Teilzeit als Antwort auf belastende Arbeitsbedingungen: die Externalisierung eines gesellschaftlichen Problems

25. April 2024

Im ersten Teil unserer Serie haben wir uns mit Mängeln bei der statistischen Erfassung von Teilzeitgründen beschäftigt und wie die fragwürdige Klassifizierung in freiwillige und unfreiwillige Teilzeit politisch instrumentalisiert wird. Der zweite Teil befasst sich mit gesundheitlichen Belastungen als Motiv für Teilzeitarbeit. Unterschiedliche Studien zeigen, dass neben Betreuungsverpflichtungen gesundheitliche Gründe und belastende Arbeitsbedingungen hauptausschlaggebend für Teilzeiterwerbstätigkeit bei Frauen sind.

Teilzeiterwerbstätigkeit bei Frauen – wer ist dafür verantwortlich?

Im letzten Blogbeitrag haben wir gesehen, dass die Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria nur bedingt Auskunft über die Gründe für Teilzeit liefert. Die Auswertung unterschiedlicher anderer Studien zu Teilzeitbeschäftigung in Österreich ergibt ein wesentlich differenzierteres Bild und verweist vor allem auf die strukturellen Ursachen von Teilzeitbeschäftigung.

An erster Stelle stehen Betreuungsverpflichtungen sowohl für Kinder als auch ältere Personen. Bei den 30- bis 44-jährigen Frauen ist das für 70 Prozent der Grund. Das ist wenig verwunderlich: Die Hälfte aller Kinder zwischen drei und sechs Jahren hat keinen Kindergartenplatz, der mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit vereinbar ist. Zwei Drittel der 6- bis 13-Jährigen haben keine schulische oder außerschulische Nachmittagsbetreuung. Unmittelbar damit hängt zusammen, dass Männer sich zu wenig an Haus- und Sorgearbeiten beteiligen. Frauen erledigen selbst bei gleichem Erwerbsausmaß wie ihre Partner 64 Prozent der Hausarbeit. Wenn die Hauptlast der Care-Arbeit bei Frauen liegt, stehen sie entsprechend weniger für Erwerbsarbeit zur Verfügung. Drittens bieten Unternehmen zu wenig Stunden an. Es gibt in Österreich rund 92.000 Frauen in Teilzeit, die sofort mehr arbeiten würden, wenn sie die Stunden bekämen (sogenannte Teilzeit-Unterbeschäftigte). Auswertungen der AMS-Arbeitsmarktdatenbank zeigen, dass im Gesundheits- und Sozialwesen und im Handel rund ein Drittel der Stellen nur als Teilzeitjobs ausgeschrieben sind. Viertens sind es gesundheitliche Gründe und belastende Arbeitsbedingungen, die für Teilzeit verantwortlich sind. Diesem Thema wollen wir uns in diesem Beitrag widmen.

Teilzeit, weil gesundheitlich nicht mehr Arbeit zu schaffen ist

Unterschiedliche Studien legen nahe, dass gesundheitliche Motive neben Betreuungsverpflichtungen eine der wichtigsten Ursachen für Teilzeitbeschäftigung sind. In einer Studie zu Teilzeitbeschäftigung in Niederösterreich wurden gesundheitliche Gründe, inklusive Zeitdruck und Stress in der Arbeit, am zweithäufigsten genannt (22 Prozent der Nennungen, Mehrfachnennungen möglich). Bei den Frauen ohne Kinderbetreuungsverpflichtungen stehen gesundheitliche Gründe sogar an erster Stelle – 41,5 Prozent der Befragten nennen das als Grund. Auch eine Studie des Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aus dem Jahr 2018 zeigt, dass gesundheitliche Gründe und Zeitdruck bzw. Stress in der Arbeit nach Betreuungsverpflichtungen das wichtigste Motiv für Teilzeitbeschäftigung bei Frauen sind (49 Prozent haben gesundheitliche Gründe genannt, Mehrfachnennungen möglich).

Ein Teil dieser Gruppe sind Personen mit einer bestehenden Erkrankung oder Behinderung. Laut Eurostat betrifft das rund drei Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen. Eine Studie über die Situation von Frauen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen am Arbeitsmarkt in Wien liefert detailliertere Hintergründe dazu, weshalb das Beschäftigungsausmaß zeitlich begrenzt bzw. eine Vollzeitbeschäftigung nicht möglich ist. Erkrankungen oder Behinderungen setzen den Betroffenen physische und psychische Grenzen der Belastbarkeit und damit auch der Beschäftigungsdauer. Das Beschäftigungsausmaß hängt aber auch von der (zeitlichen) Verfügbarkeit von benötigten Unterstützungsleistungen ab, wie zum Beispiel einer persönlichen Assistenz. Darüber hinaus dauern aufgrund fehlender Barrierefreiheit beispielsweise Arbeitswege oftmals länger, weshalb insbesondere Frauen mit Betreuungsverpflichtungen kürzere Arbeitszeiten wählen, um den Zeitverlust auszugleichen.

Eine tatsächliche Erkrankung bzw. Behinderung erklärt aber nur einen kleinen Teil dieser hohen Zustimmungswerte bei gesundheitlichen Gründen. Hinzu kommt eine statistisch kaum abgebildete Gruppe, die aufgrund von belastenden Arbeitsbedingungen sozusagen „präventiv“ die Arbeitszeit reduziert, um gesund zu bleiben. Ein Interview-Ausschnitt einer Studie des Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Linz aus 2018 illustriert das:

„Ich habe es ausgetestet, ob 40, 30 oder 25 Stunden, und meine Mitte wäre jetzt so 30 Stunden. Selbst wenn meine Kinder jetzt groß sind: Ich habe gelernt, dass ich mit weniger Geld auskomme. Das ist ein Stundenausmaß, bei dem ich nicht krank werde, bei dem ich gesund bleibe.“

Bedenkt man, dass sich 6 von 10 Beschäftigten in Österreich nicht vorstellen können, den aktuellen Beruf bis zum Pensionsalter durchzuhalten, ist das wenig überraschend. Danach gefragt, was sie brauchen würden, um es zu schaffen, nennt die Mehrheit (65 Prozent) eine deutliche Verringerung der Arbeitszeit. Und genau das scheinen viele Beschäftigte bereits jetzt zu tun.

Teilzeit als „Prophylaxe“: Beispiel Gesundheits- und Sozialberufe

Die Gesundheits- und Sozialberufe gehören zu jenen Branchen mit hohen psychosozialen Arbeitsbelastungen. In der Pflege, in der Altenbetreuung, in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen oder auch in der sozialen Arbeit berichten Beschäftigte von Arbeitsverdichtung und Zeitstress, aber auch emotionalen Belastungen (siehe Grafik 1).

© A&W Blog


Die schon länger bestehende und angesichts einer rapide alternden Gesellschaft immer dringlicher werdende Personalknappheit in diesem Sektor verschlimmert dieses Problem zusätzlich – bis 2050 brauchen wir 70.000 zusätzliche Pflegebeschäftigte, nur um den Versorgungsstand von 2019 aufrechtzuerhalten. Knapp drei Viertel der über 45-jährigen Beschäftigten in der Altenpflege und in der Betreuung von Menschen mit Behinderung halten es für unwahrscheinlich, bis zum Pensionsantritt durchhalten zu können. Ein Viertel der Beschäftigten in Gesundheits- und Pflegeberufen denkt zumindest einmal pro Woche daran, den Beruf zu wechseln.

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Und viele Beschäftigte in der Pflege haben in den letzten Jahren ihrem Beruf tatsächlich den Rücken gekehrt oder reduzieren aufgrund der Belastungen ihre Arbeitszeit. Beispielsweise kann sich jede fünfte Teilzeitbeschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen in Niederösterreich aufgrund der Arbeitsbedingungen nicht vorstellen, mehr Stunden erwerbstätig zu sein. Die befragten Expert:innen in der Studie beschreiben den Beruf als so fordernd, dass er nicht (dauerhaft) in Vollzeit auszuüben sei. Eine Betriebsrätin beschreibt es so:

„Wenn du eben sechs Stunden gearbeitet hast, bist du wirklich durchgefahren und bist dann eigentlich körperlich k.o. Du musst dich hinterher niederlegen. Die armen Mütter, die noch Kinder zu betreuen haben, die sind dann vielleicht um 12 oder 13 Uhr fertig, sind k.o. und das Kind hat vielleicht in der Krippe geschlafen und ist putzmunter. Das ist nicht sehr beneidenswert. Aber wie gesagt, die Vollzeit wird tatsächlich von den meisten abgelehnt, weil es körperlich nicht machbar ist.“

Auch der Betriebsrat am Kepler Universitätsklinikum in Linz teilt diese Einschätzung in einem Interview:

Neben den vielen Alltagsaufgaben … sagen viele, dass sie den Gesundheitsberuf in Vollzeit einfach nicht (mehr) aushalten (würden). Gerade im Hinblick auf die letzten Jahre bis zur Pensionierung können sich viele Vollzeit, sprich 40 Wochenstunden plus teilweise geplante Überstunden, nicht (mehr) vorstellen. … In Teilzeit ist die kräfteraubende Tätigkeit in einer Gesundheits- und Pflegeeinrichtung gerade noch zu bewältigen.“

Kolleg:innen in Vollzeit seien schneller „ausgelaugt“ oder „ausgebrannt“, wie dieser Dialog aus einer Fokusgruppe der ISW-Studie über Teilzeitarbeit zeigt:

„Teilnehmerin B: Zum Beispiel ich komme aus der Pflege, gerade da finde ich das ziemlich gut, weil man kann dem Burnout schon ziemlich vorbeugen. Gerade in Berufen, die sehr gefährdet sind. [….]
Teilnehmerin C: Burnout-gefährdet bist ja als Teilzeitbeschäftigte genauso. Weil ich sage, aus eigener Erfahrung, auch wenn ich auf 30 Stunden gehe, ist der Druck trotzdem vorhanden. … Je weniger Zeit ich habe, umso mehr gibst du. Das ist klar und da rutschst du genauso … also, würde ich das nicht mal sagen, dass nur Vollzeitbeschäftigte burnout-gefährdet sind.
Teilnehmerin B: Nein, so habe ich das auch nicht gemeint. Aber ich finde schon, dass es ein bisschen eine Prophylaxe ist.“

Zu ähnlichen Befunden kommt auch die Studie von WIFO und FORBA zur Anhebung des Frauenpensionsalters. In der mobilen Betreuung und Pflege arbeiten fast alle Beschäftigten (überwiegend Frauen) in Teilzeit. Die Gründe sind neben Vereinbarkeit mit Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen die hohen Arbeitsanforderungen und körperliche wie psychische Belastungen. Viele Befragte berichten beispielsweise, dass sie die „Pause“ durch sogenannte „geteilte Dienste“, die für sich genommen eine Belastung darstellen, benötigen, damit sie die Anforderungen des Arbeitstages gut bewältigen können. Auch hier schlussfolgern die Studienautorinnen, dass die Arbeitsanforderungen in der mobilen Betreuung und Pflege so hoch sind, dass die Tätigkeiten auf lange Sicht kaum in Vollzeit auszuführen sind, ohne gesundheitlich Schaden zu nehmen.

Frauen tragen Sorge für sich und andere und zahlen dafür drauf

Der Beitrag hat gezeigt, dass gesundheitliche Gründe und belastende Arbeitsbedingungen einen wichtigen Grund für Teilzeitbeschäftigung bei Frauen darstellen. In vielen systemerhaltenden Berufen – insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich – arbeiten viele Frauen in Teilzeit, weil der Beruf aufgrund der vielfältigen Belastungen nicht dauerhaft in Vollzeit zu schaffen wäre. Hinzu kommen Mehrfachbelastungen durch die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit im privaten Umfeld.

Frauen tragen für sich selbst Sorge, indem sie Arbeitszeit reduzieren und damit sicherstellen, dass sie ihre gesellschaftlich wichtige Tätigkeit trotz der Belastungen aufrechterhalten können. Dafür werden sie jedoch nicht entlastet oder in ihrem Beitrag anerkannt, sondern sie zahlen drauf – mit weniger Einkommen und weniger Pension. Das bedeutet Armut(sgefährdung) und finanzielle Abhängigkeit von anderen, mit all ihren Folgen. Unterschiedliche Studien zeigen: Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen wünschen sich mehr Wertschätzung für ihre Arbeit auch in Form von höheren Löhnen, mehr qualifiziertes Personal, um bestehendes Personal zu entlasten, planbare Dienstzeiten für bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Personal- und Lohnausgleich. Darüber hinaus bedarf es einer Verbesserung der betrieblichen und gesellschaftlichen Bedingungen, damit Frauen in allen Lebensphasen ein gutes Leben führen können.

Entscheidende Maßnahmen, die allen Beschäftigten, und insbesondere Sorgearbeit Leistenden, ein gutes Leben ermöglichen, sind:

  • Die Einführung einer kurzen gesunden Vollzeit für alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
  • Die gesellschaftliche Aufwertung von Care-Berufen, die ihrer Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft gerecht wird.
  • Planbare Dienstzeiten und mehr Autonomie und Mitbestimmung in der Zeitgestaltung.
  • Abschaffung des dreimonatigen Durchrechnungszeitraums. Der Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte muss ab der ersten Stunde zustehen.
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