Mitgestaltung mit Wirkung: Protest und Partizi­pation in der Elementar­bildung

01. Juli 2025

Streiks und Proteste in der Elementarbildung haben für Aufsehen gesorgt. Wie erleben Beschäftigte in der Elementarbildung die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Arbeit und welche Mitgestaltung wünschen sie sich? Eine aktuelle Studie hat untersucht, wie sich betriebliche Mitbestimmung und politisches Engagement aus Sicht der Beschäftigten darstellt.

Elementarbildung unter Druck

Die Elementarbildung hat in den letzten Jahren verstärkt gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit erfahren – nicht zuletzt, weil die Corona-Pandemie die prekäre Personalsituation in Kindergärten und Betreuungseinrichtungen offengelegt hat. Beschäftigte in der Elementarbildung befinden sich allerdings schon seit Längerem in einer herausfordernden Lage: So wird der Arbeitsalltag durch den bestehenden und laut Prognosen zunehmenden Personalbedarf erschwert. Die geforderten Qualitäts- und Bildungsansprüche sowie auch der notwendige Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung verschärfen die Situation zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund rückt die Frage in den Fokus, wie Beschäftigte die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Arbeit erleben und welche Möglichkeiten sie sehen, ihre Arbeitsbedingungen aktiv zu beeinflussen. Demonstrationen und Protesttage wie „Jetzt gibt’s Wirbel 2.0“ zeigen: Pädagog:innen treten zunehmend selbstbewusst für ihre Interessen ein.

Die Studie „Mitgestaltung mit Wirkung: Partizipation in der Elementarbildung“ von L&R Sozialforschung hat untersucht, inwiefern betriebliche Mitbestimmung und politisches Engagement zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen können. Folgenden Fragen wurde nachgegangen: Welche Mitgestaltungsmöglichkeiten wünschen sich die Beschäftigten? Welche Rolle spielen Betriebsrät:innen? Welche Formen politischer Partizipation werden als wirksam angesehen?

Im Zuge des Projekts ist nicht nur ein Forschungsbericht, sondern auch der Leitfaden „Gibʼ deinen Senf dazu“ erstellt worden, der Beschäftigte unterstützen soll, die Möglichkeiten von Mitwirkung im Arbeitsumfeld zu reflektieren.

Was ist betriebliche Partizipation und warum ist sie wichtig?

Unter betrieblicher Partizipation können verschiedene Formen der Beteiligung von Beschäftigten gefasst werden, die dazu dienen, auf Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen. Dies kann über die direkte Einbindung der Beschäftigten bei der Gestaltung von Arbeitsrahmenbedingungen (wie der Arbeitszeit), der Gestaltung der Arbeitsinhalte oder auch bei finanziellen Angelegenheiten stattfinden. Über das Instrument des Betriebsrats und die Personalvertretung ist betriebliche Partizipation gesetzlich verankert. Betriebliche Partizipation bringt verschiedene Vorteile für Beschäftigte. So führt das Vorhandensein eines Betriebsrats unter anderem zu höheren Löhnen und einer besseren Arbeitsplatzqualität. Direkte Partizipation führt laut Studien zu mehr Zufriedenheit, Motivation und pro-sozialem Verhalten. Darüber hinaus lässt sich ein Zusammenhang zwischen betrieblicher Partizipation und demokratischer Beteiligung im weiteren Sinne annehmen. In Anlehnung an Honneth (2023) kann der Arbeitsplatz als ein zentraler Ort verstanden werden, an dem demokratische Kompetenzen sowie politisches Bewusstsein entwickelt und ein Selbstverständnis dafür gestärkt wird, sich für eigene Belange einzusetzen.

Mitgestaltung in der Elementarbildung

Partizipation im Betrieb kann (wie in der Grafik ersichtlich) auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden.


© A&W Blog


Die Auseinandersetzung mit Partizipation in der Elementarbildung zeigt ein ambivalentes Bild: Während die Mitgestaltung im pädagogischen Alltag – also eine gewisse Methodenfreiheit – als zentral für die professionelle Tätigkeit gesehen wird, spielt die betriebliche Partizipation im Sinne einer Einflussnahme auf Arbeitsrahmenbedingungen eine eher untergeordnete Rolle.

Mitgestaltung beschränkt sich meist auf eingeschränkte Mitwirkungsmöglichkeiten, etwa bei Dienstplänen oder in Einzelfällen bei Personal- oder Raumfragen. Entscheidungsbefugnisse verbleiben jedoch bei Leitungen, Trägern oder öffentlichen Stellen. In der Umsetzung der Mitbestimmung kommen große Unterschiede zum Vorschein – abhängig von Leitung, Trägerstruktur und Bundesland.

Keine Partizipation ohne Ressourcen

Der zunehmende Personalmangel in Kombination mit stetig wachsenden Anforderungen an Elementarpädagog:innen schränkt die Handlungsspielräume der Beschäftigten deutlich ein und begünstigt Fremdbestimmung. Dass betriebliche Partizipation im Bereich der Elementarbildung insgesamt nur eine untergeordnete Rolle spielt, zeigt sich unter anderem daran, dass weder zeitliche noch finanzielle Ressourcen für eine aktive Beteiligung der Beschäftigten bereitgestellt werden. Durch fehlende verfügbare Stunden für Tätigkeiten abseits der Kinderbildung und -betreuung werden die Möglichkeiten einer partizipativen „Kultur“ stark eingeschränkt. Betriebliche Partizipation – sowohl direkte als auch indirekte – wird dadurch zu einer ehrenamtlichen Zusatzaufgabe, die für viele kaum bewältigbar ist.

Zu den Formen politischer und gewerkschaftlicher Beteilung im Berufsfeld der Elementarbildung

In den Fokusgruppen und Expert:innengesprächen wurden unterschiedliche Formen des politischen Engagements für bessere Arbeitsbedingungen genannt, darunter die Beteiligung in Initiativen, Berufsgruppen, in Gewerkschaften oder auch die Gründung bzw. Unterstützung von Petitionen. Als ausschlaggebender Grund, sich politisch für die eigenen und die Interessen anderer Beschäftigter einzusetzen, wurden Probleme im Berufsalltag und das dadurch wachsende Bewusstsein für die akute Dringlichkeit von wirksamen politischen Maßnahmen genannt.

Der im Beruf aufgestaute Frust über schlechte Arbeitsbedingungen wurde in solchen Fällen in die notwendige Energie umgewandelt, um sich für Veränderungen einzusetzen. Dass Beschäftigte sich trotz des enorm hohen Arbeitsdrucks in ihrer Freizeit für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, kann als Ausdruck dafür gesehen werden, wie belastend die gegenwärtige Situation erlebt wird. In den Fokusgruppen wurden auch die Hürden thematisiert, die einer politischen Beteiligung im Weg stehen. So stellen die fehlenden zeitlichen Ressourcen, die fordernden Arbeitsbedingungen und die daraus resultierende Erschöpfung ein Hindernis für breite politische Beteiligung dar.

„Wer tagtäglich arbeitet, fünf Tage die Woche … hat er noch die Energie und die Stärke, für solche Sachen zu kämpfen?“ (Zitat aus einer Fokusgruppe)

Neben dem Zeitfaktor kann auch das geringe Vertrauen in die Wirksamkeit von politischem Engagement eine breite Beteiligung erschweren. So würden die seit vielen Jahren bekannten Forderungen unzureichend umgesetzt, was zu Frustration und Resignation bei den Beschäftigten führt.

„Wir haben das Gefühl, dass wir die Letzten sind, die wichtig sind und gehört werden.“ (Zitat aus einer Fokusgruppe)

Auch berufs- und geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und -stereotype sowie Selbstzuschreibungen spielen eine Rolle, etwa dann, wenn das eigene Berufsethos nicht als vereinbar mit lautem Protest empfunden wird.

Geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad

Der Care-Sektor, dem auch der Bereich der Elementarbildung zuzuordnen ist, weist einen traditionell geringeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad auf als andere Branchen. Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Erhebungen verweisen auf eine zentrale Herausforderung für den Aufbau einer bundesweit wirksamen gewerkschaftlichen Interessenvertretung in diesem Bereich: Zwar wünschen sich viele Beschäftigte, dass ihre beruflichen Belange vertreten werden, jedoch fehlt es häufig an Wissen über die Rolle und Möglichkeiten von Gewerkschaften. Diese Wissenslücken tragen wesentlich dazu bei, dass viele Beschäftigte keine Mitgliedschaft in Betracht ziehen.

Zusätzlich erschwert die föderale Struktur des Elementarbildungssystems die gewerkschaftliche Organisation: Unterschiedliche gesetzliche Regelungen und Zuständigkeiten auf Landesebene behindern eine einheitliche und koordinierte Interessenvertretung.

Streiks als anerkanntes Mittel der Interessendurchsetzung?

Eine in den Fokusgruppen und Expert:inneninterviews besonders stark thematisierte Form politischer Beteiligung waren Proteste, wobei insbesondere die Potenziale und Grenzen von Streiks im Zentrum der Diskussionen standen. Dies kann auch vor dem Hintergrund einer generell zu beobachtenden Zunahme der  Streik- und Organisationsbereitschaft der Beschäftigten aus dem Care-Bereich gesehen werden. Im Bereich der Elementarbildung kam es in Österreich in den letzten Jahren zu einer Zunahme von Demonstrationen und Kundgebungen. Die Art der Protestformen, die in den Fokusgruppen zur Sprache kamen, variierten und es wurden auch längere und wirksamere Proteste sowie ein bundesweiter, flächendeckender Streik als sinnvoll angesehen.

„Streiks müssten mindestens ein paar Tage dauern und nicht Freitagabend, sondern Montagfrüh starten. Andernfalls ist das viel Aufwand, aber wenig Wirkung.“ (Zitat aus einer Fokusgruppe)

Als Hindernis für bundesweite, länger andauernde Streiks sowie auch für gemeinsame Aktionen von privaten und öffentlichen Trägern wurden länderspezifische Regelungen und unterschiedliche Zuständigkeiten genannt. Sie erschweren das Erkennen von gemeinsamen Interessen.

Alle gemeinsam statt jede:r für sich

Betriebliche und politische Partizipation – so ein Fazit der Studie – gewinnt in der Elementarbildung an Relevanz. Ihre Stärkung kann nicht nur Arbeitsbedingungen verbessern, sondern auch zur Attraktivität des Berufsfeldes beitragen. Voraussetzung dafür sind strukturelle Reformen, gezielte Schulungen, ausreichende Ressourcen sowie der Aufbau breiter gesellschaftlicher Bündnisse zur Unterstützung. So zeigt sich, dass individuelle Vorstöße kaum Wirkung erzeugen und damit auch die Gefahr besteht, dass die Interessenslagen unterschiedlicher Gruppen politisch gegeneinander ausgespielt werden.

Um Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erwirken, sind Allianzen innerhalb und außerhalb der Elementarbildung zielführend. Solche Allianzen sollten Akteur:innen einbeziehen, die ein gemeinsames Interesse an der Weiterentwicklung und Qualitätssteigerung der Elementarpädagogik haben – darunter Eltern, Unternehmen sowie Beschäftigte aus anderen Care-Berufen. Auf betrieblicher Ebene erscheint es zudem erforderlich, demokratische Arbeitskulturen sowie ein Verständnis von betrieblicher Mitbestimmung zu etablieren, das auf die Stärkung der Partizipationskompetenzen der Beschäftigten abzielt, deren Handlungsspielräume erweitert und zur Entlastung im Berufsalltag beiträgt.

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