Armutsgefährdung Älterer – Deutschland und Österreich im Vergleich

30. November 2017

In Deutschland ist es aufgrund der unterschiedlichen Rentenreformstrategien im Vergleich zu Österreich bereits jetzt wesentlich schwieriger, eine Rente (Pension) über der Armutsgefährdungsgrenze zu erhalten – die Situation wird sich ohne Kurskorrektur noch weiter verschärfen.

Die Auswirkungen der Rentenreformen und der Arbeitsmarktentwicklungen in Deutschland machen sich bereits in merklich steigenden Armutsgefährdungsquoten Älterer bemerkbar. Insbesondere bei den „jüngeren Älteren“ weist Österreich eine deutlich günstigere Entwicklung auf.

Vorweg eine Begriffsklärung: In Deutschland werden Pensionen als Renten bezeichnet, der Begriff Pension wird nur für Beamtenpensionen verwendet. Zur leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden, wenn auf Österreich oder auf beide Länder Bezug genommen wird, der Begriff Pension verwendet.

In der deutschen Rentendebatte wird die Meinung vertreten, dass drohende Armut im Alter (zumindest noch) kein Thema sei. „Belegt“ wird dies mit den äußerst niedrigen Quoten der Inanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen für Ältere. Die sehr niedrigen BezieherInnenquoten spiegeln jedoch vor allem die relativ restriktiven Zugangsbedingungen und niedrigeren Sicherungsniveaus in der deutschen Grundsicherung für Ältere wider. Sie sind kein Indikator für die Verbreitung von Armut. Vielmehr können sie als deutlicher Hinweis darauf gesehen werden, dass das Problem der Armutsgefährdung Älterer in Deutschland durch das bestehende System der Grundsicherung im Alter nicht ausreichend adressiert wird.

Armutsgefährdung Älterer (noch) kein Thema?

Laut EU-Standard gelten Personen, deren Äquivalenzeinkommen auf Basis des Haushaltsnettoeinkommens unter 60 Prozent des Medianwerts der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung (Armutsgefährdungsschwelle) liegen, als einkommensarm bzw. armutsgefährdet. Durch die Äquivalenzgewichtung werden die Haushaltsgröße und -zusammensetzung mitberücksichtigt. Dieser Armutsbegriff stellt also sinnvollerweise auf die relative Einkommensposition innerhalb einer Gesellschaft ab.

Armutsgefährdungsquoten geben den Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle an der jeweiligen Gesamtpopulation wieder. Die konkreten Jahreswerte sind aufgrund der statistischen Schwankungsbreiten mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren. Daher und um etwaige Entwicklungstrends erkennen zu können, bietet sich eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum an. Im Folgenden wird die Entwicklung der Armutsgefährdungsquoten auf Basis von Daten der EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) ab 2008 für Personen ab 65 Jahren gegenübergestellt. Ein Vergleich ab einem früheren Zeitraum ist aufgrund von Zeitreihenbrüchen wenig aussagekräftig. So wurden die Einkommensdaten für Österreich ab dem Erhebungsjahr 2008 möglichst umfassend durch Administrativdaten ergänzt. Die verbesserte Berechnungsmethode bewirkte eine merkliche Erhöhung der Armutsgefährdungsgrenzen und -quoten.

Den von Eurostat ausgewiesenen Armutsgefährdungsquoten liegen die Einkommen und die Einkommensverteilung des jeweils vorangegangenen Jahres zugrunde, während sich die Haushaltsstruktur auf das angegebene Jahr bezieht. Tatsächlich werden in weiterer Folge daher die Einkommen und Armutsgefährdungsquoten der Jahre 2007 bis 2015 betrachtet und auch als solche dargestellt.

Die Höhe der Armutsgefährdungsquoten Älterer ist nicht allein auf das Pensionssystem und seine Leistungen zurückzuführen. Die individuelle Einkommenslage im Alter wird von vielen Faktoren beeinflusst. Dazu zählen vor allem die Haushaltsstrukturen, die vorangegangene Erwerbsintegration, die sich in der Höhe der Pensionsansprüche widerspiegelt und schließlich auch andere Einkommensquellen.#

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Im Basisjahr 2007 lagen die Ausgangswerte in Österreich – insbesondere bei den Frauen – merklich höher als in Deutschland. Nicht ausgeblendet werden sollte dabei allerdings, dass mit der Berücksichtigung von Administrativdaten in Österreich für Einkommen ab 2007 ein deutlicher Anstieg der Armutsgefährdungsquote Älterer im Basisjahr um rund zwei (Männer) bzw. rund fünf (Frauen) Prozentpunkte einherging. In weiterer Folge war eine erhebliche Verminderung zu beobachten. Die Quote armutsgefährdeter älterer Männer sank von 14,1 % (2007) auf 10,0 % (2015), bei den Frauen war im selben Zeitraum eine Verminderung von 22,4 % auf 15,7 % zu verzeichnen. Die Reduktion betrug damit jeweils rund 30 %. Demgegenüber stieg in Deutschland die Quote armutsgefährdeter älterer Männer von 2007 bis 2015 deutlich von 12,0 % auf 14,9 %. Auch bei den Frauen war über den Zeitraum betrachtet insgesamt ein deutlicher Anstieg von 17,4 % auf 20,1 % zu beobachten.

Aktuell liegen damit die Armutsgefährdungsquoten Älterer in Deutschland deutlich über den österreichischen Werten. Bei den Männern liegt der deutsche Wert nunmehr um 49 %, bei den Frauen um 28 % höher.

Noch deutlichere Unterschiede bei den von Renten- und Arbeitsmarktreformen stärker betroffenen Altersgruppen

Interessante Einblicke ergeben sich, wenn man die Entwicklung der Armutsgefährdungsquoten Älterer differenziert nach Altersgruppen (65–74 und 75+) betrachtet.

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Hier zeigt sich: In Österreich sinken die Armutsgefährdungsquoten sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern in jeweils beiden Altersgruppen deutlich, wobei der Trend bei den 65- bis 74-Jährigen stärker ausfällt als bei den ab 75-Jährigen.

In Deutschland dagegen weichen die Entwicklungen nach Altersgruppen vor allem bei den Männern deutlich voneinander ab. Während die Armutsgefährdungsquoten bei den ab 75-jährigen Männern (außer 2008) stets zwischen rund 10 % und 12 % schwanken und keinen klaren Trend aufweisen, ist bei den 65- bis 74-jährigen Männern ein deutlicher Anstieg von 12,8 % auf 17,9 % festzustellen.

Bei den Frauen ist die Armutsgefährdungsquote der ab 75-Jährigen in den ersten beiden Jahren nach 2007 deutlich gesunken, um in weiterer Folge dann durchgehend merklich anzusteigen. Der Wert des Jahres 2015 liegt mit 20,2 % erstmals wieder höher als jener im Basisjahr (18,1 %). In der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre war demgegenüber ein relativ stetiger Anstieg von 17,2 % auf 20,0 % zu verzeichnen. Der Anstieg in Prozentpunkten fällt aber merklich schwächer aus als bei den Männern.

In der in beiden Ländern im Vergleich zu den Männern günstigeren Entwicklung bei den 65- bis 74-jährigen Frauen – allerdings jeweils auf Basis deutlich höherer Niveaus – dürfte sich nicht zuletzt auch die steigende Frauenerwerbsbeteiligung niederschlagen.

Der merkliche Anstieg der Armutsgefährdungsquote älterer Männer in Deutschland ist damit vor allem auf den signifikanten Anstieg in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen zurückzuführen. Das ist jene Altersgruppe, die von bestimmten Aspekten der Rentenreformen wie auch von den Arbeitsmarktentwicklungen der letzten Jahrzehnte stärker betroffen sein dürfte als die Gruppe der ab 75-Jährigen. Das ist ein Hinweis, dass sich in Deutschland rentenpolitische Reformen im Zusammenspiel mit der gestiegenen Segmentierung am Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit bereits in einer zunehmenden Armutsgefährdung Älterer niederschlagen – ein Problem, das sich durch die Rentenniveauabsenkung noch verschärfen wird.

Fazit

Vor allem bei den Armutsgefährdungsquoten der „jüngeren Älteren“, die von den Renten- und Arbeitsmarktreformen stärker betroffen waren als die ab 75-Jährigen, weisen Deutschland und Österreich höchst unterschiedliche Entwicklungen auf. Während in der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre in Deutschland – insbesondere bei den Männern – die Armutsgefährdungsquoten seit 2007 deutlich gestiegen sind, war in Österreich, über den gleichen Zeitraum betrachtet, eine markante Reduktion zu verzeichnen.

Aktuell liegt der Wert in Deutschland in dieser Altersgruppe bei den Männern um mehr als neun Prozentpunkte über dem österreichischen Vergleichswert und ist damit mehr als doppelt so hoch. Der Abstand bei den Frauen beträgt mittlerweile sechs Prozentpunkte. Der deutsche Wert übersteigt damit den österreichischen um gut 40 %.

Angesichts dieser brisanten Entwicklung wird deutlich, dass die steigende Einkommensarmut Älterer in Deutschland als Thema wahrgenommen werden sollte. Allerdings sollten die – notwendige und richtige – Analyse und Diskussion von Armutsrisiken nicht den Blick auf andere Reformbaustellen verdecken. Die Stabilisierung und Anhebung des allgemeinen Rentenniveaus muss auf der Agenda bleiben. Dies ist zwar kein direktes Instrument zur Bekämpfung von Altersarmut. Von einem hohen Rentenniveau sind aber positive Auswirkungen auf die Entwicklung von Altersarmut zu erwarten, und eine zielgerichtete Armutsbekämpfung wird eher möglich.

Die deutliche Reduktion bei den Armutsgefährdungsquoten Älterer in Österreich zeigt, dass hier die Weichen in die richtige Richtung gestellt wurden: mit einer Reformstrategie, die nicht auf eine deutliche Absenkung des durchschnittlichen Sicherungsniveaus im öffentlichen Pensionssystem, sondern auf dessen weitgehende Aufrechterhaltung bei späterem effektiven Pensionsantritt abzielt und die großzügigeren BeamtInnenpensionen schrittweise an diese angleicht. Deutlich wird des Weiteren, dass sich Österreich Arbeitsmarktreformen, die auf eine Aushöhlung der Absicherung bei Arbeitslosigkeit, erhöhten Druck, „jede Arbeitsgelegenheit“ anzunehmen, eine Ausweitung des Niedriglohnsektors etc. hinauslaufen, auch in Zukunft nicht zum Vorbild nehmen sollte.

Dieser Beitrag stellt einen aktualisierten und gekürzten Auszug des Beitrages „Niedrigrenten, Mindestsicherung und Armutsgefährdung Älterer. Ein Vergleich zwischen Österreich und Deutschland (Teil 2)“, in: Soziale Sicherheit 9/2017, Bund Verlag, S. 328–334, dar.