Immer funktionieren müssen? Mehrfach­verantwortung und Erschöpfung im Leben von Frauen

24. November 2025

Als die Sozialforscherin Käthe Leichter 1925 das neugegründete Frauenreferat in der Arbeiterkammer Wien übernahm, legte sie den Grundstein für eine arbeitssoziologische Frauenforschung, die bis heute relevant bleibt. Dazu gehört, die beforschten Frauen – auch politisch – zu ermächtigen. Die heutige Abteilung Frauen und Gleichstellungspolitik hat anlässlich des 100-jährigen Jubiläums den Zugang von Käthe Leichter, den wir als „aufsuchende Interessenpolitik“ bezeichnen, in die Gegenwart geholt.

Auf den Spuren von Käthe Leichter: aufsuchende Interessenpolitik

Käthe Leichters Zugangsweisen haben wir methodisch in Form von „dialogischen Gruppendiskussionen“ ins Heute übertragen. Insgesamt wurden 10 Gesprächsrunden in unterschiedlichen beruflichen und lebensweltlichen Communitys organisiert. Unser Anliegen war, einen offenen, vertrauensvollen Raum zu schaffen, in dem Frauen über Herausforderungen im Hinblick auf bezahlte und unbezahlte Arbeit sprechen konnten. Dabei erhielten die Anliegen der Frauen Priorität – sie konnten Schwerpunkte und Verlauf der Diskussion selbst bestimmen. Zugleich wollten wir mit Frauen ins Gespräch kommen, die von politischen und betrieblichen Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer:innen-Bewegung weniger gut erreicht werden.

Für das Gelingen der Gesprächsrunden waren Vertrauenspersonen aus dem jeweiligen Arbeits- und Lebensumfeld (z. B. Betriebsrät:innen, Vereinsobfrauen) von besonderer Bedeutung. Sie wurden in die Vorbereitung der Gesprächsrunden einbezogen und trugen dazu bei, dass eine vertrauensvolle Atmosphäre hergestellt werden konnte, in welcher auch sehr persönliche Geschichten geteilt wurden. Die Zusicherung der Anonymität war dabei ebenso zentral.

Bei der Analyse der Gesprächsinhalte fokussierten wir auf kollektiv geteilte Erfahrungsmuster, die sich über unterschiedliche Arbeits- und Lebensrealitäten von Frauen aufspannen und diese prägen. Die Ergebnisse haben wir künstlerisch zusammen mit Valerie Bruckbög aufgearbeitet und in Form von Comics übersetzt.

© Valerie Bruckbög


In einer Serie am Blog stellen wir die Themen genauer vor: Erstens die Mehrfachbelastung, die sich aus der Verbindung unterschiedlicher bezahlter und unbezahlter Arbeits- und Tätigkeitsbereiche ergibt, wie es für das Leben ganz vieler Frauen charakteristisch ist. Zweitens die Frage der Selbstbestimmung und Fremdbestimmung; und drittens das Thema Mehrfachdiskriminierung am Arbeitsmarkt, das wir aus der Perspektive jener Frauen bearbeitet haben, die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben.

Ein vielfältiges – und widersprüchliches – Ensemble von Arbeit

Sowohl Frauen als auch Männer kombinieren in ihrem Leben sehr unterschiedliche Arbeits- und Tätigkeitsformen: Erwerbsarbeit, Haus- und Sorgetätigkeiten, aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten. Die deutsche Soziologin Regina Becker-Schmidt schlug deshalb vor, sich Arbeit als „Ensemble“ von Tätigkeiten vorzustellen. Die Ausgestaltung und die Art der Kombinationen von Tätigkeiten weisen jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Frauen übernehmen mehr unbezahlte Haus- und Sorgearbeit als Männer und kombinieren häufiger unterschiedliche unbezahlte Tätigkeiten gleichzeitig. Sie haben längere Tages-Gesamtarbeitszeiten, wenn man Erwerbs- und Sorgearbeit zusammen betrachtet. Hinzu kommt, dass sich das Arbeitsensemble von Frauen meist aus gegensätzlichen Tätigkeiten zusammensetzt. Frauen müssen durch die ungleiche Belastung mit Sorgearbeit öffentliche und private Räume stärker verbinden – eine Herausforderung, da die Anforderungen der beiden Sphären grundlegend unterschiedlich sind und kaum auf Verpflichtungen aus der jeweils anderen Sphäre Rücksicht genommen wird. Die Ambivalenzen im Arbeitsensemble und die daraus resultierenden Mehrfachbelastungen sind eine grundlegende Erfahrung vieler Frauen. Das machen die folgenden Gesprächsausschnitte deutlich.

„Ich habe eine schwerkranke Mutter, die Krebs im Endstadium hat und aus dem Spital entlassen wird. Ich spreche mit dem Entlassungsmanagement. Was brauche ich denn zu Hause? Was kann sie denn? […] Sie kommt heim und sie kann nichts. Du stehst dann da. Ich habe meinen Chef gebeten, ich muss meine Mutter pflegen. Jetzt. Bis ich jemanden habe. Ich brauche jetzt sofort Urlaub.“ (TN Gruppendiskussion – GD 2)

Eine andere Frau, die nach Österreich geflüchtet ist, erzählt von den Belastungen mit zwei Jobs und Kindern. Eine Aufstockung in einem Job wurde ihr aber nicht in Aussicht gestellt:

„Ich hatte zehn Stunden im sozialen Dienst. Und ich habe auch im Kindergarten gearbeitet. Als pädagogische Assistentin. Und das ist nicht im gleichen Bezirk. Das war im 15. Bezirk und nach der Arbeit lief ich in den 21. Bezirk. Ich brauchte eine Stunde und eine halbe. […] und dann habe ich noch ein Projekt im Verein. Den ganzen Tag laufe ich. Und mein Kind braucht auch Unterstützung.“ (TN GD 5)

An den Wochenenden muss dann oft noch das abgearbeitet werden, was liegen geblieben ist, erzählt eine Mutter mit zwei kleinen Kindern: „Du hast ja nicht frei. Bei mir ist der Sonntag der Putz- und Aufräumtag und der Wäschetag.“ (TN GD 7)

Hinzu kommen vielfältige Anforderungen, welche die Gesellschaft vor allem Müttern zuweist: die gesunde Schuljause, der Termin beim Arzt, die Torte für den Kindergeburtstag. Und die folgende Kritik, wenn man diesen Erwartungen nicht entspricht: „Oder wenn es geheißen hat: Wer bäckt Kuchen und wer macht das? Ich hab gesagt: Ich nehme eine Milch mit, weil ich habe keine Zeit. Und dann bist du die Rabenmutter. Du bäckst keine Muffins fürs Sommerfest?“ (TN GD 7)

Dieser „Mental load“ – also das Planen und Organisieren der Care-Arbeit – bleibt ebenfalls bei den Frauen. Viele Männer helfen zwar mit, von einer geteilten Verantwortungsübernahme ist aber nicht die Rede, wie eine Teilnehmerin über ihre Situation als pflegende Angehörige und Mutter schildert:

„Mein Mann hat mich immer sehr viel unterstützt, aber halt immer nur unterstützt. […] es wird als Selbstverständlichkeit angesehen, dass wir Frauen das machen, und dann kriegen wir halt Unterstützung. Aber die Hauptlast liegt an uns.“ (TN GD 4)

Auch eine andere Frau aus der Filmbranche erzählt über eine Krisensituation mit ihrem Sohn, bei dem während der Covid-19-Pandemie Depressionen auftauchten und der den Schulplatz verlor. Weil er schon 14 Jahre alt war, war er ab dann zu Hause.

„Also, mein Partner ist genauso aktiv, das muss ich zu seiner Verteidigung sagen und wir machen wirklich partnerschaftlich. Aber mein Arbeitsplatz war halt fürs Kreative immer daheim. Das heißt, wenn alle zehn Minuten irgendein Schrei aus dem Zimmer kommt oder ich mir Sorgen mache, weil einfach die Haare irgendwo stehen und ich denke, überlebt er das? Ja dann bin ich nicht kreativ. Das geht einfach nicht. Und da habe ich mich allein gelassen gefühlt von der ganzen Gesellschaft.“ (TN GD 6)

Immer funktionieren müssen? …

Belastung und Erschöpfung entsteht nicht nur durch die Summe an Tätigkeiten, für die Frauen zuständig sind. Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen oder lückenhafter Rahmenbedingungen (z. B. Öffnungszeiten in der Kinderbetreuung, Freistellungsmöglichkeiten) ist die Verbindung verschiedener Arbeitsfelder für Frauen kräfteraubend und aufreibend. Ein „Durchhalten“ und „Durchwursteln“ wird als Alltagserfahrung von vielen der Frauen geschildert. Eine pflegende Angehörige beschreibt treffend:

Du selbst bleibst voll auf der Strecke. Also du bist quasi nicht existent […]. Du hechelst von einem Urlaub zum nächsten, denkst ‚Gott sei Dank, es sind nur mehr drei Wochen bis dorthin‘ oder ‚Gott sei Dank, nur mehr drei Tage‘, da blendest du dich einmal kurz aus.“ (TN GD 4)

Viele Frauen haben das Gefühl, dass von ihnen erwartet wird, ständig funktionieren und alles zusammenhalten zu müssen. „Wir kümmern uns eh um jeden Scheiß und haben dann noch den Druck von allen Seiten, dass man ja funktionieren muss“ (TN GD 2). Egal, was sich im eigenen Leben gerade abspielt. Eine Teilnehmerin erzählt von einem schwierigen Erlebnis im Seniorenheim ihres Vaters – und danach: „Dann gehst du nach Hause zu deiner Familie und musst wieder funktionieren. Du musst wieder einen klaren Kopf kriegen. Ist genug zum Essen daheim? Was koche ich? Wie schaut es mit der Wäsche aus? Die Tochter studiert. Hat eine schwere Prüfung.“ (TN GD 4)

Die ständigen Belastungen führen zur dauerhaften Erschöpfung und dazu, dass Frauen – mitunter wiederholt – im Burnout landen, wie eine Teilnehmerin erzählt: „Also, ich bin alleinerziehend. Diese Doppelbelastung. Also, ich habe immer Vollzeit gearbeitet. […] zwei Mal war ich im Burnout. Zu Hause zwei Kinder, die Schule, ich möchte mich auch weiterentwickeln. Und natürlich diese Doppelbelastung, weil ich so oft fremde Sprache, nicht in meiner Muttersprache arbeite. Ich muss alles verstehen den ganzen Tag.“ (GD 3)

Oder Frauen gehen aufgrund der Mehrfachbelastung früher in Pension, wenn eine Stundenreduktion im Job keine Option ist: „Ich mache mit 60 jetzt Schluss. Ich kann nicht mehr. Ich bin ausgepumpt ohne Ende und ich schaffe es nicht mehr, so weit wieder Energie und Kraft zu sammeln, dass ich wieder im Berufsalltag mit- […] Ich habe auch sehr hohe Anforderungen an mich selbst, das gebe ich auch zu.“ (TN GD 4)

... ein Frauenleben lang: „Wennst die Kinder fertig hast, kommen die Eltern“

Hinzu kommt aber auch noch das Gefühl, dass das Dahinwursteln für Frauen auch kein Ende hat. „Ja, also wir sind aus diesem Kinder-Ding vielleicht schon heraußen und die sind vielleicht in dem Alter, wo sie sich schon selber duschen, essen, aber dann [beginnt die] Pflege der Angehörigen. Also du kommst ja quasi gar nicht raus.“ (TN GD 7)

Die Dauerhaftigkeit und Unausweichlichkeit des Gefühls „Es hört nie auf“ verweist einerseits auf die Repetivität von Reproduktionsarbeit – z. B. Wäsche wird schmutzig und muss wieder gewaschen werden. Gleichzeitig ist die Zuweisung der Sorgeverpflichtung in allen Lebensphasen von Frauen prägend. Von der Kindheitsphase – in der Mädchen schon mehr unbezahlte Arbeit übernehmen als Buben – über die „Rush-hour“ des Lebens bis hin zum Älterwerden übernehmen Frauen den Großteil der Pflege von Partner:innen, Eltern und Schwiegereltern.

Und wo bleibe ich?

Frauen haben im Durchschnitt weniger Zeit für sich selbst, wie auch die jüngste Zeitverwendungserhebung zeigt. Dies geht mit dem Gefühl einher, ständig die eigenen Bedürfnisse zurückstecken zu müssen. Für alleinerziehende Frauen stellt sich diese Situation in besonderem Maße, vor allem für jene, die aufgrund ihrer Migrationsgeschichte in Österreich keine Familie als Unterstützung haben:

Ich bin Vollzeit arbeiten. Danach muss ich mein Kind von der Schule abholen und alle Termine von meinem Kind liegen bei mir, weil ich habe hier keine Familie. Ich liebe mein Kind, aber ich brauche auch ein bisschen Zeit für mich. Jedes Wochenende bin ich zu Hause, muss putzen, kochen. Alles ist auch bei mir. Und ich bin jetzt 40 Jahre alt. Und dann danach 50 Jahre alt. Und dann danach? Ich habe keinen Spaß, keine Zeit.“ (TN GD 2)

Die Alleinverantwortung für Erwerbs- und Sorgearbeit und der Mangel an institutioneller und privater Unterstützung hindert Frauen daran, am Arbeitsmarkt in einem Ausmaß zu partizipieren, das ihren Wünschen entspricht. Es macht es ihnen schwer, im Job voranzukommen, in einem neuen Land anzukommen oder sich weiterzubilden, wie folgende Zitate verdeutlichen.

Also ich arbeite Vollzeit und gleichzeitig jede zwei Monate versuche ich etwas Neues zu lernen, weil in meinem Bereich, wenn man sich nicht entwickelt, kann man nicht mehr was erledigen und auch gleichzeitig. Da mein Mann auch mehr als Vollzeit so ziemlich 60 Stunden arbeitet, muss ich mich um meine Tochter mehr kümmern.“ (TN GD 3)

Solidarisierung und Ermächtigung

Gesellschaftliche Normen weisen Frauen immer noch die Hauptverantwortung für Sorge- und Pflegearbeit zu, während sie gleichzeitig deutlich stärker am Erwerbsarbeitsmarkt partizipieren als noch vor wenigen Jahrzehnten. So unterschiedlich die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, hinsichtlich Herkunft, Alter, Qualifikation und beruflichem Hintergrund sind – die gemeinsame Klammer ist die Hauptverantwortung für das Vereinbaren von Erwerbs- und Sorgearbeit. Es betrifft Hochqualifizierte genauso wie prekär Beschäftigte, Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte, junge wie alte. Die Folgen: dauerhafte Mehrfachbelastung, Einschränkungen im beruflichen Fortkommen, das ständige Gefühl, eigene Bedürfnisse zurückstellen zu müssen. Frauen brauchen Entlastung durch verlässliche und leistbare Angebote an Kinderbildung und Pflege, Anreize für gerechte und partnerschaftliche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, faire Bezahlung und gleiche Chancen im Job.

Entscheidend ist jedoch auch: Frauen brauchen Räume für Austausch und Solidarisierung. Die Erfahrung, mit ihren Schwierigkeiten nicht allein zu sein, dass andere ähnliche Benachteiligungen erleben, ermöglicht die Erkenntnis, dass dahinter gesellschaftliche Strukturen stehen – Strukturen, die gemeinsam verändert werden können. Diese kollektive Einsicht ist der erste Schritt zu politischer Handlungsfähigkeit und Ermächtigung.

© Valerie Bruckbög


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