(Geschlechtsspezifische) Diskriminierungen am Arbeitsmarkt als Menschenrechtsverletzungen

12. April 2018

Bekommen etwa Frauen für die gleiche Arbeit nicht das gleiche Entgelt, liegt nicht bloß ein Fall einer Verletzung des österreichischen Gleichbehandlungsgesetzes vor. Es geht um viel mehr, denn es liegt auch eine Menschenrechtsverletzung vor.

Diskriminierungen als menschenrechtliches Problem

Diskriminierungen sind Epiphänomene. Sie sind der alltägliche Ausdruck von sozialer Ungleichheit. Der Begriff Diskriminierung leitet sich vom lateinischen Verb „discriminare“ ab, das unterscheiden, trennen, abgrenzen, absondern bedeutet; Unterscheidungen sind jedoch erst dann diskriminierend, wenn sie Personen oder Gruppen in Relation zu anderen Personen oder Gruppen benachteiligen und damit versuchen abzuwerten. Erfolgt dieser benachteiligende, abwertende Umgang mit Personen oder Gruppen aufgrund eines Persönlichkeitsmerkmals wie des Geschlechts, einer Behinderung oder des ethnischen Backgrounds, die von der Rechtsordnung in besonderer und mehrfacher Weise geschützt sind, liegt außerdem eine Rechtsverletzung vor.

Solche unsachlichen, verpönten Ungleichbehandlungen verstoßen indes nicht nur gegen nationales Recht, sondern vielfach gegen internationalrechtliche Diskriminierungsverbote bzw. Gleichbehandlungsgebote. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung ist im internationalen Recht, vor allem im Völkervertragsrecht, so weit verbreitet und anerkannt, dass sogar argumentiert werden kann (und wird), dass es sich um internationales zwingendes Gewohnheitsrecht handelt. Liegt also ein Fall von individueller Entgeltdiskriminierung vor dem Hintergrund eines ohnehin beachtlichen strukturellen Gender Pay, Wealth und Gender Pensions Gaps vor, haben wir es auch mit einer Menschenrechtsverletzung zu tun. Dies wird von Gerichten und anderen staatlichen Organen, aber auch Medien zu selten thematisiert.

Allgemeine arbeitsmarktbezogene Diskriminierungsverbote

Arbeitsmarktbezogene Diskriminierungen haben immer eine individuelle, institutionelle und strukturelle Dimension. Sie umfassen das Recht auf Arbeit bzw. den Zugang zum Arbeitsmarkt (also die Gestaltung von Anforderungsprofilen und Stellenausschreibungen sowie Einstellungspraktiken), alle kollektiv- und einzelvertraglichen Entgeltfragen, Weiterbildung und Karriere, Gewalt, Belästigung und Mobbing, Arbeitszeitarrangements, die Qualität und Form des Arbeitsverhältnisses, die Beendigung und die sozial- und pensionsversicherungsrechtlichen Konsequenzen eines Arbeitsverhältnisses sowie die soziale Sicherheit. Vorstellungen davon, wer wie viel verdient, wer wofür zuständig ist und wo wie viel bezahlt oder unbezahlt gearbeitet werden soll, sind soziokulturell bedingt; arbeitsmarktbezogene Diskriminierungen stehen daher in einer Wechselwirkung mit geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen und kulturindustriell erzeugten und gesellschaftlich weit verbreiteten Stereotypen.

Arbeitsmarktbezogene Diskriminierungsverbote, die nicht nur als fundamentale Persönlichkeitsrechte, sondern auch als soziale und wirtschaftliche Rechte zu charakterisieren sind, finden sich in sehr vielen internationalen Abkommen und unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schutzniveaus und -radius sowie ihrer Durchsetzbarkeit bisweilen stark.

Dies lässt sich anschaulich am Prinzip der Lohngleichheit illustrieren: So statuiert Artikel 23 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), dass jeder (und jede) das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit hat. Bei der AEMR handelt es sich um eine unverbindliche Empfehlung der Vereinten Nationen, der jedoch große historische, symbolische und politische Bedeutung zukommt. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) enthält in Artikel 7 Buchstabe a) ebenfalls ein Gebot, Arbeitnehmer*innen einen „angemessenen Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ohne Unterschied“ zu bezahlen. Kontrolliert wird die Einhaltung des WSK-Paktes von einem Sachverständigenausschuss, der wiederum nur Staatenberichte prüft.

Frauenspezifische arbeitsmarktbezogene Diskriminierungsverbote

In der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), die mit aktuell 189 Vertragsstaaten als universell gültig bezeichnet werden kann, ist mit Artikel 11 Buchstabe d) nicht nur das Recht auf gleiches Entgelt, sondern ein umfassender geschlechtsbezogener Schutz- und Gewährleistungskatalog für den Bereich des Berufs- und Erwerbslebens, die Sozialversicherung sowie die soziale Sicherheit verankert. Um Gleichstellung in diesen Bereichen zu realisieren, sind die Vertragsstaaten außerdem gemäß Artikel 5 Buchstabe a) CEDAW angehalten, auch solche Geschlechterstereotypen, die das Erwerbsleben betreffen, mit transformativen „positiven Maßnahmen“ (Frauenförderung, Quotenregelungen, Berufsorientierungskampagnen, die sich spezifisch an Buben oder Mädchen richten etc.) zu beseitigen, worunter unter anderem eine vom Geschlecht unabhängige bzw. geschlechtssensible Verteilung von Arbeit(szeit) fallen würde.

Diese Bestimmungen finden sich so auch schon im WSK-Pakt und in einschlägigen Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – Artikel 11 CEDAW schreibt deren Geltung und Relevanz als Frauenrechte aufgrund der Häufigkeit der Verletzung dieser wirtschaftlichen und sozialen Rechte von Frauen noch einmal fest.

Aufgrund eines Fakultativprotokolls zur CEDAW kann, wenn der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschlossen ist, eine Individualbeschwerde vor den CEDAW-Ausschuss gebracht werden; dieser kann außerdem ein Untersuchungsverfahren eröffnen. Die Beschwerde an den Ausschuss ist dann eine Art Anzeige wegen einer Menschenrechtsverletzung gegen den verletzenden Staat, keine Klage gegen eine Einzelperson oder ein privates Unternehmen. Wenn der Ausschuss eine Konventionsverletzung feststellt, antwortet er mit rechtlich unverbindlichen Empfehlungen an den Vertragsstaat. Worauf es in diesen Fällen ankommt, ist die öffentliche Resonanz.

Rechtspolitische Herausforderungen und gleichstellungspolitische Potenziale

Das Potenzial des wichtigsten internationalen Gewaltschutzvertrages, des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), im Hinblick auf arbeitsmarktbezogene und ökonomische Diskriminierungsdimensionen scheint zurzeit noch überhaupt nicht ausgeschöpft zu sein. In der Istanbul-Konvention wird Gewalt „als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau verstanden und bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben“ (Artikel 3 Buchstabe a)).

Da die „wirtschaftlichen Schäden oder Leiden“ aus resultierender Gewalt, die durch das Geschlechterverhältnis bedingt ist, ausdrücklich als menschenrechtswidrig qualifiziert wird, stellt sich im Übrigen die politisch brisante Frage, ob Armut und andere Formen materieller Deprivation, von der statistisch signifikant mehr Frauen betroffen sind, „wirtschaftliche Schäden“ im Sinne der Konvention sind.

Bejaht man dies – was ich empfehlen würde – stellt sich in weiterer Folge die Frage nach der rechtlichen Bearbeitung ökonomischer Gewalt ganz generell. Etwa im Kontext von Austeritätsmaßnahmen, wie den zwingenden Kostensenkungen im öffentlichen Gesundheitssektor oder Gehaltsreduktionen im öffentlichen Dienst im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch im Kontext von Gender Pay, Wealth und Pension Gap und sexueller Belästigung (als Effekte horizontaler und vertikaler Segregation des Arbeitsmarktes), sowie dem Sonderproblem der übermäßigen Verschuldung von Frauen durch Bürgschaften zugunsten naher männlicher Angehöriger. Relevant wird hier auch die schiere Unmöglichkeit für die allermeisten wiedereinsteigenden älteren Frauen oder für Frauen mit Behinderung, am Arbeitsmarkt überhaupt dauerhaft und erfolgreich Fuß zu fassen. Diese multiplen strukturellen Diskriminierungsformen sind nicht nur die größten Herausforderungen, in ihrem Abbau könnte auch das größte gleichstellungspolitische Potenzial liegen.