Just Transition aus globaler Perspektive – zwischen Anspruch und Wirklichkeit

22. Januar 2024

„Just Transition“ ist zu einem Modebegriff geworden, wenn über den notwendigen sozial- ökologischen Umbau gesprochen wird. Doch die Frage, was den angestrebten sozial gerechten Strukturwandel ausmacht, ist umkämpft. Dabei gerät die globale Dimension regionaler, nationaler und europäischer Umbaupolitiken häufig aus dem Blick. Just-Transition-Konzepte im bzw. für den Globalen Norden müssen sich auch mit den Herausforderungen im Globalen Süden befassen und Perspektiven inter- und transnationaler Solidarität in den Fokus rücken.

Ehrgeizige Dekarbonisierungsziele beleben die Just-Transition-Debatte

Die EU hat sich ehrgeizige Dekarbonisierungsziele gesetzt. Dies treibt den Strukturwandel voran und stellt die Politik auf allen Ebenen vor große Herausforderungen. Der Wandel betrifft regionale Produktionsstrukturen, europäische und internationale Wertschöpfungsketten und vor allem die Beschäftigten in den Wirtschaftszweigen, deren Produktion umgestellt, diversifiziert, zurückgefahren oder ganz eingestellt werden muss. Der erklärte politische Wille lautet immer öfter, eine Verschärfung sozialer Ungleichheiten und sozialer Notlagen zu vermeiden. Es sollen keine abgehängten Regionen entstehen. Hier setzt das Konzept der Just Transition an. In der EU wurden beispielsweise im Rahmen des European Green Deal ein „Fonds für einen gerechten Übergang“ (Just Transition Fund) und ein „Klima-Sozialfonds“ eingerichtet.

Eine Just Transition strebt danach, Rechte und Lebensgrundlagen der Beschäftigten im Zuge des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen, kreislauforientierten und nachhaltigeren Wirtschaft zu sichern. Zunächst war der Begriff ein wesentlicher Bezugspunkt der Gewerkschaftsbewegung. Mittlerweile haben ihn, wie beschrieben, auch die Europäische Union oder Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) aufgegriffen.

Fokus auf Gerechtigkeit

Die Gewinnung fossiler Brennstoffe, die Energieerzeugung und die Herstellung von Waren müssen zügig umgebaut werden, um die Klimaziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sind verschiedene Maßnahmen erforderlich, um die Beschäftigten in diesen Sektoren zu unterstützen. Erstens braucht es sozialen Dialog und die demokratische Einbindung der Sozialpartner, der betroffenen Arbeitnehmer:innen und der breiteren Zivilgesellschaft. Zweitens benötigen die Beschäftigten soziale Absicherung und aktive Arbeitsmarktpolitik. Drittens sind (öffentliche) Investitionen in kohlenstoffarme Wirtschaftsbereiche erforderlich, die zur Steigerung der Lebensqualität beitragen und gute Arbeitsbedingungen bieten, beispielsweise in den öffentlichen Verkehr oder in das Bildungs- und Erziehungswesen. Viertens können lokale und regionale Umbaupläne die Schaffung neuer Arbeitsplätze unterstützen und die betroffenen Gemeinden stabilisieren. Just-Transition-Strategien sollten die genannten Punkte möglichst umfassend berücksichtigen.

Die gewerkschaftliche Just-Transition-Debatte ist dabei stark auf Gerechtigkeit ausgerichtet. Sie betrachtet verschiedene Dimensionen. Im Zusammenhang mit Verteilungsgerechtigkeit geht es neben der fairen Verteilung der Transformationslasten auch um die Frage, wer den Umbau bezahlt und wer die Gewinne einfährt. Verfahrensgerechtigkeit ist ein Ziel, das erreicht wird, wenn Entscheidungsprozesse fair, repräsentativ und inklusiv ablaufen. Eher implizit spielt auch Anerkennungsgerechtigkeit eine Rolle. Sie beschäftigt sich damit, wessen Ängste und Bedürfnisse – persönliche und/oder gruppenspezifische – anerkannt und gehört bzw. welche übergangen werden.

Globale und historische Dimension zu wenig berücksichtigt

Die Diskussion um Just Transition vernachlässigt jedoch häufig eine entscheidende Dimension: die globalen Auswirkungen regionaler oder lokaler Umbaustrategien. Denn wirtschaftliche Umstrukturierungen vor Ort wirken sich über globale Lieferketten auch auf andere geografische Räume aus. Und sozial gerechter Strukturwandel in einer bestimmten Region des Globalen Nordens wird über Handels- und Produktionsverflechtungen nicht automatisch exportiert – im Gegenteil. Die Energiewende in Europa benötigt viele seltene Rohstoffe und Energieträger aus Ländern des Globalen Südens. Das gilt auch für die Umstellung der Autoindustrie auf E-Mobilität.

Das mögliche Auseinanderklaffen von Anspruch und Realität zeigt sich auch anhand jüngster politischer Vorhaben der EU. Der „grüne Industrieplan“ soll nicht nur die Durchsetzung grüner Technologien in Europa fördern, sondern auch die Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe für die europäische Produktion sicherstellen. Damit positioniert sich Europa klar im global entbrannten Wettstreit um Rohstoffe und Produktionskapazitäten. Der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU wiederum ist aktuell in der Einführungsphase. Er wird auf bestimmte Güter, die außerhalb der EU unter weniger strengen Umweltauflagen hergestellt werden, einen CO₂-Strafzoll erheben. Aus dem Globalen Süden wurde diesbezüglich schon der Vorwurf des Protektionismus formuliert.

Ein breiterer Blickwinkel ist erforderlich

Viele Forscher:innen und involvierte Akteur:innen sind sich deshalb einig, dass Just-Transition-Strategien auf die transnationale Arbeitsteilung einwirken. Wie sich dies auf die Länder des Globalen Südens auswirkt und wie dadurch globale Abhängigkeitsverhältnisse verändert oder reproduziert werden, ist jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Just-Transition-Konzepte im bzw. für den Globalen Norden müssen sich deshalb auch mit den Herausforderungen befassen, die für Arbeiter:innen, Gemeinden sowie unterdrückte, oft indigene Gruppen im Globalen Süden entstehen. Das bedeutet, dass Perspektiven inter- und transnationaler Solidarität in den Fokus rücken müssen.

Denn Klima- und Umweltschutz kann nur erfolgreich sein, wenn die sozialen Auswirkungen umfassend berücksichtigt werden, auch in historischer Perspektive. Das betrifft Fragen der Klimagerechtigkeit und globaler Produktionsbedingungen ebenso wie gewachsene und verfestigte Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen. Aus einem breiteren Blickwinkel ist die zentrale Frage: Wie können Lasten und Kosten des Klimawandels und der Klimapolitik fair und respektvoll verteilt werden – zwischen den Menschen auf dem Globus, in Zeit und Raum, aber auch im Hinblick auf andere Arten und die Umwelt? 

Im aktuellen Schwerpunktheft des „Journals für Entwicklungspolitik“ widmen sich sechs unterschiedliche Beiträge einigen der hier aufgeworfenen Fragen. Die Einleitung, fünf wissenschaftliche Artikel und die Zusammenfassung eines laufenden Forschungsprojektes können hier kostenlos abgerufen werden.

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