Neue Daten zur Vermögensungleichheit in Europa

13. Januar 2017

Einen Tag vor Weihnachten veröffentlichte die Europäische Zentralbank neue Daten zu Vermögen, Einkommen und Ausgaben der privaten Haushalte im Euroraum (HFCS). Die reichsten 10% der Haushalte im Euroraum besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Ihr Anteil ist während der Finanzkrise zwischen 2010 und 2014 gestiegen. Die Daten können wegen ihrer Qualität und ihrer Vielfalt für eine gesellschaftliche Debatte über soziale Ungleichheit herangezogen werden, doch Informationen zu den wirklich Reichen fehlen immer noch.

Die reichsten 5% der Haushalte im Euroraum haben einen Anteil von rund 38% am gesamten Vermögen. Auch dieser Anteil wuchs in der Krise. Auf die große Mehrheit der Haushalte – die „unteren“ 90% – entfällt weiterhin nur rund die Hälfte des Gesamtvermögens.

Vermögensungleichverteilung Eurozone, HFCS © A&W Blog
© A&W Blog

Nichts Neues bei den HFCS Daten zur Vermögensungleichheit?

Wer die Daten der 2. Welle mit jenen der 1. Welle vergleicht (siehe Annex des neuen Reports) wird feststellen: viel an Kontinuität bei den Ergebnissen. Die Daten, die vormals von konservativen PolitikerInnen und JournalistInnen als unglaubwürdig diffamiert wurden, stehen nun im Verdacht, nur ohnedies Bekanntes zu bieten, und das mediale Echo blieb bislang schwach.

Ich denke, dies hat viel mit dem emotionalen Empörungspotential von Ungleichheitszahlen zu tun. Zahlen zur Ungleichheit regen auf, wenn die Reichen reicher werden, die Mitte schrumpft und die Armen noch ärmer. Ansonsten interessieren sie aber wenig. Die Erkenntnis, dass sehr Reiche sehr reich bleiben, reicht scheinbar nicht für einen gesellschaftspolitischen Kurswechsel.

Viele Informationen der EZB zur Vermögensungleichheit sind aber interessant und jedenfalls gilt, „Zahlen sind unerbittlich und man sollte sie besser nicht durcheinanderbringen“ (Thomas Piketty).

Relevante Informationen zu Reichtum?

10% der Haushalte im Euroraum haben unter 1.000 EUR an Vermögen. Das vermögenschwächste Fünftel im Euroraum hat einen Anteil von 0,3% am gesamten Bruttovermögen. Das zweite Fünftel hat mit einem Anteil von 3,1% auch nicht bedeutend mehr. 10% der Haushalte im Euroraum verfügen hingegen über ein Vermögen von mehr als einer halben Million Euro. Und 5% im Euroraum haben mehr als rund 740.000 EUR. Dies sind daher noch nicht jene Reichen, die man aus den üblichen Reichenlisten kennt, sondern ein Gruppe von Wohlhabenden. Die Reichen selbst werden in den EZB-Daten, die größtenteils auf freiwilligen Umfragen beruhen, nicht gut erfasst.

Ein wichtiger wirtschaftspolitischer Hinweis ist, dass Freibeträge von 1 Mio. Euro bei Vermögenssteuerkonzepten nur bei ganz wenigen relevant wären. In Österreich gibt es 3,3% Millionärshaushalte, in Deutschland 3,1% und nur Luxemburg erreicht mit 20,8% an Millionärshaushalten andere Dimensionen.

Wenn man aus den HFCS Daten auch nur wenig zu Reichtum erfahren kann, so doch einiges zur Vermögensungleichheit. Seriös kann mit den HFCS-Daten die Spanne zwischen dem 90. Perzentil (10% haben mehr an Vermögen) und dem 10. Perzentil (10% haben weniger an Vermögen) der Vermögensverteilung betrachtet werden. Denn ganz unten finden sich Haushalte mit negativem Nettovermögen und ganz oben sind die Schätzer zu ungenau. Der Haushalt an der Grenze zu den vermögensreichsten 10% verfügt im Euroraum über rund das 500-Fache an Nettovermögen jenes Haushalts an der unteren Grenze.

Vermögen ist im Euroraum ist sehr ungleich verteilt, viel ungleicher als Einkommen. Wenige Haushalte haben den Löwenanteil. Dies gilt für alle Länder des Euroraums. Vermögenskonzentration findet sich also in Zypern und in Deutschland ebenso wie in Spanien oder in Litauen. Und in jedem Land im Euroraum haben die reichsten 10% mehr als ein Drittel des gesamten Kuchens.

Werden die Reichen reicher?

Die Vermögensungleichheit im Euroraum ist von 2010 auf 2014 leicht gestiegen. Der Gini-Koeffizient des Nettovermögens zeigt einen Anstieg von 0,68 im Jahr 2010 auf 0,685 im Jahr 2014. Dies ist statistisch nicht signifikant.

Seriös kann anhand der HFCS-Daten daher nicht gesagt werden: Die Reichen werden reicher. Doch das Schielen auf Zuwächse oder Rückgänge beim Vermögen der Reichsten ist nicht so wichtig. Substantielle Vermögensveränderungen erfolgen über lange Zeiträume. Viel wichtiger als Veränderungen der Vermögenskonzentration im Verlauf von ein paar Jahren, von 2010 – 2014, ist die Tiefe des strukturellen Grabens zwischen Arm und Reich. Diese Kluft war vor einigen Jahren in Europa enorm und sie blieb es auch in der Krise.

Welche Gruppe in der Vermögensverteilung betrachten?

Gruppenbildungen stellen in Vermögensverteilungsbetrachtungen oft ein Problem dar. In einer Gruppe mit bestimmten Gemeinsamkeiten (Nationalität, Alter usw.) finden sich Arme und Reiche. DIE GriechInnen etwa setzen sich zusammen aus Armen und aus Reichen, und ebenso umfassen DIE Alten VillenbesitzerInnen und MindestpensionistInnen. Ein Pauschalieren muss daher vermieden werden. Nicht arme LitauerInnen (Median beim Nettovermögen liegt bei 14.000 EUR), sondern arme Menschen in Litauen muss es heißen.

Bei Vermögensverteilungsdebatten wird oft auf einzelne Vermögenskomponenten, wie Häuser, Aktien, oder Unternehmen geachtet und es werden absolute Werte besprochen. Ob bestimmte Immobilienpreise hoch oder niedrig sind wird dann erörtert. Doch vor so einer Betrachtung müssen erst die Eigentumsverhältnisse geklärt werden. Viele Menschen haben gar keine Immobilien und noch vielmehr haben keine Aktien. Wer das vergisst, sieht dann „Kleinaktionäre“, die in Vermögenshinsicht aber groß sind.

Länderunterschiede beim Vermögen reichen zwar etwa beim Durchschnitt des Nettovermögens von 40.000 EUR (Litauen) bis zu 768.000 EUR (Luxemburg). Doch Länderunterschiede beim Nettovermögen der privaten Haushalte zeigen, anders als beim Einkommen, noch keine Wohlstandsunterschiede. Denn innerhalb der Länder gibt es wesentliche Trennlinien. Eine der wichtigsten ist jene beim Wohnen. Das Nettovermögen zwischen MieterInnen und ImmobilieneigentümerInnen im Euroraum unterscheidet sich beträchtlich. Der Median liegt bei den Mietern um 9.000 EUR, jener der HauseigentümerInnen bei 227.000 EUR. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen liegt über dem 25-fachen.

Gini-Koeffizient zur Vermögensverteilung ist kein gutes Maß

Im Ländervergleich zur Vermögensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizienten belegt Österreich einen Spitzenplatz im Euroraum. Österreich ist eines der vermögensungleichsten Länder in Europa. Doch dies bedeutet nicht, dass Österreich eines der sozial ungleichsten Länder ist, denn die Einkommen sind relativ gleich verteilt. Es impliziert auch nicht, dass Österreich eines der ungerechtesten Länder Europas ist. Es kann auch nicht gefolgert werden, dass in Österreich vergleichsweise die meisten Reichen leben. Und es gilt nicht einmal, dass die Vermögensverteilung innerhalb Österreich, etwa zwischen Städten und Bundesländern ähnlich ist. Zudem kann sogar ein gleicher Gini-Koeffizient Unterschiede an verschiedenen Teilen der Verteilung verbergen. So hat West- und Ostdeutschland fast denselben Gini-Koeffizienten – und doch ist das Vermögen in der oberen Hälfte in den neuen Bundesländern stärker konzentriert.

Was aber bedeutet dann der im Euroraumvergleich hohe Gini-Koeffizient in der Vermögensverteilung von Österreich und Deutschland? Es gibt vergleichsweise viele vermögensschwächere Haushalte in Österreich und Deutschland. Und dies verweist auf deutlich weniger ImmobilieneigentümerInnen. Länder mit einem höheren Anteil an MieterInnenhaushalten haben tendenziell eine höhere Vermögensungleichheit.

Kriseneffekte bei Vermögensschwachen

Wer mehr hat, kann mehr verlieren. Doch die Vermögensrückgänge waren in den unteren Quintilen ausgeprägter als in den vermögenderen Quintilen. Die größten Vermögenseinbußen erfuhren die Haushalte im untersten Vermögensquintil. Diese zeigen die markanten Vermögensrückgänge in Griechenland und in Zypern, wo der Median des Nettovermögens um 40% fiel.

Fazit

Es bestehen weiterhin statistische Probleme im HFCS bei der Abdeckung großer Vermögen und bei der Erfassung der Reichen. Wenn aber keine Informationen zu den Reichen vorliegen, kann datengeleitet nur über einen Ausschnitt der Gesellschaft, eine breit gefasste Mitte, gesprochen werden. Dies ist aus gesellschaftlicher Sicht gefährlich weil die soziale Ungleichheit verharmlost wird.

Eine Politik, die Steuern einhebt und Transfers tätigt, ohne überhaupt Daten zur Vermögenskonzentration zu haben, ist besonders gefährdet, die Interessen der Reichen stärker als jene des Rests der Bevölkerung zu vertreten. Ohne aufklärerisches Engagement der Politik besteht die Gefahr, dass öffentliche Debatten zur Vermögensverteilung gar nicht mehr Zustandekommen oder nur noch defätistisch verlaufen, weil irgendwie ohnehin jeder weiß, die Reichen bleiben reich (wie es Leonhard Cohen musikalisch auf den Punkt bringt). Jedenfalls gute Nachrichten für Reiche und schlechte für alle anderen.