Ja zu einem Grundrecht auf Natur

08. Juli 2022

„Betreten verboten!“ Der öffentliche Zugang zu Österreichs Seen ist oft unnötig schwierig, das Sammeln von Pilzen und Früchten im Wald nicht erlaubt, oder es werden Wanderwege durch Private einfach gesperrt. In skandinavischen Ländern oder Bayern kann das nicht passieren, denn dort haben Erholungssuchende mehr Rechte. Es braucht ein Grundrecht auf Naturgenuss auch für Österreich!

Bereits vor der Pandemie war zu beobachten, dass immer mehr Menschen ihre Zeit in der Natur verbringen, egal ob im Wald, in den Bergen oder an Seen. Dieser Trend hat sich mit der Pandemie noch verstärkt. Umso bedauerlicher war es, dass im ersten Jahr der Corona-Pandemie der Zugang zu öffentlichen Parkanlagen, Seen, Wäldern mancherorts erschwert wurde. Besonders willkürlich waren die Sperren der großen Bundesgärten sowie der Parkplätze, die Ausgangspunkt von Wanderwegen sind, wo der Zugang am unproblematischsten gewesen wäre. Ungeachtet des hohen gesellschaftspolitischen Stellenwerts zur Erholung in der freien Natur fehlt in Österreich ein allgemeines Recht, das die Wegefreiheit und den Zugang zur freien Natur gewährleistet. Zwar ist es seit 1975 gesetzlich erlaubt, den Wald unentgeltlich zu betreten. Aber es gibt auch viele rechtliche Unsicherheiten, wie eine aktuelle Studie „Recht auf Natur – Freier Zugang zur Natur“ aufzeigt. Nicht selten fallen hohe Parkplatzgebühren an, um überhaupt in den Wald zu kommen. Auch das Sammeln von Pilzen steht immer wieder zur Diskussion. In Kärnten oder Tirol werden gar Schilder mit „Pilze sammeln verboten“ aufgestellt. Jurist:innen sind sich uneinig, ob das jetzt erlaubt ist oder nicht. Die für Erholungssuchende negativen Auswirkungen dieser Rechtsunsicherheit können insbesondere die alpinen Vereine seit einigen Jahren beobachten: Es wird vermehrt versucht, den freien Zugang zur Natur einzuschränken, zum Beispiel mit ungerechtfertigten Wegesperren.

Was bislang in Österreich fehlt, ist ein allgemeines Recht, das die Wegefreiheit und den Zugang zur freien Natur gewährleistet. Wie kann ein maßvoller Zugang zur Natur im Interesse der Allgemeinheit in Österreich rechtlich besser festgelegt werden? Wie kann für Erholungssuchende der freie Zugang zur Natur besser abgesichert werden?

Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele in Europa. So ist in der bayrischen Verfassung bereits seit 1947 ein „Grundrecht auf Naturgenuss und Erholung in der freien Natur“ verankert. Es ist festgehalten: „Staat und Gemeinden sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu den Bergen, Seen und Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkung des Eigentumsrechts freizumachen.“ In den skandinavischen Ländern gilt das „Jedermannsrecht“, das Recht aller, die Natur und deren Früchte kostenlos zu nutzen, und in der Schweiz gibt es weiter gefasste Betretungsrechte für die Allgemeinheit. Diese Beispiele zeigen, dass ein besserer Zugang zur Natur in einer Gesellschaft, in der es allen gut gehen soll und das Bedürfnis nach Erholung befriedigt werden kann, keine Utopie sind.

Eigentum verpflichtet, sozial zu handeln

In Österreich gab es die ersten Bestrebungen für ein Gesetz über die Wegefreiheit im Bergland bereits im Jahr 1908 – also vor mehr als hundert Jahren. Vor fast 50 Jahren, im Juli 1975 wurde im Nationalrat das Forstgesetz beschlossen. Dies erlaubte es, den Wald zu betreten und sich dort aufzuhalten. Ein Meilenstein! Denn erstmals wurde das freie Betreten des Waldes, um sich dort zu erholen, gesetzlich erlaubt! Die Debatte zum Forstgesetz wurde im Nationalrat vom Kärntner SPÖ-Abgeordneten Herbert Pansi mit diesen Worten eröffnet. „Durch die Öffnung des Waldes wird aber auch die Bewegungsfreiheit unserer Staatsbürger wesentlich erweitert, denn der Mensch kann sich nun im Wald frei bewegen, und es werden zweifellos nunmehr die Waldbesucher im Wald jene Erholung finden, die sie von ihm erwarten.“ Er bezeichnete dieses Gesetz als „Jahrhundertgesetz“.

Nun, nach fast 50 Jahren, ist es hoch an der Zeit, einen nächsten Schritt zu setzen und ein Grundrecht auf Natur in der Verfassung zu verankern. Das gesetzliche Betreten und die Erlaubnis, sich zu erholen, sollte sich nicht nur auf den Wald beschränken, sondern ganz allgemein auf die freie Natur, auf den Zugang zu See- und Flussufern, Ödland, Almen etc. – also alles, was unter „freier Natur“ zu verstehen ist. Damit sich die Menschen überall in der Natur erholen und frei bewegen zu können. Die Studie „Recht auf Natur – Freier Zugang zur Natur“ der Arbeiterkammern, Naturfreunde Österreich und der Österreichische Alpenverein zeigen konkrete Lösungen auf. So wird eine Verfassungsbestimmung für ein Grundrecht auf Naturzugang ausformuliert.

Eigentum verpflichtet

Ein Grundrecht auf Naturgenuss stellt keine Enteignung des Eigentums dar. Vielmehr wird das Thema der Sozialpflichtigkeit in den Mittelpunkt gerückt. Denn: Eigentum verpflichtet. So ist etwa in Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes klar festgehalten, dass Eigentum zugleich auch dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen hat. Der Abgeordnete Pansi formulierte es in der Debatte zum Österreichischen Forstgesetz 1975 so: „Wir hätten ja einen komischen Zustand, wenn jeder, der Eigentum besitzt, das Eigentum restlos nur für sich in Anspruch nehmen könnte und alle anderen ausschließt, weil ja nur ein kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung in der Lage ist, Eigentum an Grund und Boden zu besitzen. Wir glauben, dass dann, wenn die breite Masse das Bedürfnis hat und ein echtes Bedürfnis auch wirklich gegeben ist, das Eigentum bestimmte Beschränkungen auf sich nehmen muss.“ Diese Worte gelten auch heute noch – mehr denn je, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht und immer mehr Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich ihren Lebensunterhalt bezahlen können.

Auch die öffentliche Hand, also Bund, Länder und Gemeinden, sind gefordert, den freien Zugang zur Natur und Landschaften zu fördern. Positivbeispiele gibt es bereits jetzt schon: So bietet Wien viele kostenlose Badeplätze, Gratisbadeplätze am Attersee in Oberösterreich werden ausgebaut und viele Wanderwege von Städten und Gemeinden angelegt.

Grundrecht auf Natur ist im öffentlichen Interesse

Der Zugang zur Natur, Naturräumen und Naherholungsgebieten hat sowohl gesundheitspolitische als auch wirtschaftliche Aspekte. Die Lockdowns in der Corona-Pandemie hatten erhebliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit vieler Menschen. Dies zeigt, dass der Zugang der breiten Bevölkerung zur Natur, um sich erholen zu können, auch von großem öffentlichem Interesse ist. Die österreichische Politik ist daher gefordert, dem zunehmenden gesellschaftlichen Stellenwert der Erholung in der freien Natur bessere rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. So können Unsicherheiten und Einschränkungen vermieden werden. Was es braucht, ist Grundrecht auf Natur in der Verfassung, um dem zunehmenden gesellschaftlichen Stellenwert zur Erholung in der freien Natur gerecht zu werden. Damit Baden, ohne Eintritt bezahlen zu müssen, möglich ist, Pilze sammeln endlich auch rechtlich abgesichert ist oder Wanderwege nicht mehr zu Unrecht gesperrt werden.

Dies ist ein gekürzter Beitrag der Zeitschrift Wirtschaft und Umwelt 2/2022, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe diesem Thema widmet.

Tipp: Nachlese zur gemeinsamen Veranstaltung von Arbeiterkammer, Naturfreunden Österreich und dem Österreichischen Alpenverein „Freier Zugang zur Natur“

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