Zukunfts- und Schlüssel­technologien im Fokus: Warum eine Industrie­strategie auch eine Technologie­offensive sein muss

22. Mai 2025

Industrierezession und Budgetknappheit setzen Österreich unter Druck, doch Österreich ist nach wie vor ein guter Industriestandort. Um Wohlstand, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz zu sichern, braucht es jetzt eine mutige, strategische Technologieoffensive als Teil einer zukunftsfähigen Industriestrategie. Sie muss gezielt in Schlüsseltechnologien investieren – sowohl in bestehende Stärkefelder als auch in Bereiche mit Aufholbedarf.

Österreich ist ein Industrieland – und zwar eines der innovativsten Länder Europas – und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen mit 3,2 Prozent über dem Durchschnitt der EU-Staaten. Eine gute Ausgangslage. Doch die Herausforderungen im Umfeld eines zunehmenden globalen Kampfes um Standortinvestitionen, Wertschöpfung und Beschäftigung sind groß. Klar ist schon jetzt: Über billige Arbeitskräfte durch Senkung der Lohnkosten oder Steuergeschenke werden wir in diesen Entwicklungen nicht bestehen können. Ganz im Gegenteil braucht eine nachhaltige Industriestrategie nicht nur einen Fokus auf exzellente Forschung, sondern auch auf die Fähigkeiten, das Wissen, aber auch über die Bedürfnisse von Menschen. Gleichzeitig steht Österreichs Politik vor der entscheidenden Frage, welche Technologiefelder priorisiert werden sollen, um sowohl wirtschaftliche Wertschöpfung als auch Beschäftigung langfristig zu sichern und auszubauen.

Produktivität steigern und Gewinne gerecht verteilen

Die Antwort Österreichs auf die aktuellen technologischen und industriepolitischen Herausforderungen kann nur eine High-Road-Strategie sein, die Produktivität zu steigern und einen Beitrag zur Führungsrolle Europas in den Zukunfts- und Schlüsseltechnologien zu leisten. Eine Technologieoffensive als Teil einer tragfähigen Industriestrategie hat das Potenzial, die Produktivität nachhaltig zu steigern. Die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen und sektoralen Produktivität muss die zentrale Zielsetzung der Technologieoffensive sein. Österreichs Industrie kann durch den Einsatz von Automatisierung, datengetriebener Prozessoptimierung, Robotik und Künstlicher Intelligenz effizienter produzieren. Gleichzeitig zeigt sich, dass das Entwickeln und die Förderung von neuen Geschäftsmodellen ein zentrales Element in der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Kund:innenfreundliche Lösungen und neue Leitmärkte unterstützen demnach eine erfolgreiche Strategie. Zentral ist auch die Einbettung österreichischer Industrien in europäische Infrastrukturen und Wertschöpfungsökosysteme wie das zum Beispiel bei der AI Factory Austria (AI:AT) bereits gelungen ist: Der KI-optimierte Supercomputer AI:AT ist Teil der European High Performance Computing Infrastruktur Initiative und setzt auf bestehende Stärken Österreichs wie Biotechnologie, Produktionseffizienz sowie Nachhaltigkeit und Energie. Im Verbund mit europäischen Infrastrukturen und Wertschöpfungsökosystemen kann auch ein vergleichsweise kleines Land wie Österreich Innovationen in Spitzentechnologien vorantreiben und eine rasche Technologiediffusion forcieren.

Sozial wie wirtschaftlich ist es aber besonders wichtig, dass die Zunahme der Produktivität nicht nur dazu dient, die Kapitalrenditen zu erhöhen. Produktivitätsgewinne müssen reinvestiert werden, aber auch bei den Beschäftigten ankommen – durch höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen und einen Ausbau der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sowie betrieblicher Mitbestimmung. Technologie und (soziale) Innovation für sich allein genommen ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Zielerreichung: Wohlstand zu schaffen und soziale Stabilität und Sicherheit zu wahren. Konkret bedeutet das eine flankierende Tarifpolitik, welche Produktivitätszuwächse in Reallohnsteigerungen übersetzt, Rechtssicherheit und eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte für Betriebsrät:innen bei der Einführung neuer Technologien, um die Arbeitsorganisation gemeinsam fair zu gestalten, und Qualifizierungsangebote im Betrieb, um Beschäftigte aktiv in den Innovationsprozess einzubinden. Denn nur wenn Beschäftigte als Teil der Entwicklung gesehen werden, entstehen Ideen und Innovationsdynamiken, die wir so dringend brauchen, und zwar nicht aus der Angst vor Jobverlust heraus, sondern aufbauend auf Mitgestaltung und Motivation.

Sozialpartnerschaftlich Industrietransformation gestalten: das Beispiel der Plattform Industrie 4.0

Eine große Frage der industriellen Transformation und damit auch in jeder Technologieoffensive muss es deshalb sein, wie technologische Entwicklung durch Kooperation, Mitgestaltung und praxisnahe Umsetzung gelingen kann. In Österreich vernetzt dazu die Plattform Industrie 4.0 Unternehmen, Gewerkschaften, Forschung und Politik. Ziel der Plattform ist es, neue Technologien wie KI, Automatisierung und Datenmanagement produktiv und arbeitsverträglich einzusetzen. Ihre vier Schwerpunkte sind: Technologie & Innovation, nachhaltige Produktion (z. B. Kreislaufwirtschaft), Arbeit 5.0 (neue Arbeitsmodelle und Qualifikationen) und die Stärkung des Produktionsstandorts Österreich. Die Plattform begleitet Industrieunternehmen bei der Umsetzung von Digitalstrategien und fördert Projekte wie den Digitalen Produktpass oder Industrie-Cybersicherheit. Zum 10-jährigen Jubiläum der Plattform passt auch, dass sie sich vorgenommen hat, eine Vision für die Industrie 2035 zu entwickeln und diese in die geplante österreichische Industriestrategie einfließen zu lassen.

Innovations- und Technologiestärken nutzen – Potenziale heben

Als Industrieland mit einer langen Forschungstradition, guten Infrastrukturen und hochqualifizierten Beschäftigten haben sich über die Jahre in Österreichs Innovationslandschaft einige besondere Stärkefelder entwickelt. Österreich verfügt über beachtliche Kompetenzen gleich in mehreren technologiegetriebenen Bereichen. Zu diesen zählen Mikroelektronik, Life Sciences & Biotechnologie, Quantenforschung, Weltraumtechnologien, Kreislaufwirtschaft und klimaneutrale Produktion.

Zukunftstechnologien in Österreich

MikroelektronikÖsterreich ist Standort mehrerer global agierender Unternehmen im Bereich Halbleiter- und Sensorikentwicklung. Die Region Villach (ASM Osram, Infineon) und die Steiermark (AT&S) gelten als Hotspot der europäischen Mikroelektronik.
Life Sciences & BiotechnologieMit einem dichten Netz an Forschungsinstituten, Hochschulen und Pharmaunternehmen ist Österreich – insbesondere Wien – ein bedeutender Standort im Bereich Biotechnologie und Medizintechnik. LISAvienna ist die Clusterplattform für Life Sciences in Wien und fördert die Entwicklung des Sektors. Unternehmen wie Boehringer Ingelheim, Takeda und Novartis haben bedeutende Unternehmensstandorte in Österreich. Darüber hinaus sind u. a. auch die Steiermark und Oberösterreich Zentren für medizinische Innovationen, etwa in der Herstellung von Implantaten und Diagnostikgeräten.
QuantenforschungÖsterreichische Universitäten und Forschungseinrichtungen genießen international hohe Anerkennung in der Quantenphysik und Quantenkommunikation, z. B. Quantum Science Austria und Quantum Austria. Die Universität Wien betreibt mehr als 18 High-Tech-Labore für experimentelle Quantenforschung.
Künstliche IntelligenzObwohl das Land hier eher ein „Fast Follower“ ist, gibt es beachtliche akademische Kompetenzzentren und anwendungsorientierte Entwicklungen, insbesondere in der industriellen Produktion und im Gesundheitsbereich. Das Linz Institute of Technology (LIT) arbeitet an zukunftsweisenden Anwendungen künstlicher Intelligenz, insbesondere an der Schnittstelle von Industrie, Digitalisierung und Wissenschaft. Das Kompetenzzentrum „Industrial AI“ wiederum fokussiert sich auf Anwendungen der künstlichen Intelligenz in der Produktion. Im September 2024 wurde entlang der Schnittstelle zwischen KI und Gesundheit das neue Forschungsinstitut „AITHYRA“ gegründet.
WeltraumtechnologieÖsterreich ist als ESA-Mitglied aktiv in europäischen Raumfahrtprojekten eingebunden und bringt u. a. im Bereich Weltraumdatenanalyse und Mini-Satelliten Know-how ein und besitzt einen hochinnovativen Weltraumsektor. Das ESA PHI-Lab Austria fungiert als Kompetenzzentrum für die Kommerzialisierung von Weltraumtechnologien im Upstream-Bereich.
KreislaufwirtschaftÖsterreich ist Vorreiter bei Recyclingquoten im EU-Vergleich und entwickelt innovative Technologien zur stofflichen Wiederverwertung und Materialsubstitution. Als Vorreiterregion gilt unter anderen die Steiermark mit ihrem „Green Tech Valley“.
Klimaneutrale ProduktionProjekte wie das „Hydrogen Valley Austria“ oder klimafreundliche Produktionsprozesse bei voestalpine zeigen: Dekarbonisierung der Industrie ist technologisch machbar – aber kapitalintensiv.
MaterialwissenschaftenInstitutionen wie das IST Austria und die Montanuniversität Leoben forschen an neuen Materialien, innovativem Werkstoffdesign und nanotechnologischen Verfahren.

Diese Stärkefelder gilt es systematisch auszubauen – und zwar nicht nur über punktuelle Fördergelder, sondern durch eine stärkere strategische Vernetzung, das Vorantreiben des Technologietransfers in die Wirtschaft, gezielte Aus- und Weiterbildung und eine stärkere europäische Koordinierung.

Was fehlt? Ein strategischer Rahmen und langfristige Zielorientierung

Trotz einzelner Programme, Strategien und Förderinstrumenten, vom FTI-Pakt und der FTI-Strategie über die direkten Projektförderungen (z. B. FFG, AWS) bis hin zu Förderung der Grundlagenforschung (z. B. FWF), fehlt es in Österreich bisher an einer klaren industriepolitischen Vision. Eine Vision darüber, wie und in welchen Bereichen Österreich in neu entstehende internationale technologische Wertschöpfungsketten integriert sein will und sich in die Zukunftstechnologien in Europa einbringen möchte. Bestandteil einer tragfähigen Industriestrategie muss daher auch eine Technologieoffensive sein, die klar darstellt, welche Ziele Österreich mittelfristig verfolgt, um technologisch in Führung zu gehen, die Innovationskraft und die Produktivität zu steigern und gleichzeitig die daraus entstehenden Vorteile gerecht zu verteilen.

Konkret braucht es dazu fünf Elemente, welche sich in einer Industriestrategie und Technologieoffensive wiederfinden müssen:

  • Langfristige Planbarkeit, Stabilität und Finanzierungssicherheit für Schlüsseltechnologien, verankert durch eine stärkere Missionsorientierung im F&E-System, zeitgemäße Infrastruktur, Förderung neuer Leitmärkte und innovativer öffentlicher Beschaffung.
  • Verzahnung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung, z. B. durch eine Stärkung von Technologietransferstellen und die Förderung von Ausgründungen aus den Universitäten („Spin-offs“ und „Scale-ups“).
  • Ausrichtung an europäischen Prioritäten, wie dem Clean Industrial Deal (CID) oder dem AI Continent Action Plan, um Synergien zu nutzen und europäische Fördermittel strategisch zu aktivieren.
  • Stärkung (regionaler) Innovationsökosysteme durch Aufbau und strategische Unterstützung von Innovationsclustern, wie zum Beispiel der Life-Sciences-Standort Wien.
  • Gute Arbeit: Integration arbeitsmarkt- und bildungspolitischer Maßnahmen, um soziale Innovation zu fördern, Beschäftigte frühzeitig auf technologische Umbrüche vorzubereiten und soziale Polarisierung zu vermeiden.

Technologiepolitik als Teil einer aktiven Industriepolitik

Eine Technologieoffensive ist kein Selbstzweck, sondern muss Teil jeder tragfähigen Industriestrategie sein. Sie muss das Ziel verfolgen, die Produktivität zu stärken, und dadurch Wohlstand, Wertschöpfung und Beschäftigung sichern. Gleichzeitig kann sie ein wichtiger Baustein darin sein, die Rolle und den Beitrag Österreichs in der Transformation der europäischen Wirtschaft zu stärken. Dazu braucht es eine aktive Industriepolitik, die Technologieförderung nicht isoliert betrachtet, sondern sie als Teil eines größeren Ganzen sieht: der dreifachen Transformation des Wirtschaftsstandorts – Digitalisierung, Dekarbonisierung, menschenzentriert.

Gerade in einer kleinen und offenen Volkswirtschaft wie Österreich sind Ressourcen – seien es finanzielle Mittel, wissenschaftliche Kapazitäten oder personelle Expertise – begrenzt. Eine flächendeckende Förderung aller möglichen Technologiefelder würde zwangsläufig teuer und wenig wirksam ausfallen. In Zeiten der Budgetknappheit ist es daher nochmals umso wichtiger, klare Prioritäten auf Schlüsselbereiche zu setzen. Nur so lässt sich vorhandenes Wissen bündeln, das Zusammenwirken zwischen Forschungseinrichtungen, Unternehmen und der öffentlichen Hand stärken und somit eine kritische Masse erreichen, welche Innovation erst marktfähig macht. Zudem ermöglicht eine fokussierte Technologiepolitik eine gezielte internationale Positionierung. Besondere Stärken, auch in Nischen, erlauben auch kleinen Volkswirtschaften wie Österreich eine hohe nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und internationalen Erfolg. Eine klug abgestimmte Strategie hilft darüber hinaus, Kooperationen auf EU-Ebene besser zu nutzen, davon zu profitieren und den heimischen Innovationsstandort nachhaltig zu stärken. Dies ist umso wichtiger, da es weder ökonomisch noch politisch sinnvoll ist, in einen Unter- und Überbietungswettbewerb über niedrige Löhne und hohe Förderungen einzusteigen. Unser Weg kann nur über Innovation, höhere Produktivität, klare Prioritäten, moderne Infrastruktur und gute Arbeit für die Beschäftigten führen.

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