Start-ups: Bausteine für innovative Industriepolitik

14. Juli 2025

Start-ups – richtig eingebettet in Innovations-Ökosysteme treiben sie Europas digitalen, grünen und sozialen Wandel!

Start-ups genießen in Politik und Medien einen fast mythischen Ruf: Sie gelten als Treiber von Innovation, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung und werden bei besonderem Erfolg sogar als Einhörner bezeichnet – stehen aber auch für hohen Arbeitsdruck und unsichere Beschäftigungsverhältnisse. Oftmals ist das Versprechen einer steilen Karriere, wenn das angestrebte Wachstum erzielt wird, an prekäre Verträge und fehlende Mitbestimmung gekoppelt. Letztlich treffen auch in Start-ups die Interessen der Investor:innen und Gründer:innen auf jene der Beschäftigten. Das Verschreiben und Brennen für die gemeinsame Mission, den Erfolg und Durchbruch allein lösen diesen Interessenkonflikt noch nicht auf. Vor diesem Hintergrund dürfen Start-ups nicht als trojanisches Pferd – Einhorn hin oder her – für einseitige, weil ausschließlich kapitalseitige Interessen bedienende Politik herhalten. Sie haben nämlich abgesehen davon eine wesentliche Rolle in Innovations-Ökosystemen und bei der Nutzung und Verbreitung neuer Technologien. Aus diesen Gründen sind Start-ups richtigerweise Teil einer umfassenden und umsichtigen Industriepolitik. Industriebetriebe innovieren in Kooperation mit Start-ups Geschäftsmodelle und Technologien und die EU setzt in ihrer Start-up- und Scale-up-Strategie im Rahmen des Wettbewerbskompasses auch auf Start-ups, um die Innovationslücke zu den USA und China zu schließen. Dieser Beitrag möchte Maßnahmen diskutieren, die ein innovatives Start-up-Ökosystem fördern können, ohne dabei die Abkürzung zu nehmen, ausschließlich kapitalseitig wirkende Maßnahmen vorzuschlagen.

Zählt nur der Wille oder ist ein ganzes Ökosystem erforderlich?

Etwas überspitzt kursierte im Silicon Valley lange der Mythos, egal ob Frau oder Mann, arm oder reich, für den Erfolg braucht es nur den unabdingbaren Willen zum Erfolg, eine gute Idee und harte Arbeit: Also wären (öffentliche) Infrastrukturen und Dienstleistungen, soziale Netzwerke und Machtverhältnisse nahezu irrelevant auf dem Weg zu unermesslichem Reichtum. Für privilegierte Stanford-Absolvent:innen eine charmante Illusion, für politische Maßnahmen jedoch kein sinnvolles Narrativ. Klar ist, es kommt zuallererst auf das Ökosystem an. Vereinfacht: Spitzenuniversitäten, erfolgreiche Betriebe und öffentliche, oftmals militärische Kooperationen führen in Verbindung mit renditehungrigem Privatkapital und fehlender Regulierung in Kalifornien zu hyperskalierten Softwaremonopolen. In Verbindung mit staatlichen Krediten und missionsorientierter Industriepolitik in China kommt es überdies zur Etablierung umfassender physischer Infrastrukturen und Produktionskapazitäten. Kluge und fleißige Personen brauchen Zugang zu enormen Finanzmitteln. Wie dieser Zugang und alles Weitere jedoch gestaltet wird, ist maßgeblich für die Art des Ergebnisses.

Für starke und innovative Ökosysteme braucht es die öffentliche Hand als mutige Förderin und Beschafferin, die Wissenschaft als Ideen-, Erkenntnis- und Talenteschmiede, die Industrie als Innovationsträgerin mit Skalierungskompetenz und die Finanzwelt als Risikobewerterin und Finanziererin. Nur wenn das gesamte Konzert auftritt, gelingt die Musik, gelingt die Skalierung von Innovationen entlang einer zielorientierten, menschzentrierten und nachhaltigen Industriepolitik.

Ausgründungen zwischen Spitzenforschung und Industrieexzellenz

Wo aber lässt sich in Österreich ansetzen, um vielversprechende Gründungen und deren Wachstum und Skalierung weiter zu stärken? Trotz überdurchschnittlicher Förderungen und international anerkannter Spitzenforschung von der Quantenforschung über die Materialwissenschaften, Maschinen- und Anlagenbau, Mikroelektronik bis hin zu Life Sciences und Weltraumtechnologien sowie einer F&E-Quote, die in Europa nur von Schweden getoppt wird, liegen universitäre Ausgründungen, „Spin-offs“, in Österreich 50 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Kurz: Die Potenziale nachhaltigerer Produkte und Dienstleistungen durch neue Materialien, Prozessoptimierungen oder den Einsatz neuer Arbeitsmittel werden seltener in Österreich realisiert, als die Forschungsausgaben annehmen lassen würden. Damit hinken auch die Impulse für Beschäftigung, Löhne und Qualifikation hinter den Möglichkeiten her. Ein vielversprechender Ansatz, dies zu ändern, ist die Etablierung und Stärkung von Ausgründungszentren als Schnittstellen zwischen Universitäten, Industrie und Bewertungs- und Finanzierungskompetenz mit dem Ziel, Ideen, Talente, Umsetzungskompetenz und Kapital über unterschiedliche Finanzierungsinstrumente miteinander zu verknüpfen. Beispielhaft kann das sehr erfolgreiche INITS genannt werden, welches jedoch in Größe (z. B. Mitarbeiter:innen) und Schlagkraft (z. B. erfolgreiche Ausgründungen) vergleichbaren Initiativen wie dem Münchner UnternehmerTUM unterliegt. Innerhalb Europas ist Schweden besonders erfolgreich, wofür unter anderem Spotify als Beispiel steht. Maßgeblich dafür ist der etablierte Technologiecluster Kista Science Center, der neben idealen infrastrukturellen Rahmenbedingungen auch Branchenriesen wie Ericsson mit Start-ups zusammenbringt. Außerdem existiert die Verzahnung zwischen öffentlichen Förderbanken wie Almi Företagspartner AG und deren Investitionstochter Almi Invest mit Bewertungsexpertise von Business-Inkubatoren und Acceleratoren, wie beispielsweise Sting, der jährlich bis zu 300 Start-ups evaluiert und bewertet. Beides ist entscheidend für eine erfolgreiche Finanzierung. Eine vertiefte Verknüpfung all dieser Aspekte scheint also maßgeblich für die Etablierung eines vielversprechenden und wirkungsvollen Innovations-Ökosystems, welches ursächlich für vielversprechende Unternehmensgründungen sein kann.

Leitmärkte, um Schlüsseltechnologien zu Marktreife zu verhelfen

Das Beispiel der einstigen industriepolitischen Zukunftshoffnung Europas, des Batterietechnologie-Start-ups Northvolt, zeigt, dass es mit der Gründung und Anschubfinanzierung noch nicht getan ist. Es kann auch notwendig sein, Leitmärkte zu etablieren, die in Verbindung mit Regulierung zu Beginn der Skalierungsphase eine verlässliche Nachfrage für Schlüsseltechnologien sicherstellen. Die deutsche Kaufprämie für Elektroautos hätte genau das tun sollen, ist dann aber im Haushaltsstreit wieder gestrichen worden, wodurch das Ziel verlässlicher, zielorientierter und lenkender Industriepolitik nicht erreicht werden konnte. Während die deutsche Automobilindustrie ohnehin lieber teure und margenträchtige Verbrenner-SUVs baut und die Kaufprämie auch nur einen Teil der Herausforderung adressieren hätte können, zeigt es vor allem auch, wie schwer sich Europa mit Industriepolitik und einer langfristigen, zielorientierten Strategie und konsequenten Umsetzung tut. Trotz umfangreicher Investitionen, öffentlicher Beihilfen, Garantien und Kredite gelingt es bisher nicht, europäische Batterietechnologie in Europa zu entwickeln und zu produzieren, obwohl die Signifikanz dieser Technologie für die ökologische Transformation und entsprechende Produktinnovationen bekannt ist.

Es scheitert auch an der Tatsache, dass Forschungs- und Gründungsförderungen zu wenig mit industriepolitischen Maßnahmen verknüpft werden. Nicht zuletzt auch, weil es eine Abkehr vom marktliberalen Politikverständnis vergangener Jahre und insbesondere der EU bedeutet. Sprich: Es fehlt auch an Selbstbewusstsein, Kapazitäten und Erfahrung in der europäischen Verwaltung in Bezug auf eine konsequente Umsetzung industriepolitischer Maßnahmen und der Überzeugung, Märkte auch abseits von konsumorientierter Regulierung zu gestalten.

Integration von Start-ups in Innovations- und Produktionsökosysteme statt Unicorns in fernen Galaxien

Das finnische Start-up Silo AI, gegründet 2017, ist ein herausragendes Beispiel für ein erfolgreiches europäisches KI-Unternehmen in unmittelbarer Verbindung mit der Schaffung öffentlicher, europäischer KI-Infrastruktur. Das Unternehmen profitierte abgesehen von Forschungsförderungen der EU und des finnischen Innovationsfonds Business Finnland vor allem von LUMI, Europas schnellstem Supercomputer in Kajaani, Finnland, der Teil der von der EU initiierten EuroHPC Supercomputer-Infrastruktur ist. Ohne LUMI gäbe es wohl auch kein Silo AI.

Der Verkauf an AMD für 665 Millionen US-Dollar im Jahr 2024 unterstreicht die Attraktivität europäischer Technologieunternehmen für globale Konzerne. Während die Übernahme durch AMD dem Unternehmen neue Skalierungsmöglichkeiten und Ressourcen eröffnet, wirft sie auch Fragen zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und Eigenständigkeit europäischer Technologieunternehmen auf. Dahingehend ist die Stärkung der Wertschöpfungskette in Europa wichtig. Außerdem sollte auch der Schutz kritischer Technologien, gerade für im Aufbau befindliche Technologien, Produkte und Services oder relevante Infrastrukturanbieter, eine zentrale Rolle in Europas Industriepolitik einnehmen und schon bei der Förderung berücksichtigt werden. Derzeit werden über 80 Prozent der digitalen Infrastrukturen Europas importiert, über 70 Prozent der KI-Basismodelle kommen überwiegend aus den USA und zunehmend auch aus China, womit Europas digitale Kapazitäten enormen systemischen Risiken unterliegen. Die Dominanz US-amerikanischer und chinesischer Tech-Giganten führt auch dazu, dass europäische Start-ups rasch als attraktive Übernahmekandidaten gefährdet sind, fehlen ihnen doch potenzielle europäische Partner und Wertschöpfungsökosysteme. Eine eigenständige europäische Industriestrategie mit Investitionen in u. a. digitale Infrastrukturen braucht es also auch zur Etablierung europäischer Alternativen und damit die Möglichkeit zur Mitgestaltung zukünftiger Wirtschaftsmodelle.

Vorschläge zur Stärkung von Start- und Scale-ups in Österreich

  • Digitale Infrastrukturen: Ausbau von Rechenkapazitäten und Datenzugang durch eine konsequente Umsetzung der im AI Continent Action Plan vorgesehenen Maßnahmen bzw. eine Einbindung Österreichs in diese, wie u. a. AI:Factories und Gigafactories, in Verschränkung mit einer nachhaltigen Energiepolitik und umfassenden Qualifizierungsrahmenprogrammen.
  • Stärkung europäischer Wertschöpfungsketten mit dem Ziel, strategische Technologieunternehmen in Europa aufzubauen und vor Übernahmen zu schützen. Die Etablierung einer „firewall“, die europäischen Unternehmen bevorzugten Zugang zu europäischen Daten und Infrastrukturen gibt. Die Bedingung von Technologie- und Wissenstransfers in strategischen Bereichen im Gegenzug für einen Marktzugang. Die Umsetzung einer europäischen Regulierung, die nicht als bürokratische Hürde missverstanden und angegangen werden soll, sondern praxisnah und anleitend als Hebel für europäische, menschzentrierte und nachhaltige Innovation dient. Das und mehr können unterstützende Maßnahmen sein.
  • Ausbau von Clustersystemen für disruptive Technologien: Universitäten, Start-ups und etablierte Unternehmen sollten früher und systematischer vernetzt werden, mit dem Ziel, Ausgründungen zu forcieren und Innovationstreiber, Finanzkapital und Expertise mit industrieller Skalierungskompetenz und politischer Zielorientierung zusammenzubringen.
  • Gezieltere Förderung durch eine Stärkung der Wirkungsorientierung: Verstärkung eines wirkungs- und zielorientierten F&E-Systems im Sinne einer missionsorientierten Industriepolitik.
  • Reform des Bilanzrechts: Eine Umsetzung des im Regierungsprogramm vorgesehenen Wahlrechts zur Aktivierung selbsterstellter immaterieller Vermögenswerte im UGB könnte Start-ups helfen, ihre Innovationskraft bilanztechnisch besser darzustellen.
  • Betriebliche Mitbestimmung stärken: Partizipation in Start-ups sollte durch Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte unterstützt werden. Dies fördert nicht nur die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen, sondern kann auch die Innovationskraft und Resilienz der Betriebe stärken und somit zu nachhaltigem Wachstum beitragen.
  • Absicherung des Sozialsystems und aktive Arbeitsmarktpolitik: Ein starker Sozialstaat ist essenziell für die Risikobereitschaft von Gründer:innen, da er elementare Risiken absichert und damit Freiräume für unternehmerische Innovationstätigkeiten schafft. Zudem müssen faire Arbeitsbedingungen in Start-ups gewährleistet werden, damit innovative Unternehmen nicht auf Kosten prekärer Beschäftigung wachsen.
  • Wohnraum für Talente sichern: Mehr Studierendenwohnheime könnten internationale Talente nach Österreich locken. Dazu braucht es neben Maßnahmen zur Begrenzung der Kosten vor allem auch die Schaffung zusätzlichen, leistbaren Wohnraums.
  • Mehr Sichtbarkeit für den Standort: Wien und Österreich sollten sich international gezielter als Forschungs- und Innovationsstandorte positionieren. Dabei sollten auch die soziale Absicherung und die hohe Lebensqualität als Standortvorteil hervorgehoben werden, um Fachkräfte und gründungswillige Talente anzuziehen.

Fazit

Österreich hat enormes Potenzial, um Start-ups und Scale-ups als treibende Kräfte für Innovation, Wirtschaftswachstum und gute Arbeit zu fördern. Der Schlüssel liegt in einer gezielten Vernetzung von Forschung, Industrie und Politik, in der Begünstigung von Ausgründungen sowie in der Schaffung von Leitmärkten für Zukunftstechnologien. Gleichzeitig sollte darauf geachtet werden, dass dieser Fortschritt nicht auf Kosten fairer Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung erfolgt, sondern nachhaltiges, inklusives Wachstum ermöglicht. Klar ist auch, dass nicht alle Herausforderungen von Start-ups gelöst werden können, weshalb es einen handlungsfähigen Staat braucht.

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