Kluge Familienpolitik: Kinderbildung statt Steuerbonus

15. März 2018

Einen warmen Geldregen für Familien verspricht die Regierung mit dem Familienbonus. 1,5 Milliarden Euro wird diese neue steuerliche Familienleistung kosten. Viel Geld, das im Sinne einer modernen Familien- und Bildungspolitik aber bedeutend besser eingesetzt werden könnte.

Würde diese Summe in den Ausbau der Kinderbetreuung und -bildung investiert, könnten dort im Vergleich zu heute paradiesisch anmutende Zustände geschaffen werden: flächendeckend Plätze für unter Dreijährige, Vollzeit-Öffnungszeiten in allen Kindergärten, ein kostenloses zweites Kindergartenjahr für alle und mehr qualifiziertes Personal in allen Gruppen. Wie sich das ausgeht? 1,5 Mrd. Euro wären ein Plus von 67 Prozent für die Kinderbildung. Und es sind Investitionen, die enorme Rückflüsse an die öffentliche Hand generieren.

860 Euro für jedes Kind – in allen Familien

Ein Blick über den österreichischen Tellerrand zeigt, dass Investitionen in Kinderbetreuung statt Steuerzuckerl dringend angesagt wären. Österreich wird nämlich bei der Kinderbetreuung und elementaren Bildung im internationalen Vergleich zunehmend abgehängt. Stattdessen hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, eine neue Form der Familiensteuer zu schaffen, die allerdings trotz Nachbesserungen verteilungspolitisch einige unschöne Punkte aufweist:

  • GutverdienerInnen bekommen sechs mal so viel pro Kind wie Alleinerziehende;
  • für studierende Kinder gibt es nur ein Drittel des „normalen“ Bonus;
  • arbeitlose und andere armutsgefährdete Haushalte gehen leer aus

Innerhalb der Familie wird der Steuerbonus vielfach den Vätern zufallen. Drei Viertel der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten in Teilzeit und haben daher häufig kein ausreichend hohes Einkommen für den Bonus – vor allem wenn mehrere Kinder da sind. Damit gewinnt das Männereinkommen im Haushalt zusätzlich gegenüber den Fraueneinkommen an Gewicht.

Das alles hätte sehr einfach vermieden werden können: Mit 1,5 Mrd. Euro hätte man die Familienbeihilfe für alle generell um 72 Euro im Monat anheben können. Das wären 860 Euro im Jahr für jedes Kind – egal ob die Eltern zu den Top-VerdienerInnen gehören oder gerade einmal so über die Runden kommen. Es gäbe aber noch viel bessere Möglichkeiten, diese Mittel einzusetzen.

Noch klüger: Zukunftsinvestitionen statt Familienbonus

Wesentlich klüger wäre es allerdings, eine Politik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Chancengleichheit für Kinder zu verfolgen. Beides wäre mit dem Einsatz des Geldes in der Kinderbetreuung und -bildung gegeben. Was mit den 1,5 Mrd. Euro. dort getan werden könnte, ist eine ganz schön lange Liste – so viele gute und notwendige Maßnahmen ließen sich umsetzen. Möglich wären damit nämlich:

  1. Top-Kleinkind-Betreuung in ganz Österreich: durch 37.000 neue Plätze für Frühförderung und problemlosen Wiedereinstieg.
  2. Echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie: flächendeckend ganztägig und ganzjährig geöffnete Kindergärten für alle 237.000 dort betreuten Kinder.
  3. Echte Bildungseinrichtungen: eine zusätzliche pädagogische Fachkraft jeden Vormittag in allen Gruppen aller Krippen und Kindergärten.
  4. Zweites Kostenloses Kindergartenjahr für alle
  5. +10 % Lohnerhöhung für die bereits jetzt in der Kinderbildung Beschäftigten – es sollen nicht nur die neuen Kräfte gut bezahlt werden.

Das rechnet sich, denn mehr als 600 Mio. Euro kommen direkt (Abgaben für Beschäftigte) sofort zurück, weitere 450 Mio. über die zusätzlich beschäftigten Eltern und deren Einkommen. Damit stünde eine Milliarde Euro in den Jahren danach zur Verfügung, etwa für:

  • den völligen Entfall der Elternbeiträge;
  • Modernisierungsoffensive für in die Jahre gekommene Krippen und Kindergärten;
  • Schulausbau-Offensive, um gute Arbeitsbedingungen für die LehrerInnen und echte Aufenthaltsqualität für SchülerInnen sicherzustellen;
  • weitere Lohnerhöhungen für die Angleichung der Bezahlung der Elementar-PädagogInnen mit den LehrerInnen.

Wichtig ist auch, die ganztägigen schulischen Angebote, insbesondere die verschränkte Ganztagsschule, weiterhin auszubauen. Für 40 Prozent der PflichtschülerInnen, das sind rund 230.000, soll es bis 2025 ein solches Angebot geben. Die erforderlichen Mittel für die notwendigen zusätzlichen 70.000 Plätze sind durch das Bildungsinvestitionsgesetz mit einer Dotierung von 750 Mio. Euro abgedeckt. Der Ausbau muss dabei unbedingt im gesamten Pflichtschulbereich erfolgen, und nicht erst ab der Mittelstufe wie im Regierungsprogramm vorgesehen. Den Volksschulbereich außen vor zu lassen, wäre bildungspolitisch kontraproduktiv und eine Schikane für alle berufstätigen Eltern.

Die Berechnung

Bei den konkreten Berechnungen wurde bei den neuen Beschäftigten durchwegs von einem Bruttogehalt von 3.300 Euro ausgegangen – das sind Arbeitgeberkosten von 60.200 Euro pro Jahr. Das bedeutet erstens, dass hier ausschließlich von pädagogisch qualifizierten Fachkräften ausgegangen wurde und zweitens, dass sich die Kalkulation am oberen Rand der Bandbreite befindet. Zum Vergleich: Der höchste Mindestlohntarif für KindergartenpädagogInnen beträgt nach 39 Berufsjahren 3.062 Euro brutto monatlich.

Daraus ergibt sich folgende Kalkulation:

mehr und bessere PlätzePersonal in VZÄKosten in Mio. Euro
1. Jahr2. Jahr1. Jahr2. Jahr1. Jahr2. Jahr*
unter 3-Jährige +37.000 Plätze037.00004.900300310
Kindergarten Vollzeit-Öffnung136.200136.2004.5004.500280290
2. kostenloses Kindergartenjahr3.2003.2003003009090
zusätzl. pädagogische Fachkraft345.200345.20011.50011.500710720
Lohnerhöhung bisheriges Personal----110110
Summe484.600521.60016.30021.2001.4901.520
Werte gerundet; * inkl. Lohnerhöhung +2 % für alle Beschäftigten

Platz für die Kleinsten

Gute Betreuungsangebote für Kleinkinder sind in den meisten österreichischen Bundesländern Mangelware. In der hier vorgeschlagenen Kalkulation könnten in diesem Bereich 37.000 Plätze für unter Dreijährige in ganz Österreich geschaffen werden. 300 Mio. Euro würden dafür eingesetzt.

Damit würde die Betreuungsquote in dieser Altersgruppe auf 40 % in allen Bundesländern ansteigen. In Wien würde sie sogar auf 50 % angehoben (derzeit bereits 45 %). Das bedeutet österreichweit einen Anstieg von 28 % auf 42 %. Probleme beim Wiedereinstieg wegen fehlender Plätze würden damit der Vergangenheit angehören.

Echte Vereinbarkeit durch umfassende Öffnungszeiten

Im Bereich des Kindergartens für die Drei- bis Fünfjährigen gibt es kein Problem mit der Zahl der Plätze, aber sehr wohl mit den Öffnungszeiten. Nachmittagsbetreuung gibt es viel zu selten und auch mehrwöchige Sommersperren machen berufstätigen Eltern das Leben schwer.

Derzeit sind nur 40 % der Kindergärten mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar. Mit dem hier vorgeschlagenen Paket würde das anders werden: Alle 237.000 Kinder bekämen ein Platz, der ganztägig und ganzjährig zur Verfügung steht. Dann könnte man endlich davon ausgehen, dass Frauen nicht deswegen Teilzeit arbeiten, weil die Kinderbetreuung nichts anderes zulässt.

Elementare Bildung statt nur Betreuung

Österreich hat ein im internationalen Vergleich schlechtes Verhältnis zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern. Auch das soll in Angriff genommen werden. Für jede einzelne Gruppe in allen Krippen und Kindergärten soll künftig zusätzlich eine pädagogische Fachkraft am Vormittag zur Verfügung stehen. Damit wird jene Zeit, in der die Gruppen am vollsten sind, besser abgedeckt und es würden konkrete Fördermaßnahmen ermöglicht – etwa indem eine Fachkraft mit jenen Kindern arbeitet, die besondere Unterstützung in einem Bereich brauchen. Dafür würden über 700 Mio. Euro aufgewendet.

Zu diesem Punkt gehört auch, das kostenlose zweite Kindergartenjahr für alle umzusetzen. Dafür müssen die fehlenden Plätze für die Vierjährigen und der Entfall der Elternbeiträge finanziert werden (gesamt 90 Mio. Euro)

Das ist gut investiertes Geld, denn keine Maßnahme hat eine derart positive Auswirkung auf die weitere Bildungs- und Erwerbskarriere eines Kindes wie gute elementare Bildung.

Beschäftigungsturbo statt lahme Ente

Diese Investitionen wären eine wahre Jobmaschine: Allein in der Elementarbildung würden über 21.000 neue Vollzeitjobs geschaffen werden. Mit den weiteren wirtschaftlichen Effekten würden knapp 35.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Allein dieser Effekt ist also sechsmal so hoch wie bei der familiensteuerlichen Maßnahme, die nicht einmal 6.000 Jobs bringt.

Dazu kommen die Beschäftigungseffekte durch bessere Vereinbarkeit. Mehr als 43.000 Eltern – vor allem Frauen – könnten endlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder ihre bisherigen Arbeitsstunden aufstocken, weil das durch das bessere Kinderbildungsangebot möglich würde. In Summe würde dieses Zukunftspaket also fast 80.000 neue Jobs bedeuten. Deutlich mehr als jene 6.000 vom Familienbonus.

Alle aufgezählten Maßnahmen zusammen belaufen sich auf 1.380 Mio. Euro. Von den noch zur Verfügung stehenden 200 Mio. Euro könnte eine außerordentliche Lohnerhöhung der bisher in der Kinderbildung Beschäftigten von zehn Prozent finanziert werden – um die Kluft zwischen ihnen und schulischen PädagogInnen ein kleines Stück weit zu schließen.

Alles im Fluss – zurück zur öffentlichen Hand

Mit dem Ausbau sind enorme Rückflüsse an die öffentliche Hand verbunden, denn jede und jeder der neuen Beschäftigten zahlt Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Allein 620 Mio. Euro jährlich wären es durch die in der Elementarbildung selbst Beschäftigten.

Dazu kommen die fast 43.000 neuen Jobs für Eltern. Rechnet man diese mit einem durchschnittlichen Fraueneinkommen von 1.500 Euro Monatsbrutto (inklusive Teilzeitarbeit), ergibt das Rückflüsse von weiteren 450 Mio. Euro.

Damit würden zwei Drittel der investierten Mittel unmittelbar an die öffentliche Hand zurückfließen und somit weitere zukunftsträchtige Investitionen ermöglichen.

Wie das Geld zu seinem Zweck kommt

Um sicherzustellen, dass die Mittel auch so eingesetzt werden, sollten sie im Wege des „aufgabenorientierten Finanzausgleichs“ an die Gemeinden verteilt werden. Hinter dem komplizierten Ausdruck steht die einfach Idee, dass jede Gemeinde für ein Kind in Krippe oder Kindergarten einen Zuschuss bekommt – gestaffelt nach Alter des Kindes, Öffnungszeiten der Einrichtung und einem Chancenindex, der den Förderbedarf der Kinder abbildet.

Dieser Vorschlag der Arbeiterkammer wurde in das Paktum zum Finanzausgleich aufgenommen, allerdings liegt die Realisierung seit den NR-Wahlen auf Eis. Das neue Regierungsprogramm hat dieses Ziel aber wieder aufgenommen. Sollte die Umsetzung in Angriff genommen werden, sollte man auch überlegen, wie die Mittel für Familienpolitik besser eingesetzt werden können.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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