Freihandelsabkommen zwischen USA und EU - TTIP: Des Kaisers neue Kleider?

11. Dezember 2013

Seit Sommer 2013 verhandeln die USA und die EU offiziell über die Schaffung des weltweit größten Freihandelsraumes, der sogenannten „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP). Das geplante Abkommen soll nicht nur räumlich größer, sondern auch inhaltlich umfangreicher und tiefgreifender als alle bisherigen Handelsabkommen werden und dabei neue Liberalisierungsstandards setzen. Da die durchschnittlichen Zölle zwischen den USA und der EU sehr niedrig sind, orientiert sich die Liberalisierungsdebatte an der Reduktion der sogenannten nicht-tarifären Handelsbarrieren (NTB). Dadurch stehen auch sozialstaatliche Errungenschaften, Qualitäts- und Umweltstandards sowie KonsumentInneninteressen zur Verhandlung. Um das zu bewerkstelligen und zivilgesellschaftliche Proteste möglichst zu vermeiden hat die Europäische Kommission (EK) eine eigene PR-Strategie entworfen. Das Ziel ist es die Definitionsmacht zu wahren und von vornherein klar zu machen worum es sich bei der TTIP handelt: um eine Maßnahme für „Wirtschaftswachstum und mehr Jobs“.

Was bringt uns die TTIP?

Den Kern der Liberalisierungs-PR bilden diverse ökonomische Simulationen, welche die langfristigen Effekte eines umfassenden Handelsabkommens beziffern. Dafür hat die EK eigens zwei Studien in Auftrag gegeben, die für den Euroraum, im Falle des realistischen aber weniger „ambitionierten Szenarios“ ein zusätzliches- jährliches Wirtschaftswachstum von etwa 0,03 Prozentpunkten für eine  Zeitspanne von 10 Jahren prognostizieren. Zu optimistischeren Zahlen kommt eine Studie, welche sich speziell auf Österreich bezieht und ein jährliches Wachstum von 0,2 Prozentpunkten (ebenfalls für den Zeitraum von 10 Jahren) in Aussicht stellt sowie zwei Studien des Ifo-Institutes und der Bertelsmann-Stiftung, die eine Steigerung der Wirtschaftsleistung  von 0,47 Prozentpunkten für Deutschland, 0,49 Prozentpunkten im EU Durchschnitt und 1,34 Prozentpunkten für die USA versprechen. Obwohl die letztgenannten Studien deutlich höhere Effekte prognostizieren, kommen sie dennoch zu einem geringen Beschäftigungsanstieg. Für Österreich wird ein jährlicher Beschäftigungsanstieg von 0,06 Prozentpunkten für den  Zeitraum von 10 Jahren vorhergesagt. Innerhalb der gesamten EU sollen 400.000 neue Arbeitsplätze in einem Zeitraum von 15 Jahren entstehen.

Dabei vernachlässigen die Studien Verteilungseffekte ebenso wie Fragen der tatsächlichen Arbeitsmobilität. Betrachtet man beispielsweise die Studie zu den erwarteten Effekten in Österreich, so wird der akkumulierte Beschäftigungszuwachs auf einen immensen Anstieg der Beschäftigung  im Automobilsektor (etwa 9%) zurückgeführt, während die Studie, unter anderem in der Holz-, Papier-, Chemie- und Transportmittelindustrie, von Arbeitsplatzreduktionen von bis zu 1,9% ausgeht. Um die „VerliererInnen“ der TTIP entsprechend zu kompensieren, bräuchte es ein adäquates Besteuerungs- und Verteilungs-modell. Solche wirtschaftspolitische Maßnahmen gehören jedoch nicht zu dem marktzentrierten Weltbild der TTIP-BefürworterInnen.

Die Schattenseite der TTIP

Die Ergebnisse der PR-Studien basieren auf der Annahme, dass neben den kaum vorhandenen Zöllen vor allem die anfangs erwähnten NTB abgebaut werden sollen. Durch die breite Definition dieser NTB stehen bei den Verhandlungen auch Bereiche des öffentlichen Versorgungssektors, Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Verkehr oder etwa Leiharbeit zur Debatte, also vorwiegend Bereiche des Allgemeininteresses welche bei den bisherigen Liberalisierungsbemühungen im Rahmen der WTO-Verhandlungen – nicht  zuletzt auf Grund des Widerstandes der Zivilgesellschaft – kaum noch vorangetrieben werden konnten. Dass 93% der Konsultationen bei den Verhandlungsvorbereitungen der Europäischen Kommission mit InteressensvertreterInnen der Großkonzerne stattfanden, spiegelt den undemokratischen Charakter der Verhandlungen wider.

Darüber hinaus soll das Abkommen ein Kapitel zu Investitionsschutz beinhalten. Dieses beinhaltet exklusive Rechte für InvestorInnen, welche es ihnen ermöglichen, Nationalstaaten zu klagen, wenn sie ihre erwarteten Gewinne durch Maßnahmen wie Mindestlöhne, ökologische Standards und dergleichen geschmälert sehen. Die IMK-Forscherin Sabine Stephan sieht darin den Weg, auf dem Arbeits-, Sozial-, VerbraucherInnen- und Umweltschutzstandards ausgehebelt werden.

Die Risiken, welche mit der TTIP verbunden sind, scheinen daher in keiner Relation zu den geringen erwarteten Gewinnen zu stehen.

Die Plausibilität der PR-Studien

Es verwundert nicht, dass diese Themen, laut der PR-Strategie der Europäischen Kommission, in der öffentlichen Debatte vermieden werden sollen. Stattdessen soll die TTIP als eine konjunkturelle Maßnahme angepriesen werden; ein Wundermittel, welches quasi kostenlos ohne Erhöhung der Staatsausgaben Wachstum und Beschäftigung schaffen würde. Blendet man die Risiken und Kosten des Abkommens aus, so stellt sich dennoch die Frage nach der Plausibilität der Prognosen der PR-Studien. Vor allem CGE-Modelle, wie sie auch diesmal in den PR-Studien verwendet wurden, liefern keine präzisen Ergebnisse und werden unter anderem kritisiert, da sie die erwarteten Effekte in der Vergangenheit oft stark überschätzten.

Die Strategie, anhand von ökonomischen Studien Zustimmung für Liberalisierungsmaßnahmen zu schaffen, ist ebenso nichts Neues wie die fragwürdige Qualität der Studien, die a priori davon ausgehen, deregulierte Märkte würden automatisch Wohlstand für alle schaffen. Ein Blick zurück zeigt, dass beispielsweise die Versprechen des „Ceccini-Reports“ 1988 bei der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes 1993 nicht einmal annähernd eingehalten werden konnte. Für Amerika verhält es sich hinsichtlich des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) nicht anders. Auch hier entpuppten sich die 1993 vorhergesagten positiven Auswirkungen auf Arbeit und Wachstum als Wunschdenken für die USA, welches jenseits der phantastischen Modell-Welt diverser ÖkonomInnen nicht existiert.

Ein weiterer, wesentlicher Grund für die schlechte Performance der CGE-Modelle in den PR-Studien der EK liegt schließlich in der Annahme, dass Exportströme und deren Veränderungen durch die Veränderung von Handelskosten ausreichend erklärt werden könnten. Eine Reduktion der Unternehmenskosten würde dann automatisch zu mehr Produktion, Einkommen und somit zu mehr Wohlstand für alle führen. Dabei liegt das Problem nicht in der Annahme, dass Handelsliberalisierungen  langfristig zu mehr Wohlstand führen, sondern vielmehr in der Frage, wie dieser Wohlstand verteilt wird und wer die Kosten von Handelsliberalisierungen zu tragen hat.

In Wirklichkeit ist der Weltmarktanteil der EU und der USA in den letzten Dekaden zurückgegangen. Die beiden Regionen konnten zwar ihre Handelsverflechtungen insgesamt ausbauen, verloren aber an Bedeutung füreinander und am Weltmarkt. Das liegt in dem starken Aufholprozess der Schwellenländer, vor allem China, Ost- und Südasien und Mexiko, begründet. Sowohl die EU als auch die USA konnten von der steigenden Güternachfrage dieser Länder profitieren und die Handelsbeziehungen mit diesen intensivieren. Das legt nahe, dass Handelsströme besser durch Nachfrageeffekte erklärt werden können als durch Handelskosten.

Die Konstruktion der NTB als Kostenfaktor basiert letztlich auf unvollständigen Daten von fragwürdiger Qualität. NTB werden dadurch unnachvollziehbar vage definiert. Abweichungen von statistisch geschätzten durchschnittlichen Handelsströmen werden dann mit diesen NTB-Daten korreliert und als Handelskosten interpretiert. Die Reduktion von NTB führt somit per Definition zu mehr Handel. Für jene die Inhalte der TTIP-Verhandlungen prägen können, nämlich große Unternehmen, ermöglicht diese schwammige und unklare Definition von NTB, unabhängig von der Aussagekraft der PR-Studien, alle ihre Liberalisierungswünsche in die Definition der NTB hineinzuinterpretieren.