Weil Wien alle braucht: Wie wir die Arbeits­markt­situation von zuge­wan­derten Menschen in Wien verbessern

07. August 2025

Dass Wien wächst, sind gute Nachrichten, weil uns Arbeitskräfte in wichtigen Branchen wie der Pflege und Betreuung oder im öffentlichen Verkehr fehlen. Wien wächst auch deshalb, weil sich Menschen, die ihr Heimatland aufgrund von Verfolgung oder Krieg verlassen mussten, hier ein neues Leben aufbauen möchten. Damit diese Menschen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, Kontakte zu anderen aufbauen und zur Solidargemeinschaft beitragen können, ist eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt zentral. In Wien werden zwar bereits Maßnahmen dafür umgesetzt, zentrale Hebel für eine erfolgreiche Integration bleiben aber ungenutzt.

Der oft lange Weg in Richtung Arbeitsmarktintegration

Für nach Österreich geflüchtete Menschen gibt es viele Herausforderungen, die sie vor einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt überwinden müssen. Obwohl es zentral ist, Deutsch zu erlernen, vergeht im Asylverfahren oft viel ungenutzte Zeit. Haben die Menschen einen anerkannten Schutzstatus, so ist grundsätzlich der österreichische Integrationsfonds (ÖIF) für den Spracherwerb und die Integrationsschulungen zuständig. Viele der geflüchteten Menschen zieht es dann auch nach Wien, weil hier einerseits ihre entsprechenden Communitys leben und sie sich bessere Arbeitsmarktchancen erhoffen. In weiterer Folge müssen sich die Personen, sofern sie grundsätzlich arbeitsfähig sind, beim AMS als arbeitsuchend vormerken, das ist Voraussetzung für den Bezug der Mindestsicherung. Was die Menschen an Kompetenzen, Ausbildungen, aber auch an Erfahrungen mitbringen, ist höchst unterschiedlich, das zeigen auch Studien über Personen aus spezifischen Herkunftsländern (bspw. Ukraine, Syrien). Beim AMS wird also sowohl an der Arbeitsmarktintegration als auch am Nachholen von Ausbildungen bzw. in Richtung Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen gearbeitet. Obwohl hier arbeitsmarktpolitisch in Wien schon viel passiert, gibt es Ansatzpunkte für dringend notwendige Verbesserungen.

Hebel für eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt

Geflüchtete Menschen und aus der Ukraine Vertriebene haben einen hohen Bedarf nach Orientierung, Beratung und Begleitung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt. Dieser Bedarf wird mit den bereits gesetzten Maßnahmen noch nicht gedeckt. Weil mitgebrachte Qualifikationen oder auch Berufswünsche oft nicht berücksichtigt werden (können), werden diese Menschen möglichst rasch, mitunter auch während eines Deutschkurses, auf verfügbare, meist prekäre Jobs vermittelt. Diese Jobs gehen oft mit kurzer Beschäftigungsdauer, niedriger Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen einher. Zusätzlich vergeht auf der Suche nach einem passenden geförderten Deutschkurs und der Absolvierung der Kurse oft viel Zeit, bis die Menschen auf ein für die Praxis ausreichendes Deutschniveau kommen. Gute Sprachkenntnisse sind aber die Voraussetzung für ein Weiterkommen auf dem Arbeitsmarkt. Damit zugewanderte Menschen in Wien eine Chance auf eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration mit guten Arbeitsbedingungen und einer höheren Beschäftigungssicherheit bekommen, müssen aus unserer Sicht einige zentrale Hebel betätigt werden.


© A&W Blog


Hebel 1: Mehr Personal und Budget für das AMS

Das AMS Wien ist neben der Verwaltung und Auszahlung der Existenzsicherung von arbeitslosen Personen mit der Umsetzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Wien beauftragt. Um diese Aufgaben erfolgreich umzusetzen, braucht das AMS Wien ausreichend Personal und finanzielle Mittel. Das wird auch klar, wenn man sich vor Augen führt, für wen das AMS Wien alles zuständig ist: Es sind nicht nur Personen beim AMS gemeldet, die eine Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz beziehen, sondern alle arbeitsfähigen Wiener:innen, die aktiv nach Arbeit suchen. Das Wiener Mindestsicherungsgesetz sieht zudem vor, dass Mindestsicherungsbezieher:innen „zur Abwendung und Beseitigung der Notlage ihre Arbeitskraft einzusetzen haben“. Das bedeutet, dass geflüchtete Personen sich ab Schutzgewährung beim AMS arbeitslos melden müssen, um Mindestsicherung beziehen zu können. Sie werden dementsprechend vermittelt oder zu Schulungen zugebucht, die die Integration in den Arbeitsmarkt fördern sollen.

Eine neue Studie von AK, AMS und waff zeigt auch, dass die meisten der AMS-Kund:innen mit max. Pflichtschulabschluss (77 Prozent) die AMS-Betreuung als eher bzw. sehr unterstützend wahrnehmen. Bildungsangebote, wie z. B. Deutschkurse, werden als besonders hilfreich erlebt. Das AMS Wien hat für die Erfüllung der ihm momentan übertragenen Aufgaben derzeit rund 100 Berater:innen zu wenig, da die vorangegangene Bundesregierung in den letzten Jahren stetig AMS-Personal abgebaut hat. Die jetzige Regierung hat den Abbau zwar gestoppt, ein deutlicher Ausbau scheint aber ob der angespannten Budgetlage in Österreich momentan nicht realistisch. Mehr Personal ist aber notwendig, um eine gute Beratung, die eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt in den Blick nimmt, zu ermöglichen. Und: Sie würde sich rechnen! Denn bessere Beratung führt zu einer nachhaltigeren Arbeitsmarktintegration und reduziert so die Arbeitslosigkeitsdauer.

Außerdem braucht das AMS Wien ein ausreichendes Förderbudget, um Maßnahmen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik deutlich auszubauen. Solche Maßnahmen unterstützen auch – aber nicht nur – zugewanderte Menschen. Es gibt einen höheren Bedarf beim Jugendcollege, bei den Deutschkursen, bei vorbereitenden Angeboten vor fachlichen Ausbildungen – wo es im Wesentlichen um das Nachholen von Basisbildung geht – und beim Angebot an geförderten fachlichen Ausbildungen, inklusive sprachlicher Schulungen. Es bräuchte mehr modulare Angebote, die auch Beschäftigungsphasen ermöglichen. Wichtig wäre zudem eine stabile Begleitung von Arbeitsuchenden mit sinnvollen abgestimmten Fördermaßnahmen („Förderketten“) bis hin zu einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration. Hier gilt wie beim Personal: Das kostet Geld im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, aber es schafft mittelfristig mehr Einnahmen durch eine stabilere Beschäftigungsintegration.

Hebel 2: ein ausreichendes Angebot an passenden Deutschkursen

Je nach Komplexität können Asylverfahren bis zu einem Jahr und darüber hinaus dauern. Während des Asylverfahrens ist der Zugang zu geförderten Deutschkursen nicht für alle offen: Der ÖIF fördert nur Deutschkurse für Asylwerber:innen mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit. Sobald zugewanderte Menschen Asyl oder subsidiären Schutz gewährt bekommen, haben sie ebenso das Recht, an ÖIF-Kursen teilzunehmen. Teilnehmer:innen in ÖIF-Kursen dürfen einen Kurs maximal einmal wiederholen, schaffen sie den Kurs auch beim zweiten Antritt nicht, bekommen sie vom ÖIF keinen Kursplatz mehr. Hier springt dann oft das AMS ein.

Das AMS Wien hat im vergangenen Jahr jährlich rund 23.000 Deutschkursplätze angeboten. Hauptzielgruppe der AMS-Deutschkurse sind aber (aufgrund der Kompetenzaufteilung mit dem ÖIF): Drittstaatsangehörige, EWR-Bürger:innen sowie Österreicher:innen mit Migrationshintergrund. Trotzdem war ein nicht unerheblicher Anteil an Konventionsflüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten in AMS-Deutschkursen, da die Menschen beim ÖIF oft keinen Deutschkurs mehr bekommen haben. Hier sind Verbesserungen beim ÖIF hinsichtlich der zur Verfügung gestellten Kursplätze und der Begleitung der Teilnehmer:innen dringend notwendig. Denn diese Menschen müssen für einen erfolgreichen Kursabschluss entsprechend begleitet werden, z. B. bei Behördenwegen, der Regelung von Betreuungspflichten und gesundheitlichen Problemen.

Auch bei den AMS-Deutschkursen gibt es Hebel, um das System zu verbessern: eine höhere Wochenstundenanzahl (derzeit haben die Kurse 15 Wochenstunden, dauern aber in der Regel 14 bzw. 21 Wochen) einhergehend mit einer kürzeren Gesamtdauer der Kurse und eine stärkere Verzahnung von Deutschunterricht mit beruflichen Ausbildungsinhalten wäre sinnvoll. Hier gibt es schon Ansätze, die ausgebaut werden sollten. Die aktuelle Studie von Kohlenberger et al. zeigt zudem, dass es auch inhaltliche Verbesserungspotenziale bei den Deutschkursen gibt, die in eine entsprechende Weiterentwicklung einfließen sollten.

Hebel 3: Deutsch lernen hat Priorität vor Vermittlung

Die Regelungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) und des Arbeitsmarktservicegesetzes (AMSG) führen zu dem strengen Grundsatz: (Jede) Vermittlung geht prinzipiell vor Qualifizierung. Wenn sich Geflüchtete und Ukraine-Vertriebene beim AMS vormerken, die Sprachkompetenzen nicht ausreichend sind und mitgebrachte Ausbildungen nicht so einfach anerkannt werden können, führt der Weg daher – wenn überhaupt – eher in niedrigqualifizierte und oft prekäre Arbeitsmarktsegmente.

In der Praxis ergeben sich daraus u. a. auch folgende Probleme bei Deutschkursen: Wird eine leistungsberechtigte Person vom AMS zu einem Deutschkurs zugebucht, muss dieser als „zumutbare Wiedereingliederungsmaßnahme“ lt. AlVG besucht werden, sonst kann eine 6- und im Wiederholungsfall eine 8-wöchige Leistungssperre verhängt werden. Die Schulungsträger müssen während der Sprachkurse Vermittlungsaktivitäten setzen und auch das AMS macht weiterhin Vermittlungsvorschläge. Diese konzentrieren sich tendenziell auf das Ende des Kurses, was ja auch Sinn macht. Problematisch ist es allerdings, wenn die Personen auch während laufender Kurse Vermittlungsvorschläge für Arbeitsplätze bekommen, bei denen der Beginn der Beschäftigung vor dem Ende des Kurses liegt. Wenn Kursteilnehmer:innen die Bewerbung auf zumutbare Stellen verweigern, kann das ebenso zu einer Leistungssperre von 6 bzw. 8 Wochen oder zu Kürzungen in der Mindestsicherung führen. Im Zuge der Vorstellungsgespräche bei Unternehmen kommt es in der Praxis vor, dass Kursteilnehmer:innen wahrheitsgemäß erklären, dass sie sich gerade in einem Deutschkurs befinden und diesen auch gerne beenden möchten. Diese Aussage wird vom potenziellen Arbeitgeber an das AMS rückgemeldet, das kann vom AMS als mangelnder Arbeitswille gewertet werden, was in weiterer Folge zu einer Leistungssperre führen kann. Hier wäre es sinnvoll, die Ablehnung einer Beschäftigung, die vor dem Kursende beginnen würde, nicht mit einer Sanktion nach dem AlVG zu belegen bzw. dies zumindest als Nachsichtsgrund bei einer Beschwerde zu werten.

Die meisten Menschen möchten den Deutschkurs absolvieren, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und einen entsprechenden Nachweis zu erlangen. Gegen Ende der Ausbildung ist es durchaus sinnvoll, dass bereits beim Kursträger an einer (adäquaten) Arbeitsmarktintegration gearbeitet wird. Jedoch sollten Deutschkurse im AMS gleich wie andere Ausbildungen (bspw. berufliche Qualifizierungen) behandelt werden, d. h. es sollte keine aktive Vermittlung in Jobs, die die Weiterführung der Bildungsmaßnahme behindern, während der laufenden Kursmaßnahme stattfinden. Gerade in Zeiten knapper Budgets ist es angebracht, dass Kursplätze auch tatsächlich belegt und die Bildungsziele erreicht werden.

Hebel 4: Deutschkurse, niederschwellige Beratung und Navigation durch Bildungssystem und Arbeitsmarkt

Für eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist es wichtig, dass alle Berufsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt prinzipiell offenstehen, wofür wiederum Deutschkenntnisse, sowohl für die Ausbildung als auch im Job, unumgänglich sind. Um zu verhindern, dass zugewanderte Menschen vorwiegend in niedrigqualifizierten Segmenten des Arbeitsmarktes Arbeit finden, ist es wichtig, dass Geflüchtete und aus der Ukraine Vertriebene die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen. Hierfür ist wichtig, dass Kurse so früh wie möglich nach Ankunft belegt werden können, der finanzielle Druck, irgendeine Arbeit anzunehmen, verringert wird, flächendeckend niederschwellige Beratung und Begleitung bei der Navigation durch das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt geboten wird und auch die Verschränkung von Ausbildungen bzw. Arbeit und Deutschkursen stärker forciert wird.

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