kann es zu einer spürbaren und deutlichen Verbesserung politischer Entscheidungsfindung, Legitimität und Wirksamkeit führen.
Na gibt’s denn so was? Strategische Vorausschau in der internationalen Praxis
Aufgrund der Bedeutung von Methoden der strategischen Vorausschau, gerade in Zeiten hoher Unsicherheit und disruptiver Veränderungen, finden sie sich immer mehr in Politikgestaltungsprozessen wieder. So veröffentlicht die Europäische Kommission seit 2020 jährlich einen Strategic Foresight Report. Der aktuelle trägt den Namen „Resilience 2.0“ und betont die Bedeutung von proaktiver Suche nach künftigen Chancen und die Notwendigkeit, auch ungewöhnliche oder schwer vorstellbare Szenarien in Betracht zu ziehen. Finnland wiederum gilt als einer der Pioniere am Feld der strategischen Vorausschau. Dort stellt die Regierung zu Beginn jeder Legislaturperiode einen „Regierungsbericht zur Zukunft“ zusammen. Er wird von einem interministeriellen Netzwerk und dem Forschungsrat SITRA erarbeitet und soll langfristig Prioritäten setzen. Alle Ministerien beteiligen sich dabei aktiv. Daneben gibt es noch ein Nationales Foresight Netzwerk mit Wissenschaft und Wirtschaft, das gemeinsam Megatrends analysiert. Dieses „Whole-of-Government“-Vorgehen sichert ein abgestimmtes Bild kommender Herausforderungen. Auch in Österreich gibt es Expertise zu Methoden der strategischen Vorausschau. So spielt das Center for Innovation Systems & Policy am Austrian Institute of Technology (AIT) eine zentrale Rolle in der strategischen Zukunftsforschung. Die Schwerpunkte liegen insbesondere auf den Bereichen Transformationspfade und Strategien. Das AIT entwickelt dazu neue Modellierungstechniken und Beteiligungsprozesse, um Systemtransformation zu erfassen und zu gestalten. Mit ihren Arbeiten informieren sie Prozesse zur Politikgestaltung der Europäischen Union, Ministerien und anderen Organisationen.
Raus aus den Denkfabriken und rein in die Verwaltung und Organisationen
Die hohe Unsicherheit erschwert politische Entscheidungsprozesse und die Komplexität von Entwicklungen und Dynamiken steht einfachen Lösungen meist im Weg. Der öffentliche Sektor und seine Einheiten müssen darauf jedoch reagieren und Antworten entwickeln können. Diese neuen unsicheren Zeiten, in die wir eingetreten sind, verlangen deshalb eine Stärkung staatlicher Kapazitäten, indem Fachwissen, Kompetenzen und Ressourcen systematisch aufgebaut werden, um Antworten zu entwickeln. Durch die Methode der strategischen Vorausschau kann die Qualität von Entscheidungsprozessen transparenter, evidenzbasierter und robuster gegenüber Unsicherheit gestaltet werden. Dies trägt zur Legitimität von Politik bei, indem Transformationsprojekte gesellschaftlich verankert werden können. Gleichzeitig helfen diese Methoden, Resilienz und Flexibilität zu erhöhen, indem Strategien gegen alternative Zukunftsszenarien getestet und Schwachstellen erkannt werden können. Ebenso fördern sie das Erkennen von Chancen und das Entstehen von Innovation, da Ministerien und Organisationen proaktiv auf technologische und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren können. Zudem ermöglicht und unterstützt sie vernetzte Planung über Ressortgrenzen hinweg, schafft ein gemeinsames Lagebild und erhöht dadurch das Vertrauen in der Öffentlichkeit. Gerade in so stürmischen und unsicheren Zeiten, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen, müssen die Möglichkeiten und Potenziale solch innovativer Methoden, wie der strategischen Vorausschau, verstärkt genutzt werden. Für die Qualität politischer Prozesse, die Verbesserung der Wirksamkeit politischer Maßnahmen und die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft.
Industriestrategien und strategische Vorausschau
Technologische Disruption, strategische Abhängigkeiten, der Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität und zunehmende geopolitische Spannungen. Ein Umfeld, in dem Unsicherheit gedeiht. Gerade wenn es um den digitalen und grünen Strukturwandel der Wirtschaft geht, braucht es Antworten, die Chancen und Risiken erkennen und helfen, Verunsicherung zu nehmen. Nachhaltiger Wohlstand, Beschäftigung und Wertschöpfung müssen durch eine tragfähige Industriestrategie angesprochen werden. Methoden der strategischen Vorausschau können dabei helfen, langfristige Trends, technologische Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen frühzeitig zu erkennen, um zukunftsfähige Ziele und Prioritäten zu setzen. Die Methoden helfen auch, Strategien flexibel anzupassen. Eine Situation, die in sehr unsicheren Zeiten nahezu sicher im Zeitverlauf eintreten wird. Zielerreichungen zu überprüfen und Maßnahmen anzupassen, indem Frühwarnsignale und Indikatoren kontinuierlich überwacht werden, sind dazu eine Grundvoraussetzung.
Erst durch Methoden der strategischen Vorausschau werden Industriestrategien widerstandsfähig und anpassungsfähig und dadurch in die Lage versetzt, in einer VUCA-, TUNA- oder BANI-Welt zu bestehen. Sie übersetzt die Komplexität der Gegenwart in mögliche Zukunftspfade und ermöglicht es so, Wandel aktiv zu gestalten, denn eine Wirtschaftspolitik für das 21. Jahrhundert braucht Resilienz statt Zerbrechlichkeit, Orientierung statt Überforderung und sie muss lernen und sich anpassen, anstatt nur zu reagieren. Egal, ob entscheidende Wertschöpfungskomponenten in Schlüsseltechnologien und Infrastrukturen entlang globaler Lieferketten besetzt werden sollen oder Transformationspfade für Berufsbilder wie Industrien und Branchen Gestaltung erfordern, ohne strategische Vorausschau und Szenarien fehlen entscheidende Kapazitäten für die nötige Handlungsfähigkeit.