Das deutsche Schulden­paket und EU-Industrie­politik: Staats­interventionen fürs Kapital?

24. Juni 2025

Nachdem die Ampelkoalition letztes Jahr an ihrer dogmatischen Auslegung scheiterte, haben CDU, CSU, SPD und Grüne im März 2025 die Schuldenbremse reformiert und dem deutschen Sparwahn ein Ende gesetzt. Die Reform steht, genauso wie die Hinwendung zu aktiver Industriepolitik, in klarem Widerspruch zur wirtschaftspolitischen Tradition der BRD. Die Überwindung marktliberaler Wirtschafts- bzw. restriktiver Fiskalpolitik birgt zwar progressives Potenzial für Deutschland und die EU. Eine planvolle Abkehr von neo- bzw. ordoliberalen Konzepten zum Wohle der Vielen ist aktuell jedoch nicht in Sicht.

Die „höhere Weisheit“ ordoliberaler Politik

Der Ordoliberalismus, der sich als deutsche Variante des Neoliberalismus fassen lässt, gilt als zentraler Prinzipiengeber der Wirtschaftsordnung der BRD. So wie die angelsächsischen Laisser-faire-Verfechter sind auch Ordoliberale strikt dagegen, dass der Staat „dem Markt“ die Hände bindet. Der Ordoliberalismus vertritt allerdings die Überzeugung, dass sich Unternehmertum und vollständige Konkurrenz nicht von selbst entfalten. Der Wirtschaftspolitik komme somit die Aufgabe zu, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, um eine „freie Marktwirtschaft“ durchzusetzen. Von hoher Bedeutung ist dabei eine „regelgebundene“ Auslegung von Wirtschafts- und Fiskalpolitik.

Diese Regeln sollen die Wirtschaft, als ein sich vermeintlich selbst stabilisierender Mechanismus, vor staatlichen Interventionen schützen bzw. diese Interventionen überflüssig machen. Daraus resultiert nicht nur eine scharfe Ablehnung keynesianischer Vorstellungen einer aktiven Wirtschaftspolitik (die mittels staatlicher Interventionen und expansiver Fiskalpolitik konjunkturelle Schwankungen glätten und Vollbeschäftigung gewährleisten soll), sondern ganz allgemein die Prämisse: „So viel Wettbewerb wie möglich, so viel Staat wie nötig.“

Industriepolitische Kontinuitäten und Widersprüche

Die wirtschaftspolitische Realität hat dieser Prämisse jedoch nie wirklich entsprochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die BRD – wie alle anderen europäischen Länder – auf staatliche Interventionen zur Förderung des industriellen Sektors. Starke staatliche Institutionen und eine aktive Umverteilungspolitik zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage galten als Grundlage für Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung. Wie in den anderen Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurden auch in der BRD wirksame fiskal-, industrie- und infrastrukturpolitische Steuerungsinstrumente eingesetzt, um die Wirtschaft strategisch im Sinne nationaler Prioritäten zu modernisieren.

Im Gegensatz zu anderen Ländern gelang es der BRD überdies, ihre industriepolitischen Handlungsfähigkeiten über die neoliberale Wende in den 1980er Jahren hinaus größtenteils beizubehalten. Dies gilt sowohl für vertikale Maßnahmen, die bestimmte Branchen oder Technologien gezielt unterstützen (und andere folglich benachteiligen), als auch für horizontale Maßnahmen, die Rahmenbedingungen wie Infrastruktur oder Grundlagenforschung fördern sollen, ohne steuernd in den Markt einzugreifen.

Das Postulat des absoluten Vorranges des Marktes erwies sich häufig als Lippenbekenntnis. Die ideologischen Vorbehalte gegenüber einem Staat, der planvoll ins Wirtschaftsgeschehen eingreift, führten allerdings dazu, dass die „gelebte Industriepolitik“ oftmals planlos und widersprüchlich war, weil das übergreifende ökonomische Konzept fehlte. Insgesamt wurde so vieles der „Anarchie der Produktion“ überlassen. Doch vor allem bei Sektoren mit hoher nationaler Bedeutung, wie etwa der Chemie- oder der Autoindustrie, wurden theoretische Konzepte bereitwillig ignoriert. Und spätestens mit der 2019 veröffentlichten „Nationalen Industriestrategie 2030“ erfolgte ganz offen der Bruch des offiziellen Deutschlands mit dem ordoliberalen Prinzip der „staatlichen Enthaltsamkeit“.

Die „neoliberale Deformation“ Europas

Während in der BRD immer „selektiv, zweckorientiert und interessengeleitet“ auf ordoliberale Prinzipien zurückgegriffen wurde, zeigte man sich auf europäischer Ebene weniger flexibel. Die BRD agierte ab Ende der 1980er – gemeinsam mit Großbritannien und gegen Frankreich – als die zentrale Verfechterin einer neoliberalen Wettbewerbspolitik, welche die Spielräume für vertikale Industriepolitik möglichst beschränken sollte. Aufgrund deutscher Vorbehalte wurde der Begriff Industriepolitik letztlich sogar aus dem Vertrag von Maastricht (1992) verbannt bzw. die Tätigkeit der EU auf die Schaffung „notwendiger Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie“ reduziert. Vertikale Industriepolitik verschwand zwar nicht völlig von der Bildfläche, sie geriet jedoch zusehends als ineffiziente, staatsinterventionistische und mithin „proto-sozialistische“ Wirtschaftspolitik in Verruf.

Darüber hinaus gelang es der Bundesbank und der Bundesregierung in den 1990er Jahren mit den Verträgen von Maastricht und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (1997) ihre äußerst restriktiven Konzepte von Geld- und Fiskalpolitik gegenüber den anderen EU-Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Der Vertrag verankerte nicht nur strenge Defizitregeln, sondern verbot jegliche Form der öffentlichen Refinanzierung. Die öffentliche Ausgabenpolitik der Mitgliedsstaaten stand fortan unter einem permanenten, vorwiegend ausgabeseitigen Konsolidierungsdruck. Im Sinne einer „governance through numbers“ sollten die Finanzmärkte die öffentliche Hand durch steigende Zinsen auf Staatsanleihen abstrafen, sollte diese nicht sparsam wirtschaften.

Folgenreiche Strukturreformen

Die Einflussnahme der BRD auf europäischer Ebene war so in zumindest zwei Bereichen maßgeblich für die Implementierung einer Wirtschaftspolitik in Verfassungsrang, die sich als „neoliberaler Konstitutionalismus“ beschreiben lässt. Sowohl das europäische Wettbewerbsrecht als auch die fiskalische Disziplinierung in der EU fungierten als zentrale Hebel für die Durchsetzung der neoliberalen wirtschaftspolitischen Wende. Die Wirtschaftspolitik wurde durch die übergeordneten supranationalen Rahmenwerke an Prinzipien der „Markteffizienz“ sowie am Vertrauen der Märkte ausgerichtet. Gleichzeitig wurden die wirtschaftspolitischen Orientierungen gegenüber demokratischen Prozessen und Forderungen von „unten“ (etwa Gewerkschaften oder ökologischen Bewegungen) abgeschirmt.

Diese wirtschaftspolitische Orientierung in der „euphorischen“ Phase der Marktgläubigkeit war nicht nur demokratiepolitisch bedenklich und verursachte eine massive Machtverschiebung von der Arbeiter:innenschaft hin zum Kapital. Auch gemessen an ihrem eigenen Ziel (festgehalten in der Lissabon-Strategie im Jahr 2000), die EU bis 2010 mittels Strukturreformen zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen, stellte sie sich als ineffektiv heraus. Die Implementierung neoliberaler Dogmen führte in den meisten Ländern zu niedrigen Wachstumsraten und Produktivitätszuwächsen. Das enge wirtschafts- und fiskalpolitische Korsett hinderte die EU daran, Einfluss auf die Entwicklung des industriellen Sektors zu nehmen – und das in einer Zeit, die geprägt war von technologischen Umbrüchen und sich zuspitzenden ökologischen Krisen.

Risse im neoliberalen Gebälk – neue Industriepolitik seit den 2010er Jahren

Doch nach Jahrzehnten der Marginalisierung steht Industriepolitik nun wieder auf der politischen Tagesordnung. Hatte die BRD noch bis Mitte der 2010er Jahre effektiv einen industriepolitischen Kurswechsel auf europäischer Ebene verhindert, indem sie sich gegen eine Aufweichung der EU-Wettbewerbsregeln wehrte, drehte sich der Wind spätestens 2019. Zunächst veröffentlichte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine Industriestrategie, die neben kapitalnahen Forderungen auch industrie- und außenpolitische Strategien enthält, welche in ihrer Gesamtheit durchaus bemerkenswert sind. Kurz darauf folgte ein „französisch-deutsches Manifest für Industriepolitik“, das eine umfassende Anpassung des EU-Wettbewerbs- und Beihilfenrechts forderte, um Spielräume für aktivere Industriepolitik zu öffnen.

So entscheidend Deutschlands Einfluss auf die Zurückdrängung aktiver Industriepolitik ab den 1980er Jahren war, so entscheidend war er auch auf die neue Phase der europäischen Industriepolitik, die im Zeichen einer „staatsinterventionistischen Wende“ steht. Die engen, marktliberalen Strategien von Wettbewerbsfähigkeit erscheinen als zunehmend unzulänglich, um die Position deutscher und europäischer Unternehmen im globalen Wettbewerb um Marktanteile und geoökonomische Kontrolle zu verbessern.

Im Kontext der neuen „Triade-Konkurrenz“ mit China und den USA kommt es in der EU zu einer historischen Verschiebung von der „Marktschaffung“ hin zu einer „Marktlenkung“. Der schlanke Staat scheint als politisches Leitbild ausgedient zu haben. Davon zeugt auch die neue Subventionspolitik – etwa die milliardenschweren Staatssubventionen Deutschlands für den Bau einer Intel-Chipfabrik in Magdeburg. Industriezweige, die eine hervorgehobene Rolle in der geopolitischen Konkurrenzsituation spielen, werden auch andernorts in der EU strategisch gestärkt. Das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und heimische Wertschöpfungsketten zu sichern, steht so vermehrt im Zeichen einer „Sicherheits-Nachhaltigkeits-Verflechtung“.


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Die Rückkehr des Staates – fürs Kapital?

Bemerkenswert ist zudem, dass die BRD in dieser Phase im Zuge der Coronakrise einer gemeinsamen europäischen Verschuldung im Rahmen des Wiederaufbaufonds NextGenerationEU zustimmte. Anders als während der Eurokrise pochte die deutsche Bundesregierung nicht auf Austeritätspolitik, sondern nahm den Bruch mit dem Tabu einer „Schulden- und Transferunion“ in Kauf. Beides – der Bruch mit dem Prinzip der fiskalischen Disziplin und die Hinwendung zu strategischer Industriepolitik – verweisen auf eine manifeste Krise des neoliberalen Konstitutionalismus. Der wirtschaftspolitische Thinktank „Forum for a New Economy“ spricht im Januar 2023 im Kontext der neuen Industrie- und Fiskalpolitik gar von einem „sozio-ökonomischen“ Paradigmenwechsel.

Diese Diagnose ist jedoch fragwürdig. Der Bruch mit neoliberalen Politikkonzepten bedeutet nicht, dass automatisch ein sozial-ökologischer Aufbruch folgt. Nach Jahrzehnten der Staatsskepsis und einem Rückbau staatlicher Zuständigkeit – verbunden mit einer desaströsen Liberalisierungs- und Privatisierungswelle der öffentlichen Infrastruktur – gilt der Staat wieder als Garant für Prosperität. Das ist prinzipiell eine begrüßenswerte Entwicklung. Doch die neue Staatsintervention zielt zuvorderst auf eine Stärkung der eigenen Exportindustrie in einer neuen Phase der imperialistischen Konkurrenz und Konfrontation ab.

Soziale und ökologische Leerstellen in der neuen Industriepolitik

Ökologische Aspekte, die etwa mit dem Green Deal schon stärker im Fokus standen, geraten zunehmend ins Hintertreffen, da auf die Forcierung von Wirtschaftswachstum und die Erhöhung internationaler Wettbewerbsfähigkeit gepocht wird. Sozialintegrative Aspekte konnten sich indessen nie wirklich durchsetzen. Sozial- und verteilungspolitische Instrumente wie das Klimageld im deutschen Koalitionsvertrag oder das „European Fair Transition Observatory“ im europäischen Clean Industrial Deal sind zwar angekündigt, aber es fehlt die Umsetzungsperspektive. Darüber hinaus gab es in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, keine politischen Maßnahmen, um untere Einkommensgruppen zu stärken.

Und während der amerikanische „Inflation Reduction Act“ als Positivbeispiel für industriepolitische Konditionen gilt, wurde es in Deutschland und in der EU oftmals verabsäumt, staatliche Interventionen und Subventionen an soziale und ökologische Bedingungen zu knüpfen. (Als Negativbeispiel kann hier der Fall Lufthansa dienen). Die Ära des zurückhaltenden Staates und des Vertrauens in die Märkte scheint so zwar zu enden. Neoliberale Wettbewerbspolitik im Sinne eines „Wettbewerbs nach unten“ in Bezug auf Arbeitsmärkte oder Sozialpolitik ist hingegen nicht passé. Ganz im Gegenteil: Sowohl in Deutschland als auch in der EU wird die Rückkehr des Staates begleitet von einer neoliberalen Offensive und einer neu aufflammenden Leidenschaft für das Thema Wettbewerbsfähigkeit.

Wettbewerbsfähigkeit – alter Wein in neuen Schläuchen?

Mit ihrer „Agenda 2030“ verspricht die CDU einen „echten Politikwechsel“, der die deutsche Wirtschaft aus der Rezession führen soll. Der Name ist nicht zufällig an die unrühmliche „Agenda 2010“ unter Gerhard Schröder angelehnt, die eine einschneidende Liberalisierungswelle des Arbeitsmarktes und Sozialstaates einleitete. Vor allem im Interesse des Exportsektors sollen die Verwertungsbedingungen für Unternehmen verbessert werden, um deren Profitabilität zu steigern. Das soll, gemäß der Zombie-Idee des Trickle-down-Effekts, das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Und auch wenn sich die Unionsparteien und die SPD in Deutschland von der „schwarzen Null“ verabschieden, droht in der neuen Legislaturperiode eine Kürzungspolitik für die Mehrheit der Menschen. Während unbegrenzte Militärausgaben ermöglicht werden, stehen Sozialleistungen oder Zuschüsse in der Elternzeit bereits auf der Kippe.

Auch die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen versucht mit Rezepten aus den 1990ern, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beizukommen. Rund 25 Jahre nach der Lissabon-Strategie erreicht das Thema Wettbewerbsfähigkeit mit dem einflussreichen Draghi-Bericht eine neue Virulenz. Der Ökonom Werner Raza konstatiert, dass in Zukunft die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wieder zum Maß aller Dinge in der europäischen Wirtschaftspolitik werden könnte. Die 2025 präsentierten industriepolitischen Initiativen der Europäischen Kommission weisen so eine klare Schlagseite auf. Der Wettbewerbskompass, der auf dem Draghi-Bericht aufbaut und der Clean Industrial Deal weisen zwar einzelne sinnvolle Vorschläge auf. Insgesamt drohen sie jedoch mit ihrem Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Deregulierung Fortschritte des Green Deal zu unterminieren.

Panzer statt E-Autos?

Dazu kommt, dass sowohl in Europa als auch in Deutschland wesentlich mehr Geld in die militärische Aufrüstung investiert werden soll. Angesichts des fortwährenden Spardiktats in der EU ist zu befürchten, dass Geld für Rüstungsausgaben aus dem Bereich öffentlicher und sozialstaatlicher Leistungen abgezogen wird. Insbesondere deshalb, weil Deutschland die gemeinsame Schuldenaufnahme weiter blockiert und auch die überarbeiteten EU-Fiskalregeln die Verschuldungsmöglichkeiten einzelner Staaten weiterhin beschränken. Trotz des französischen Drängens blockiert der neue Bundeskanzler Friedrich Merz gemeinsame EU-Schulden für Investitionen in Infrastruktur und Dekarbonisierung. Merz bezeichnete das Anleiheprogramm NextGenerationEU in einer Debatte im Bundestag als „eine Ausnahme“ und verspricht, alles zu tun, „um zu vermeiden, dass sich die EU in eine Verschuldungsspirale begibt“.

In Deutschland schafft man sich hingegen endlich finanzielle Spielräume, nur um sich dann für einen einseitigen Militär-Keynesianismus zu entscheiden. Das Geld für grüne Industriepolitik ist demgegenüber äußerst knapp bemessen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die Sondervermögen, die Teil der Schuldenbremse-Reform sind. Diese sehen defizitfinanzierte Ausgaben in Höhe von 400 Milliarden Euro für Infrastruktur und weitere 100 Milliarden für grüne Investitionen in den kommenden zwölf Jahren vor. Jedoch sind die zusätzlichen Mittel (8,33 Milliarden p.a.) für eine ambitionierte grüne Industriestrategie völlig unzureichend.

Fazit

Der neoliberale Konstitutionalismus könnte sich somit einmal mehr, wie schon nach der Finanz- und der Coronakrise, als „halbdurchlässige Membran“ herausstellen. Er erweist sich als flexibel und durchlässig, wenn es um neue Schulden für Rüstungsausgaben oder die Stärkung nationaler Unternehmen im globalen Wettbewerb geht. Wenn es hingegen um eine aktive Wirtschafts- und Investitionspolitik im Sinne einer ökologischen Modernisierung oder Sozialleistungen zur Verringerung der ökonomischen Ungleichheit geht, erweist er sich als undurchdringbar.

Doch sowohl die neue Legitimierung des Schuldenmachens als auch die demokratischen Potenziale der staatsinterventionistischen Wende stellen einen Handlungsauftrag für progressive Kräfte dar. Im Kontrast zur marktliberalen Agenda der letzten Jahrzehnte bietet ein steuernder Staat und ein „Comeback der Planung“ zumindest theoretisch die Möglichkeit, die wirtschaftliche Entwicklung in eine soziale und ökologische Richtung zu treiben. Ebenso stellt sich nunmehr nicht weiter die Frage, ob der Staat Geld ausgibt, sondern wofür und wem die neuen Schulden dienen.

Solidarische Alternativen statt Exportabhängigkeit

Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass unter dem Druck der Umstände dramatische politische Richtungswechsel möglich sind. Deutschlands industriepolitische Geschichte verdeutlicht, dass staatliche Interventionen eher die Regel als die Ausnahme sind. Weder fiskalische Disziplin noch die Auslagerung wirtschaftspolitischer Entscheidungen an „die Märkte“ sind eine rein technische Notwendigkeit. Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und andere progressive Kräfte müssen einer geoökonomisch motivierten Variante öffentlicher Planung, die eine immer aggressivere Standortpolitik betreibt, alternative Modelle entgegenstellen.

Denkbar wäre eine aktive Industrie- und Investitionspolitik im Sinne einer binnenmarktorientierten Entwicklungsstrategie. Diese würde die „Gier nach Wettbewerbsfähigkeit“ hintanstellen und die Exportabhängigkeit reduzieren, um gegen räumliche und soziale Ungleichheiten in der EU vorzugehen. Vor allem vor dem Hintergrund geopolitischer Fragmentierung und von Handelskriegen wäre eine Stärkung der Binnennachfrage eine verlässliche Wachstumsstrategie. Gleichzeitig könnte eine gerechte wie planvolle Industriepolitik sowie ein ambitionierter grüner Keynesianismus die „Transformationsmüdigkeit“ der breiten Mehrheit mindern und somit den Aufstieg der radikalen Rechten einbremsen.

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