(Sexualisierte) Über­griffe im öffent­lichen Verkehr. Blinder Fleck Arbeits­weg?

24. Oktober 2025

Während (sexuelle) Belästigung am Arbeitsplatz nicht zuletzt durch globale Initiativen wie #MeToo verstärkte Aufmerksamkeit erfuhr, bleibt ein wesentlicher Bereich unterbelichtet, nämlich die Sicherheit am Arbeitsweg. Doch gerade das Inkrafttreten des ILO-Übereinkommens 190 wäre Auftrag genug, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Eine aktuelle Studie – im Rahmen des Projekts Safer Place – zur Sicherheit im öffentlichen Verkehr gibt Aufschluss darüber, wie sicher Arbeits- und Schulwege sind. Besonders junge Frauen erleben häufig Übergriffe!

Sicher in die Arbeit, um sicher zu arbeiten!

Dass Arbeitnehmer:innen am Arbeitsplatz vor Belästigung geschützt sind, dafür sorgt das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG). Doch was, wenn bereits der Weg dorthin im öffentlichen Verkehrsmittel zur Qual wird? Ein sicherer Arbeitsweg frei von Gewalt, Belästigungen und (sexuellen) Übergriffen ist die grundlegende Voraussetzung für die Arbeits- und Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmer:innen, Lehrlingen und Schüler:innen. Angst vor dem Arbeits- bzw. Schulweg hat mitunter erheblich negative Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebensqualität der Betroffenen.

Grauzone Arbeitsweg

Das Gleichbehandlungsgesetz bietet einen umfassenden Schutz vor (sexueller) Belästigung im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis beziehungsweise in bestimmten Fällen – wie der Berufsberatung oder beruflichen Weiterbildung – auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses (§ 4 GlBG).

Im Unterschied zum GlBG wird (sexuelle) Belästigung im Strafgesetzbuch (StGB) wesentlich enger gefasst: Gerichtlich strafbar sind Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (§§ 201 ff StGB). § 218 StGB normiert die sexuelle Belästigung, wobei hier intensive Berührungen vorausgesetzt sind. Außerdem verboten ist die Vornahme öffentlich geschlechtlicher Handlungen (§ 218 StGB). Verbale und nonverbale Belästigungen, bei denen es zu keinem Körperkontakt kommt (Bemerkungen, Blicke, sexistische Witze), fallen nicht unter die strafrechtliche Definition von sexueller Belästigung. Seit Kurzem allerdings ist das digitale, unaufgeforderte und absichtliche Versenden von Bildmaterial, das menschliche Genitalien („dick pics“) zeigt, ein Straftatbestand (§ 218 Abs. 1b StGB).

In vielen Fällen von Belästigung – insbesondere auch im öffentlichen Raum und dem öffentlichen Verkehr – kommt es allerdings mangels strafrechtlicher Relevanz der Übergriffe zu keinen Strafanzeigen und dementsprechend auch zu keiner systematischen Erfassung derartiger Vorfälle. Dies erklärt auch die fehlende Datenlage.

Hier schafft nun eine Erhebung des Vereins wendepunkt im Rahmen des Projekts Safer Place – wissenschaftlich ausgewertet von der Hochschule Burgenland – eine erste empirische Grundlage.

Umfrage zeigt: Junge Frauen sind besonders gefährdet

Insgesamt konnten 1.069 Personen via Online-Umfrage erreicht werden. Ziel war die systematische Erhebung des Ausmaßes sexualisierter Übergriffe und Gewalt im öffentlichen Verkehr entlang der Südbahnstrecke, die viele Pendler:innen und Schüler:innen tagtäglich nutzen. Neben der Datenerhebung konnte durch das Projekt aber auch verstärkte Sensibilisierung für das Thema Gewalt und Belästigung im öffentlichen Verkehr geschaffen werden.

Insgesamt 52 Prozent der befragten Frauen geben an, Belästigungen oder Übergriffe im öffentlichen Verkehr bereits selbst erlebt zu haben: Dabei wird rund jede zweite betroffene Frau in Bus oder Bahn belästigt, mehr als ein Drittel im Wartebereich, ein Viertel am Weg zum Verkehrsmittel und 4 Prozent berichten von unangenehmen Situationen und Übergriffen in der Parkhausanlage. Männer geben insgesamt mit 13 Prozent wesentlich seltener an, Belästigung im öffentlichen Verkehr erlebt zu haben. Am häufigsten kam es ebenso zu Übergriffen direkt in Bus oder Bahn (11 Prozent). Außerdem zeigen die Ergebnisse klar, dass junge Frauen der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre besonders häufig betroffen sind – hier geben sogar rund 6 von 10 Frauen an, bereits Übergriffe im öffentlichen Verkehr erlebt zu haben.

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Von Catcalling bis zu heruntergelassenen Hosen

Am häufigsten berichten betroffene Frauen davon, auf unangenehme Weise angestarrt zu werden (42 Prozent), gefolgt von „Catcalling“, also unerwünschtem Nachpfeifen und unangebrachten Sprüchen (34 Prozent). Wie alltäglich diese Formen von übergriffigem Verhalten bereits für viele Frauen geworden sind, zeigt sich exemplarisch in einer der offenen Rückmeldungen: „Catcalling und anzügliche Blicke beziehungsweise Anstarren von Männern erlebe ich so viel, viel zu anstrengend, sich dagegen zu wehren. Über die Jahre lernt man, sie zu ignorieren. Nur wenn ich emotionale Kapazitäten habe, sage ich etwas.“

Rund ein Fünftel (19 Prozent) der betroffenen Frauen gibt an, dass sie unerwünscht berührt wurden, 16 Prozent geben an, sogar verfolgt worden zu sein, und 13 Prozent der belästigten Frauen erlebten exhibitionistische Handlungen im öffentlichen Verkehr. Betroffene Männer berichten mit 9 Prozent vorwiegend von Beschimpfungen und Beleidigungen – Frauen sind mit einem Viertel aber auch von verbaler Gewalt wesentlich häufiger betroffen. Die Umfrage zeigt auch, dass sexualisierte Übergriffe nicht ausschließlich in der Abend- und Nachtzeit erfolgen, sondern auch am helllichten Tag stattfinden.


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Verbesserungen durch die Ratifizierung der ILO-190?

Das Projekt Safer Place zeigt deutlichen Handlungsbedarf.

Hoffnung gibt es allerdings durch die Ratifizierung und das Inkrafttreten des ILO-Übereinkommens 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt. Das Übereinkommen ist seit 11. September 2025 in Österreich in Kraft. Österreich hat sich dadurch völkerrechtlich verpflichtet, sichere und respektvolle Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Die insgesamt vergleichsweise hohen arbeitsrechtlichen Schutzstandards in Österreich haben die (aktuelle sowie letzte) Bundesregierung allerdings noch nicht veranlasst, im Zuge der Ratifizierung konkrete Maßnahmen vorzulegen. Dabei sieht die ILO- 190 auch sichere Arbeitswege vor. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass der Schutz vor Gewalt in der Arbeitswelt nicht auf den physischen Arbeitsplatz beschränkt ist und unter anderem auch auf dem Weg von und zur Arbeit gilt.

„Gleichstellungsmotor“ öffentlicher Verkehr muss berücksichtigt werden!

Ein gut ausgebautes und sicheres öffentliches Verkehrsnetz ermöglicht vielen Frauen Erwerbstätigkeit erst. Öffentlicher Verkehr gilt nicht unbegründet als „Gleichstellungsmotor“ – Frauen sind häufiger auf ein funktionierendes Netz angewiesen, wie auch der Städtebund-AK-Gleichstellungsindex verdeutlicht, nicht zuletzt auch, weil viele Wege in Bezug auf Betreuungsarbeiten („Mobility of Care“) öffentlich zurückgelegt werden (müssen).

Mit der Studie und dem Projekt Safer Place wurde ein wichtiger Grundstein gelegt, Datenmaterial über die Sicherheit im öffentlichen Verkehr zu sammeln und dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Daten müssten künftig systematisch erhoben werden, etwa durch eine zentrale Meldestelle, die auch strafrechtlich nicht relevante Übergriffe sammelt, analysiert und auf Basis der Erkenntnisse Maßnahmen setzt. Dies kann erfolgen durch verstärktes Einsetzen von Sicherheitspersonal, bessere Beleuchtungssysteme und gezielte Sensibilisierungsmaßnahmen. Wichtig ist, dass sich Betroffene oder Beobachter:innen auch an eine Anlaufstelle im zuständigen Verkehrsbetrieb wenden können, die sich dieser Vorfälle annimmt. Sicherheit und Schutz im öffentlichen Verkehr braucht mehr als das bekannte „Mind the gap!“, mehr als die infrastrukturelle Sicherheit.

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