Wer sich mit den „großen“ sozialpolitischen Auseinandersetzungen in der jüngeren österreichischen Geschichte befasst – von Krisenursachen & Krisenbewältigung, Arbeitslosigkeit, Armut, Gleichstellungsdefiziten bis zu Pensionen –, erkennt rasch: Narrative zeigen ihre Wirkung!
Budget folgt Diskurs: Armut vs. Trickle-down
Zuerst verschieben sich die Debatten, früher oder später auch die Budgets! Wie unterschiedlich der Geldhahn auf- oder abgedreht wird, sehen wir sehr oft beim Vergleich von Diskursen zu den Themen Armut oder Arbeitslosigkeit im Gegensatz zu Unternehmensförderung oder Steuergeschenken für Unternehmen.
Wer Armut und Arbeitslosigkeit als ausschließlich individuelles (!) und demnach nicht als strukturelles, differenziertes Problem – konjunkturell, in Zusammenhang mit Qualifikationen, Transformation, Managementfehlern u.v.m. – beschreibt und begreift, neigt auch schneller und radikaler dazu, mit abwertenden Zuschreibungen den materiellen Druck gerade auf diese prekäre Gruppe zu erhöhen.
Am Ende konkretisieren sich dann Forderungen nach einem „degressiven Arbeitslosengeld“ oder anderen „technischen“ Ideen zum Aufknüpfen der sozialen Netze – Mindestsicherung, Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung – zu unsozialen, spürbaren Sanktionierungen und steigendem „Stress“ – „Stresstests“, die kaum wer unbeschadet überstehen kann! Im zeitlichen Rückspiegel: Die Grünen konnten in der letzten Gesetzgebungsperiode noch gröbere Einschnitte in der Arbeitslosenversicherung zwar verhindern, aber die beschlossene Mittelkürzung für das AMS und die Nicht-Valorisierung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe sind und bleiben ein klares und symbolisches Signal des Drucks.
Umgekehrt verhält es sich oft mit Thesen zum „Trickle-down-Effekt“. Demnach brauche es eine „Schonung“ von Vermögen und Unternehmen, denn es wären genau – vermeintlich sogar ausschließlich – sie, die für die Wertschöpfung im Land und einen starken Wirtschaftsstandort verantwortlich sind. Demnach darf es auch nicht überraschen, dass Unternehmensförderungen zu großzügig und ohne Gegenfinanzierung konzipiert waren oder das Schließen von Steuerlücken/Nicht-Handeln im Bereich der vermögensbezogenen Steuern, wie es Österreich sogar Europäische Kommission und OECD regelmäßig empfehlen, eher zum Tabu erklärt werden. Die Senkung der Körperschaftssteuer, Lohnnebenkostensenkungen und Förderungen in Milliardenhöhe sind das Resultat!
Gerade die „Trickle-down“-Erzählung ist eine besonders perfide neoliberale, mit vorgeschobenen Argumenten der „Standortqualität“, aber leider sehr erfolgreiche Erzählung: Überdimensionale Pakete werden schnell geschnürt – vgl. die aktuelle Debatte in Deutschland mit rund 46 Mrd. Euro bis 2029, womit wieder Tempo und Druck auf andere Staaten steigen! Am Ende fließen zu hohe Förderungen, die Einnahmenseite erodiert („Race to the bottom“) und der Faktor Arbeit bleibt überproportional belastet. Trickle-down ist und bleibt ein teurer, neoliberaler Trick!
Narrative: Wenn das „Wir“ gefährlich wird!
Das „Wir“ soll eigentlich universell für Verbindung und Empathie stehen – tut es aber nicht immer. In populistischen Auseinandersetzungen wird nämlich gerne ein konstruiertes und emotionales „Wir“ erschaffen und klar gegen ein konkretes (!) „die anderen“ eingesetzt. Dieses Muster ist gerade in Österreich alles andere als neu. Walter Ötsch hat bereits im Jahr 2000 in seinem Buch „Haider light“ die traurigerweise bis heute weit verbreiteten rhetorischen Sprachmuster herausgearbeitet.
Im Kern geht und ging es stets um eine Art „Sündenbock“-Politik – z. B. zulasten von armutsbetroffenen Menschen oder Menschen mit Fluchthintergrund. Alle positiven Ansätze einer fortschrittlichen Sozial- oder Integrationspolitik wurden damit schrittweise zersetzt. Ganz unverhohlen ausgerufener Wohlfahrtschauvinismus – im Sinne von „Mehr für unsere Leute“ – scheint die neue Leitschnur zu sein, die auch Stimmen bei Wahlen bringt. Dass die Gesellschaft an Zusammenhalt und Vielfalt verliert, wird schlichtweg in Kauf genommen!
Gerade in Zeiten von Budgetkonsolidierungen verbreitet sich die strukturelle Abwertung im Sozialstaatsdiskurs gegenüber bestimmten Gruppen besonders: Sie betrifft allen voran Asylwerber:innen, Arbeitslose, Migrant:innen, Sozialhilfeempfänger:innen, Niedrigqualifizierte, Beamt:innen mit scheinbaren Privilegien – um nur ein paar negative „Klassiker“ zu nennen.
Nicht-Differenzieren und Emotionalisieren sind somit starke Hebel in Debatten. Aktuell bzw. bis vor Kurzem scheinen drei Narrative besonders prägend zu sein und sich wieder auf ein starkes „Wir“ zu berufen, das über kurz oder lang alles andere als integrativ und inklusiv wirken wird, sollte es eine unsoziale Deutungshoheit erlangen und die Gewichtung der Budgets für die Zukunft bestimmen.
Gleichzeitig bleibt die zentrale Frage: Wer ist „wir“? Oft versteckt sich hinter dieser Form der Verallgemeinerung und der reinen Durchschnittsbetrachtung eine Ablenkung von bestehenden Schieflagen!
„Gängiges“ Storytelling ohne Evidenz
- Aussage 1: Wir sind besser durch die Krise gekommen als andere Länder.
- Aussage 2: Wir müssen mehr und länger arbeiten.
- Aussage 3: Wir haben über die Verhältnisse gelebt.
Der kompakte Faktencheck ist eindeutig – es gibt weder ein verallgemeinerbares „Wir“, noch stimmen die aufgestellten Thesen:
Faktencheck zu Aussage 1: falsch!
- Österreich mit längster Rezession in der Nachkriegszeit und moderatem Ausblick, steigende Arbeitslosigkeit, kein Abbau der strukturellen Defizite am Arbeitsmarkt bzw. von Verteilungsschieflagen
- Quellen: WIFO-Prognosen, Arbeitsmarktmonitor
Faktencheck zu Aussage 2: falsch!
- Bei Vollzeitbeschäftigung hat Österreich die drittlängsten Arbeitszeiten; über 40 Mio. Mehr-/Überstunden werden Jahr für Jahr nicht abgegolten
- Hohe Arbeitslosigkeit und unfreiwillige Teilzeit (insb. bei Frauen) sind hausgemacht – vgl. fehlende soziale Infrastruktur (von Elementarbildung bis Pflege) und deuten mehr auf ein strukturelles und gesamtstaatliches Planungsversagen hin als auf individuelle „Präferenzen“, kurz oder weniger zu arbeiten!
Faktencheck zu Aussage 3: falsch!
- Krisenkosten bleiben unterschiedlich verteilt
- Schieflagen in der Einkommens- und Vermögensverteilung akzentuieren sich neu
Trauriges Faktum ist: Das Doppelbudget der Bundesregierung konnte sich noch nicht ausreichend von diesen Narrativen lösen. Am Ende bleiben im Kern der AK-Analyse: negative Verteilungswirkungen, private Haushalte – gerade jene mit wenig Budgetspielraum – schultern den Löwenanteil, Schonung der Unternehmen, ausgabenseitiger Hauptfokus. Die „Offensivmaßnahmen“ sind als minimaler Ausgleich für das im Kern schwarz-blaue – nach Brüssel gemeldete – Paket übrig.
Sozialer Kompass für Neustart
Für den Blick nach vorne brauchen die Bundesregierung und andere relevante Entscheidungsträger:innen wieder einen sozialeren „Kompass“ und die Fähigkeit, zu differenzieren. Mit einfachen und einseitigen Narrativen lässt sich die Komplexität unserer Zeit nicht erfolgreich bewältigen und gestalten.
Eine breit angelegte High-Road-Strategy bzw. Qualitätsstrategie – Konzepte dafür sind alles andere als neu! – mit sozialer und ökologischer Peilung wären beispielsweise eine Richtschnur, die den Menschen und dem Wirtschaftsstandort gleichermaßen zugutekäme.
Sie würde – wenn sie kohärent und konsequent von der Kinderbildung bis zur Erwachsenenbildung oder von der Innovationsförderung bis zur Bildung von Wirtschaftsclustern reichte – auch die Solidaritätsbänder in der Gesellschaft wieder robuster machen, weil es für die Vielen wieder eine gute Perspektive gäbe!