Wenn Trans­for­mation fair wird: Spa­niens Mo­dell der Just Tran­sition

08. September 2025

Spanien gilt in Europa als Vorreiter in der Gestaltung eines gerechten Übergangs. Anders als viele EU-Länder verfügt Spanien über eine klare Strategie. In ihrem Fokus stehen gesellschaftliche Akzeptanz der grünen Wende und gute Arbeitsplätze. Ein Lokalaugenschein.  

Spanien hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Doch tatsächlich scheint die Energiewende in Spanien schneller als in anderen Ländern zu gelingen. Darüber hinaus gilt Spanien als Vorreiter in der Gestaltung eines gerechten Übergangs (Just Transition). Der Unterschied Spaniens gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten tritt hier deutlich zu Tage. So mangelt es in vielen Mitgliedstaaten schon grundsätzlich an einem Bekenntnis zum politischen Leitprinzip der aktiven Gestaltung eines gerechten Übergangs, sowohl konzeptionell als auch praktisch in der gelebten Umsetzung. Spanien zeigt hingegen, wie die (regional-)politische und administrative Gestaltung des grünen Strukturwandels gelingen kann. Doch was macht Spanien zum Musterschüler und warum gelingt es auf der europäischen Halbinsel besser, soziale Akzeptanz, Regionalentwicklung und Strukturwandel unter einen Hut zu bringen?  

Ein Blick zurück hilft beim Blick nach vorne 

Bereits im Jahr 2019 legte Teresa Ribera, die nunmehrige Vizepräsidentin der EU-Kommission und damalige Ministerin für ökologischen Wandel unter der sozialdemokratisch geführten Regierung von Pedro Sánchez, umfassende Pläne zur sozial gerechten Dekarbonisierung der spanischen Wirtschaft vor. Diese umfassten nicht nur ein Klima- und Energiewendegesetz und einen ambitionierten Nationalen Energie- und Klimaplan, sondern darüber hinaus wurden ein Plan gegen Energiearmut, eine integrierte nationale Just-Transition-Strategie und ein Masterplan für vom Kohleausstieg betroffene Regionen präsentiert. Die Just-Transition-Strategie wurde dadurch zum Herzstück der Transformationspolitik Spaniens. Das spanische Klima- und Energiewendegesetz sieht vor, dass die Just-Transition-Strategie alle fünf Jahre überarbeitet und aktualisiert wird.  Dazu sieht es eine verbindliche Einbindung der autonomen Gemeinschaften sowie der Sozialpartner vor. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Mitgliedstaaten geht Spaniens Strategie damit über reine Absichtserklärungen hinaus und besitzt eine gewisse Rechtsverbindlichkeit, die auch der Logik verschiedener Handlungsebenen folgt. Während der Masterplan für Kohleregionen die spezifischen regionalen und sektoralen Herausforderungen im Kohleausstieg adressiert, legt die Just-Transition-Strategie den Fokus auf die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen regional ungleicher Transformationsprozesse.  

Die Architektur des gerechten Übergangs auf Spanisch 

Spaniens Just-Transition-Strategie gilt im globalen Vergleich als fortschrittlich und steckt sich hohe Ziele. Doch die besten Ziele bringen wenig, wenn sie nicht heruntergebrochen und umgesetzt werden. Dazu muss eine Strategie ebenso klären, wie und von wem sie umgesetzt wird. Politische Rahmenwerke sind nur so gut, wie die Maßnahmen, die sie enthalten. Noch wichtiger ist deshalb, dass es in Spanien nicht nur eine gute Strategie, sondern auch eine politische Steuerung der Umsetzung und auch eine Erfolgsmessung gibt. Die Koordinierung von Maßnahmen muss erfolgen und deren Wirksamkeit laufend evaluiert werden. Im Jahr 2020 wurde dazu das Just Transition Institut (Instituto para la Transición Justa - ITJ) etabliert. Es ist formal als Generaldirektion dem Umweltministerium unterstellt und fungiert als staatliche „Transformationsagentur“. Spanien ist nicht das einzige Land, das eine eigene Regierungsbehörde geschaffen hat, um den gerechten Übergang zu gestalten. Dies taten auch andere Länder wie Irland mit der Just Transition Commission oder Griechenland mit dem interministerielle Komitee für einen gerechten Übergang. Doch während diese nur eine koordinierende bzw. beratende Rolle einnehmen, handelt es sich bei dem spanischen IJT um eine autonome Behörde, der per Gesetzesverordnung umfassende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt wurden. Das IJT, bei dem alle Fäden staatlicher Transformationspolitik zusammenlaufen, bietet mehrere Vorteile. Zunächst bündelt es Zuständigkeiten und Verantwortlichkeit. In anderen EU-Ländern sind oftmals mehrere Ministerien mit Just-Transition-Initiativen betraut. Das führt mitunter zu einem Flickwerk aus einzelnen, nicht aufeinander abgestimmten oder veralteten Gesetzen und Maßnahmen. Im Gegensatz dazu sorgt das IJT als spezialisierte Einrichtung mit politischem Mandat sowie ausreichender finanzieller und personeller Ausstattung für eine kohärente Umsetzung der Just-Transition-Strategie. Von besonderer Bedeutung ist, dass das ITJ federführend die Finanzierung von Just-Transition-Initiativen übersieht und koordiniert. Das IJT kann dabei sowohl auf nationale als auch auf europäische Fördertöpfe zurückgreifen. 

Wie das Just Transition Institute die Transformation auf den Boden bringt 

Spanien investiert seit einigen Jahren erhebliche Summen in eine sozial gerechte Energiewende. Unter dem Schlagwort „Just Transition“ bündelt das Land europäische und nationale Mittel, um den Strukturwandel in ehemaligen Kohle- und Industrieregionen abzufedern und neue Perspektiven zu schaffen. Ein zentraler Baustein ist dabei der europäische Just Transition Fund, aus dem Spanien im Zeitraum von 2021 bis 2027 rund 869 Millionen Euro erhält. Diese Gelder fließen vor allem in besonders betroffene Regionen wie Asturien, León oder Teruel, wo die Abkehr von Kohle und Schwerindustrie den Arbeitsmarkt hart trifft. Während das Geld von Next Generation EU vor allem für die Sanierung aufgelassener Bergbaugebiete genutzt wird, soll das Geld aus dem Just Transition Fonds gezielt 1900 kleinere und mittlere Unternehmen im Land fördern. Die Geldmittel werden vom ITJ bis 2029 an die autonomen Gemeinschaften Spaniens ausgezahlt. Förderungsfähig sind ausschließlich folgende Bereiche: 

  • Ökologische Transformation der Industrie sowie Förderung nachhaltiger Mobilität, der Kreislaufwirtschaft und der Energieeffizienz 
  • Maßnahmen zur Stärkung der Wertschöpfungskette erneuerbarer Energien – insbesondere Energiespeicherung und erneuerbarer Wasserstoff 
  • Förderung von KMUs und strategischen Unternehmensprojekten zur wirtschaftlichen Diversifizierung einzelner Regionen 
  • Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich der digitalen Transformation 
  • Renaturierungs- und Naturschutzmaßnahmen sowie Förderung von nachhaltigem Tourismus 
  • Förderung sozialer Infrastruktur sowie von Weiterbildungsmaßnahmen in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energien 

Doch Spanien verlässt sich nicht allein auf Brüssel. Über das nationale „Institute for Just Transition“ wurden seit 2019 bereits 350 Millionen Euro für Beschäftigte, Unternehmen und Kommunen über sogenannte Just Transition Vereinbarungen mobilisiert. Hinzu kamen weitere 300 Millionen Euro aus dem spanischen Aufbau- und Resilienzplan. Auch auf regionaler Ebene wird kräftig investiert: Allein im Südwesten Asturiens summieren sich die Programme bis 2025 auf etwa 600 Millionen Euro, mit denen Projekte für neue Arbeitsplätze, Umweltmaßnahmen und die Sanierung ehemaliger Industrieflächen finanziert werden. Weitere Millionenbeträge fließen in die Renaturierung von Bergbaugebieten oder in kommunale Entwicklungsprojekte, etwa im Bereich Tourismus und soziale Infrastruktur. Erklärtes Ziel all dieser Maßnahmen ist es, die wirtschaftliche Diversifizierung vor Ort zu stärken und neue „grüne“ Arbeitsplätze zu schaffen. Sie entstehen in einem mehrstufigen, partizipativen Verfahren mit lokalen Regierungsbehörden, Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen, Unternehmen und der lokalen Bevölkerung. Bis dato hat das IJT solche Vereinbarungen in 15 Regionen Spaniens geschlossen. In diesen Regionen konnten 400 Projekte gefördert werden (etwa der Bau einer Produktionsanlage für Gummigranulat aus Altreifen, die Errichtung von Schulungszentren zur beruflichen Weiterbildung oder die Förderung eine Anlage zur Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff), was zur Entstehung von rund 2170 neuen Arbeitsplätzen geführt hat.  

Schließlich hat das IJT mit den sogenannten Just Transition Tenders ein innovatives Ausschreibungsverfahren entwickelt: Energieunternehmen, die für erneuerbare Energieprojekte den Zugang zum spanischen Stromnetz benötigen, erhalten freie Kapazitäten (die durch die Schließung von Kohlekraftwerken entstehen), wenn sie nachweisen können, dass das Projekt soziale und ökologische Kriterien erfüllt. Auch hier erfolgt die Einbindung lokaler Stakeholder. Die Verpflichtungen umfassen etwa das Angebot von Umschulungs- und Weiterbildungsprogrammen sowie die Förderung von Umweltschutzprojekten. So verpflichtete sich etwa das Energieerzeugungsunternehmen Endesa nicht nur 1,5 Mrd. Euro in Solar- und Windanlagen in Stadt Teruel zu investieren, sondern auch 60 Mio. Euro in die Weiterbildung von 1300 Arbeiter:innen & Wiederaufforstungsprojekte.) Die Grafik zeigt eine Übersicht über die politischen Steuerungsmechanismen (Just-Transition-Governance) in Spanien.  

© A&W Blog


Was Europa davon lernen kann  

Spaniens Just-Transition-Strategie und ihre politische Umsetzung sind aber nicht nur ein Beispiel für eine gelungene nationale Herangehensweise. Die Europäische Union selbst als auch die anderen Mitgliedstaaten können davon lernen. Eine effektive Umsetzung einer Just-Transition-Strategie braucht, so lernen wir von Spanien, drei Bausteine: Beteiligung & Evaluierung, ein politisches Mandat & Legitimität sowie eine verlässliche Finanzierung.  

1. Begleitung & Evaluierung: 
Während das im EU Clean Industrial Deal geplante „European Fair Transition Observatory“ erst 2026 starten soll, gilt Spaniens Observatorio de Transición Justa bereits als Best Practice. Es überwacht die Just-Transition-Strategie, erhebt Daten zu wirtschaftlichen und sozialen Folgen, erfasst die Wahrnehmung der Bevölkerung, begleitet regionale Projekte, bewertet deren Wirkung und fördert den Austausch zwischen Behörden, Unternehmen, Gewerkschaften und Bürger:innen

2. Politisches Mandat & Legitimität: 
In Spanien ist das Leitprinzip einer Just Transition im Klima- und Energiewendegesetz verankert und es wird kontinuierlich weiterentwickelt. Die EU-Kommission hingegen hat bisher nur unverbindliche Empfehlungen  und Ankündigungen vorgelegt. Eine verbindliche Richtlinie, wie von Gewerkschaften gefordert, könnte Beschäftigten Rechte sichern und die Basis für gute grüne Jobs schaffen. 

3. Finanzierung: 
Der Erfolg Spaniens beruht auch auf EU-Mitteln aus dem Just Transition Fonds und dem Wiederaufbaufonds Next Generation EU. Das Just Transition Institut sorgt dabei für effiziente Mittelverwendung. Dies unterstreicht die Bedeutung verlässlicher EU-Finanzierung. Positiv ist die geplante und dringend notwendige Aufstockung der Mittel, doch angesichts des hohen Investitionsbedarfs sollte zusätzlich ein EU-Transformationsfonds diskutiert werden. 

Just Transition als Teil einer vorausschauenden Wirtschaftspolitik  

Das Fallbeispiel Spanien zeigt, dass ein gerechter Übergang in eine digitale und klimaneutrale Zukunft möglich ist. Jedoch müssen dazu einige Voraussetzungen erfüllt werden. Es braucht neben einem politischen Gestaltungswillen auch klare Zuständig- und Verantwortlichkeiten sowie ausreichend finanzielle Ressourcen. Eines der zentralen politischen Versprechen der Kommission ist „niemanden am Weg zurückzulassen“. Dieses Versprechen muss nun in der Gestaltung des Strukturwandels mit Leben erfüllt werden – nicht nur auf europäische Ebene, sondern auch in der konkreten Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Von Beispielen, wie jenem aus Spanien, können wir lernen, wie es aussehen kann. 

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