Diskriminierung am Arbeitsplatz – erleichterte Beweislast im Gleichbehandlungsgesetz

30. April 2018

Wollen von Diskriminierung betroffene Menschen ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen, stellt die Beweisbarkeit eine erhebliche Hürde dar. Dem Ziel der erleichterten Beweislast und einer damit verbundenen fairen Chance auf Rechtsdurchsetzung stehen Umsetzungsdefizite und Anwendungsschwierigkeiten entgegen. Harmonisierung der nationalen Gesetzesgrundlage mit den unionsrechtlichen Vorgaben und eine Sensibilisierung der Richterschaft sind unerlässliche Voraussetzungen, um einen Ausgleich der erschwerten Beweissituation für die Betroffenen zu schaffen.

Die im Gleichbehandlungsgesetz verankerte Beweiserleichterung basiert auf Richtlinien der Europäischen Union. Als rechtsangleichendes Instrument bleibt die Art und Weise der Umsetzung den Mitgliedstaaten selbst überlassen, sofern inhaltlicher Zweck und Ziele unionsrechtskonform umgesetzt werden. Neben der identifizierten misslungenen Umsetzung stellt die nationale Beweislastregel keine anwenderfreundliche Gesetzesgrundlage dar.

Die Abweichung der erleichterten Beweislast vom Regelbeweismaß wirft Fragen zur exakten Anwendung des im Gleichbehandlungsgesetz normierten Zweistufenmodells und des erforderlichen Überzeugungsgrades des Richters/der Richterin vom vorgebrachten Sachverhalt auf.

Das Gesetz verlangt vom Betroffenen/der Betroffenen die Glaubhaftmachung des Diskriminierungstatbestandes und fordert anschließend den Beklagten/die Beklagte auf, den Nachweis eines anderen wahrscheinlicheren Grundes für die ungleiche Behandlung zu erbringen. In den Richtlinien hingegen bezieht sich die Glaubhaftmachung lediglich auf Tatsachen, die ihrerseits auf das Vorliegen einer Diskriminierung schließen lassen, wohingegen der Prozessgegner einen Beweis zur Entkräftigung des Diskriminierungsvorwurfes vorzubringen hat. Das heißt der Beklagte/die Beklagte muss den vollen Beweis dafür antreten, dass eine Entscheidung nicht auf diskriminierenden Motiven beruhte.

Mittels Analyse ausgewählter und vom Frauenbüro der Arbeiterkammer Oberösterreich zur Verfügung gestellter, anonymisierter Judikate konnten Handlungsbedarfe im Bereich der gesetzeskonformen Urteilsfindung durch die Rechtsanwender/Rechtsanwenderinnen identifiziert werden. Besonders im Bereich der freien Beweiswürdigung der Parteienaussagen, des Zeugenbeweises und der Verschriftlichung des Urteils durch den Richter/die Richterin konnten wiederkehrende Mechanismen festgemacht werden.

Die Beweiswürdigung ist ein wesentlicher Teil eines jeden Urteils. Dem Richter/der Richterin obliegt es darin, frei von Beweisregeln, ausschließlich nach eigener Überzeugung seine/ihre Rechtsansicht durch die Bewertung der vorgebrachten Beweise zu begründen. Ohne Zweifel fließen eigene Erfahrungen, erlangte Menschenkenntnis und persönliche Erlebnisse des Urteilenden/der Urteilenden in jede richterliche Bewertung ein. Umso wichtiger für die Nachvollziehbarkeit eines Urteils ist eine anschließende, schlüssige Begründung des festgestellten Sachverhalts.

Besonders in Gleichbehandlungsfällen fehlt es den Betroffenen häufig am Zugang zu effektiven Beweisen, um die erlittene Diskriminierung zu belegen. Der Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Aussage ist umso mehr Bedeutung beizumessen. Diskriminierungserlebnisse stellen eine Würdeverletzung dar, die verstärkt durch eine mögliche Retraumatisierung im Verfahren selbst zu chronologisch ungeordneten, verkürzten, unschlüssigen und emotional nicht in ausreichendem Maße unterlegten Aussagen führen können. Eine Sensibilisierung der Richter/Richterinnen für die individuelle Situation der Betroffenen ermöglicht eine angemessene Bewertung der Parteienaussage.

Verschiebung des Machtgefälles

Gelingt es der klagenden Partei, einen Diskriminierungstatbestand glaubhaft zu machen, ist die beklagte Partei aufgefordert zu beweisen, dass ein anderes als das glaubhaft gemacht Motiv für die Ungleichbehandlung ausschlaggebend war. Wiederkehrende Argumentationslinien, wonach das mutmaßliche Opfer provoziert habe, die Annäherungen und Übergriffe nicht stattgefunden haben oder die Anschuldigung eine bloße Reaktion auf eine verschmähte Liebesbeziehung oder auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei, konnten den analysierten Urteilen entnommen werden. Zudem führt mangelndes Bewusstsein der Richter/Richterinnen betreffend Mechanismen im Machtgefälle Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin und Arbeitgeber/Arbeitgeberin zu Entscheidungen, die mit der Realität in der Arbeitswelt häufig nicht in Einklang zu bringen sind.

Achtsamkeit bei Zeugenaussagen

Achtsamkeit ist auch bei der Bewertung vorhandener Zeugenaussagen/Zeuginnenaussagen geboten. Der Zeugenbeweis/Zeuginnenbeweis ist in Diskriminierungsprozessen häufig der einzige und somit auch wichtigste Beweis. Der Einfluss eines persönlichen oder wirtschaftlichen Naheverhältnisses zu einer der Parteien auf die Wiedergabebereitschaft der Zeugen ist unzweifelhaft. Auffallend ist, dass im Rahmen der Aussagebewertung durch den Richter/die Richterin auf den Einfluss einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, wie sie häufig zwischen beklagter Partei und deren als Zeugen benannten, aktiven Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen besteht, kaum eingegangen wird. Familiäre Nahebeziehungen zwischen mutmaßlichem Opfer und dessen Zeugen aber zu einer Minderung der Glaubwürdigkeit des Beweismittels führt.

Lückenlose Urteilsbegründung unverzichtbar

Allgemein stellt die freie Beweiswürdigung einen wichtigen Grundsatz des österreichischen Zivilprozesses dar. Dennoch können fehlende Kenntnisse betreffend Lebens- und Arbeitsrealitäten in verfehlte Sachverhaltsfeststellungen münden. Die Wertung frei von jeder Beweisregelung kann auch ein Einfallstor für vorurteilsbehaftete Bewertungen beeinflusst von stereotypen Rollenbildern sein. Zusammenhängend damit erweist sich besonders die mangelnde Begründung des festgestellten Sachverhalts durch die Richter/Richterinnen als problematisch. Um sachgerechte, nachvollziehbare Entscheidungen herbeizuführen und Vorurteile hinsichtlich gewachsener Rollenbilder und Machtverständnisse auszuschließen, ist eine lückenlose Urteilsbegründung unverzichtbar.

Genaue Anwendung der Beweislastregel unverzichtbar

Zuletzt sei die genaue Anwendung der Beweislastregel, wie sie das Gleichbehandlungsgesetz vorsieht, eingemahnt. Häufig bleibt das im Gleichbehandlungsgesetz normierte Zweistufenmodell nur ein Gedankengang des Richters/der Richterin und es finden sich kaum Anmerkungen zu einer gelungenen Glaubhaftmachung, dem Überzeugungsgrad oder dem seitens des Beklagten/der Beklagten angetretenen Gegenbeweises. Die verkürzte Darstellung erschwert wiederum die Nachvollziehbarkeit der richterlichen Vorgehensweise in der Urteilsfällung.

Ziel des Gleichbehandlungsgesetzes ist es, diskriminierungsfreien Zugang und Teilhabe aller Personengruppen zum und am Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Die in der gesetzlichen Grundlage geschützten Merkmale Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter und sexuelle Orientierung dürfen nicht ausschlaggebend für eine arbeitsrechtliche Entscheidung sein. Nur persönliche Fähigkeiten und Qualifikationen stellen die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen dar.

Abschließend soll festgehalten werden, dass die geltende Regelung im Gleichbehandlungsgesetz nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben übereinstimmt und die unklare Formulierung die rechtskonforme Anwendung durch die Richter/Richterinnen zudem erschwert. Um die nachteilige Position der von Diskriminierung betroffenen Person effektiv auszugleichen, erscheint eine Sensibilisierung der Rechtsanwender/Rechtsanwenderinnen im Bereich der angeführten Handlungsfelder notwendig. Um die Nachvollziehbarkeit der Urteile zu verbessern und Unsicherheiten in der Anwendung der Beweislasterleichterung zugunsten der klagenden Partei hintanzuhalten, ist eine nicht nur gedankliche Anwendung des Zweistufenmodells anzuraten.

Spricht im Ergebnis mehr für als gegen das Vorliegen einer Diskriminierung, ist es der klagenden Partei im Sinne der Glaubhaftmachung gelungen, den Richter/die Richterin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu überzeugen. Im zweiten Schritt ist die beklagte Partei gefordert zu beweisen, dass ein anderes als das glaubhaft gemachte Motiv, Grundlage für die arbeitsrechtliche Entscheidung war.