Mindestsicherung: Kursänderung durch Urteil des Verfassungsgerichtshofs? Wohl kaum!

16. März 2018

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit seiner Entscheidung vom 12. März 2018 zwei strittige Bestimmungen der niederösterreichischen Mindestsicherung (NÖ MSG) aufgehoben: Zum einen die maximale Leistungshöhe von 1.500 Euro unabhängig von der Zahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft. Und zum anderen die Wartefrist von mindestens fünf Jahren Aufenthalt in Österreich innerhalb der letzten sechs Jahre, bevor die volle Leistungshöhe ausbezahlt wird. Überraschend ist die Entscheidung nicht. Zu einem Kurswechsel der österreichischen Bundesregierung, die sich bei der geplanten Einführung einer „Mindestsicherung NEU“ am niederösterreichischen Modell orientieren will, wird sie aber voraussichtlich nicht führen.

Niederösterreichische Mindestsicherung: teilweise verfassungswidrig

Zur Erinnerung: Im November 2016 wurde der letzte Versuch, doch noch eine bundesweit einheitliche Regelung zur Mindestsicherung zu beschließen, vom niederösterreichischen Vorstoß zunichte gemacht. Das neue NÖ MSG sah vor, dass pro Bedarfsgemeinschaft (i.d.R. gleichbedeutend mit dem Haushalt) den BezieherInnen maximal 1.500 Euro im Monat zur Verfügung stehen sollen, unabhängig von der Zahl der betroffenen Personen. Das bedeutet eine klare Schlechterstellung von Mehrkindfamilien (ab Paaren mit zwei Kindern) gegenüber solchen mit maximal einem Kind. Wie hier schon ausgeführt, wurde bereits vor dreißig Jahren ausjudiziert, dass eine solche Herangehensweise unsachlich und daher unzulässig ist. „Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weitere Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich”, argumentiert der VfGH in seiner aktuellen Entscheidung und nimmt damit direkt Bezug auf die Entscheidung zur Kärntner Sozialhilfe aus dem Jahr 1988.

Die Wartefrist für den Bezug der niederösterreichischen Mindestsicherung von fünf Jahren innerhalb der letzten sechs war ebenfalls Teil des im November 2016 beschlossenen Gesetzes. Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, sollten lediglich den – erheblich niedrigeren – „Mindeststandard-Integration“ erhalten. Seitens der niederösterreichischen Landesregierung wurde argumentiert, dass die Wartefrist zur vorherigen Integration der Betroffenen beitragen und den Arbeitsanreiz erhöhen solle. Auch diese Regelung wurde vom VfGH aufgehoben, unter anderem mit der Begründung, dass die Aufenthaltsdauer in Österreich keinen geeigneten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitswilligkeit von österreichischen StaatsbürgerInnen darstellt.

Entsprechend groß ist die Zustimmung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen (und zweifellos auch vieler Betroffener), die das VfGH-Erkenntnis ausgelöst hat. Nur: Mit einem Kurswechsel seitens der Bundesregierung zu rechnen wäre schlicht naiv!

Keine Änderung im sozialpolitischen Kurs

Im Programm der neuen Bundesregierung sind auf Seite 118 zur „Mindestsicherung NEU“ unter anderem folgende Vorhaben zu lesen:

  • „Österreichweite Deckelung der Leistungen für eine Bedarfsgemeinschaft auf maximal 1.500 Euro“
  • „Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung in Österreich setzt voraus, in den vergangenen sechs Jahren mindestens fünf Jahre legal in Österreich gelebt zu haben“

Es ist als unwahrscheinlich einzustufen, dass sich die EntscheidungsträgerInnen auf Seiten der Bundesregierung über die zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2017) mögliche baldige Aufhebung der niederösterreichischen Regelungen nicht im Klaren waren. Umso interessanter ist, wie sie nun mit dem VfGH-Urteil umgehen werden. Die ersten Stellungnahmen verheißen nichts Gutes: „Wir halten an unserem Ziel fest, eine bundesweit einheitliche Lösung zu erarbeiten, die differenziert zwischen denjenigen Personen, die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben, und jenen Nichtösterreichern, die neu in das Sozialsystem dazugekommen sind“. heißt es in einer aktuellen gemeinsamen Erklärung von Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ).

Das möglicherweise unerfreulichste an dieser Aussage ist die mehr als bedenkliche Haltung zu Verfassung und Europarecht, die die Bundesregierung damit offenlegt. Sie hat mit der Bekanntgabe ihrer Ziele zur „Mindestsicherung NEU“ und zum „Arbeitslosengeld NEU“ ihre sozialpolitischen Vorhaben bereits klar skizziert: Disziplinierung der Arbeitslosen (und der Beschäftigten) und massive Leistungskürzungen bei armutsbetroffenen Menschen. Es ist zu befürchten, dass der Spruch des VfGH daran letztlich wenig ändern wird.