Viele Frauen geben an, aufgrund von Betreuungspflichten Teilzeit zu arbeiten. Gerade in Zeiten des hohen Fachkräftebedarfs besteht hier viel Potenzial, mehr Menschen in Vollzeitbeschäftigung zu bringen. Dafür ist jedoch ein Ausbau der Elementarbildung in Österreich dringend erforderlich. Ein Simulationstool der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zeigt, dass sich dieser vielfach rechnet.
Das Simulationstool der ILO
Dass großes Potenzial hinter Investitionen in den Care-Sektor – also beispielsweise in die Elementarbildung oder Pflege – steckt, ist keine Neuheit. Studien von Antonopoulos et al. oder De Henau & Himmelweit haben bereits gezeigt, dass diese deutlich effektiver in der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen sind als Investitionen in der Baubranche. Für die Langzeitpflege in Österreich hat das WIFO berechnet, dass für jeden ausgegebenen Euro knapp 70 Cent an Rückflüssen durch Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu erwarten sind.
Um die Effekte von Maßnahmen im Care-Bereich auf ihre Kosten, aber auch auf ihren Nutzen durch Beschäftigungseffekte und dadurch steigende Steuereinnahmen zu untersuchen, hat Jerome de Henau für die ILO einen Care-Simulator entwickelt. Benutzer:innen können dabei ihre gewünschten Reformen zusammenstellen und die Effekte für das Zieljahr 2030 oder 2035 simulieren lassen. Der Simulator berechnet dabei die Kosten für den Ausbau sowie die direkt in der Care-Branche selbst und indirekt in den verbundenen Sektoren entstehenden Arbeitsplätze. Auch induzierte Effekte werden berücksichtigt, darunter versteht man jene neuen Arbeitsplätze, die durch die erhöhten Konsumausgaben der neu beschäftigten Mitarbeiter:innen entstehen. Der Simulator berechnet dabei zuerst eine Prognose für das Zieljahr, bei dem die entscheidenden Paramater auf dem Stand von 2019 bleiben. Dadurch können Veränderungen hinsichtlich Kosten, Beschäftigung und des Gender Gaps verglichen werden.
Wie viel kostet ein notwendiger Ausbau der Elementarbildung?
Um die Kosten und den Nutzen eines notwendigen Ausbaus der Betreuungseinrichtungen in der Elementarbildung in Österreich zu simulieren, wird hier zunächst angenommen, dass die Ziele der European Care Strategy umgesetzt werden, also dass bis 2030 die Hälfte der 0- bis 2-Jährigen und 96 Prozent der über 3-Jährigen eine Vollzeitbetreuung haben.
Hier treten einige Abgrenzungsprobleme des Simulators gegenüber nationalen Betrachtungsweisen auf: Der Simulator umfasst Kinder in elementarpädagogischer Betreuung und Vorschulen, Vollzeitbetreuung wird mit 40 Wochenstunden in 52 Wochen des Jahres definiert (der VIF-Indikator, der in Österreich Plätze abbildet, die mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit der Eltern vereinbar sind, sieht u. a. mindestens 47 Wochen pro Jahr, mindestens 45 Stunden wöchentlich, an mindestens vier Tagen wöchentlich 9,5 Stunden vor). Zudem stimmen die verwendeten Vergleichszahlen für 2019, welche auf dem EU-SILC, einer Befragung, beruhen, nicht mit den Daten der Kindertagesheimstatistik der Statistik Austria überein. Während der ILO-Simulator davon ausgeht, dass 2019 nur 20 Prozent der Kinder unter 2 und 84 Prozent der 3- bis 6-Jährigen in Vollzeitbetreuung waren, liegen die tatsächlichen Werte 7,6 beziehungsweise 9,4 Prozentpunkte höher. Neben einer höheren Betreuungsquote wird auch eine leichte Verbesserung des Betreuungsschlüssels angenommen. So sollen bis 2030 auf eine:n Betreuer:in bei den unter 2-Jährigen sechs Kinder, bei den über 3-Jährigen acht Kinder kommen.
Trotz etwas anderer zugrundeliegender Definitionen führt der Simulator zu spannenden Erkenntnissen über ungefähre Größenordnungen: Zur Erreichung der Ziele würde es in Österreich demnach zusätzlich 3,1 Milliarden Euro jährlich benötigen, wobei die zusätzlichen Ausgaben seit dem letzten Finanzausgleich noch nicht berücksichtigt sind. Nimmt man an, dass sowohl die zuletzt beschlossenen Mittel des Zukunftsfonds und der 2022 durch die neue 15a-Vereinbarung beschlossenen Aufstockung der Bundesmittel für die Elementarpädagogik fortgeschrieben werden, so beläuft sich der fehlende Mehrbedarf auf 2,3 Mrd. pro Jahr. Bei der Verfolgung der oben beschriebenen Ziele würden somit im Jahr 2030 1,27 Prozent des BIPs für die frühkindliche Betreuung und Bildung ausgegeben werden.
Hohe Rückflüsse in die Staatskassa sind zu erwarten
Durch diese zusätzlichen Investitionen würden den Simulationen zufolge in Einrichtungen der Elementarbildung und den verbundenen Sektoren, beispielsweise Essenszuliefer:innen oder Reinigungsdienste, knapp 50.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Konsum dieser neu beschäftigen Personen könnte weiters für rund 17.000 Personen neue Beschäftigung ermöglichen. Diese neuen Beschäftigungsverhältnisse und der dadurch ermöglichte Konsum bringen dem Staat Steuereinnahmen. Dadurch sinken die Nettokosten eines Ausbaus der Elementarbildungsinfrastruktur in Österreich erheblich. Mit der Einbeziehung des zusätzlichen Steuereinkommens betragen diese nämlich im Jahr 2030 nur noch jährlich 0,26 Prozent des BIPs, was in etwa 1,15 Milliarden Euro entspricht.
Wenn es gelingt, den Fachkräftebedarf in der Elementarpädagogik selbst zu decken – ein aktuell herausfordernder Aspekt, der in diesem Beitrag weniger beleuchtet und vorausgesetzt wird –, könnten diese Rückflüsse in der Realität noch höher sein. Der Simulator der ILO betrachtet nämlich nur jene Effekte am Arbeitsmarkt, die direkt, indirekt und induziert durch höhere Beschäftigung in den Betreuungseinrichtungen entstehen. Mütter, die durch ein besseres Betreuungsangebot in der Lage sind, neu in den Arbeitsmarkt einzusteigen, beziehungsweise ihre Stunden aufzustocken, werden nicht miteinbezogen. Auch ist aus der Simulation nicht ersichtlich, welche Ersparnisse sich durch reduzierte Arbeitslosigkeit für den Sozialstaat ergeben. Klar ist aber, dass ein Ausbau der Elementarbetreuung vielfältige Vorteile für die Gesellschaft hätte. So wird dadurch, dass in Kindergärten momentan mehrheitlich Frauen arbeiten, auch erwartet, dass die beschriebenen Veränderungen eine Reduzierung der Beschäftigungslücke zwischen Männern und Frauen von 1,5 Prozentpunkten bewirken. Arbeiten in Zukunft mehr Männer im Bereich der Elementarpädagogik wirkt sich dies auch auf die Beschäftigungslücke aus. Bei all diesen Vorteilen muss aber berücksichtigt werden, wer im aktuellen föderalen System für die Ausgaben – für den laufenden Betrieb im Wesentlichen die Gemeinden – finanziell aufkommt und wer von neuen Einnahmen – wie oben beschrieben im Wesentlichen der Bund – profitiert. Diese Frage ist mit Blick auf die Handlungsmotivationen zu diskutieren.
Investitionen in den Care-Bereich müssen Priorität sein
Gerade angesichts des Fachkräftebedarfs ist ein Ausbau der Kinderbetreuung dringend erforderlich, um mehr Frauen die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Bisherige Studien und der Simulator der ILO zeigen, dass Investitionen im Care-Bereich auf den ersten Blick teuer sind, sich auf viele Weisen jedoch bald rentieren. Der notwendige Ausbau der Elementarbetreuung würde knapp 67.000 neue Arbeitsplätze in Österreich schaffen, neue Steuereinnahmen könnten einen großen Teil der Investitionsausgaben finanzieren. Zwei elementare Punkte müssen dabei besonders beachtet werden: 1) Aufgrund der aktuellen Situation in der Elementarpädagogik und bereits jetzt schon fehlender Fachkräfte reicht es nicht, „nur“ Geld für Investitionen bereitzustellen. Vielmehr ist ein umfangreiches Maßnahmenbündel für den qualitativen Ausbau und bessere Bedingungen für die Beschäftigten notwendig. Zudem müssen 2) die Belastungen/Profite der unterschiedlichen staatlichen Ebenen berücksichtigt werden.
Von diesen neuen Arbeitsplätzen würden insbesondere Frauen profitieren, wodurch Beschäftigungs- und Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgehen würden. Die steigenden Berufschancen für Mütter, bessere Bildung für Kinder oder höhere Lebensqualität für Pflegebedürftige sind weitere Argumente dafür, dass Investitionen in den Care-Sektor eine Priorität für die neue Bundesregierung sein müssen.