Europas Industrie­strategie braucht neues Regel­werk für Bei­hilfen

13. Mai 2025

Hohe Energiekosten und ein scharfer globaler Wettbewerb. Europa hat mit dem Clean Industrial Deal die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im Fokus, der CO2-Ausstieg soll dabei zum Wachstumsmotor werden. Mit dabei: gesenkte Energiepreise, hochwertige Jobs und optimale Bedingungen für Unternehmen. Dafür müssen die EU-Beihilfenregeln strategisch neu aufgestellt werden, damit die Finanzierung des Deals gelingt.

Kraftspritze für die europäische Produktion

Um den europäischen Unternehmen den Erfolg auf dem Weltmarkt zu ermöglichen und nachhaltigen Wohlstand für alle Menschen in der EU zu schaffen, stellt die Kommission die Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Agenda. Dabei stützt sie sich auf den Draghi-Bericht und den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit und identifiziert drei Handlungsfelder:

  1. Schließung der Innovationslücke 
  2. Dekarbonisierung der Wirtschaft
  3. Abbau der Abhängigkeiten

Der Wettbewerbsfähigkeits-Kompass konkretisiert die Umsetzung dieser Handlungsfelder, u. a. mit EU-Start-up- und Scale-up-Strategie, Aktionsplänen für fortgeschrittene Werkstoffe, Quanten- und Biotechnologie, Robotik und Weltraumtechnologie, Plänen zum Umstieg auf erschwingliche Energie sowie Diversifizierung und Stärkung von Lieferketten. Dabei wählt die EU-Kommission einen branchenspezifischen Ansatz, indem konkrete Strategien für bestimmte Sektoren erarbeitet werden, so etwa der Aktionsplan für die Automobilbranche.

„Ohne Geld ka Musi“

Diese Pläne setzen die Aktivierung neuer Finanzierungsmöglichkeiten voraus. Bei den für die Transformation der Wirtschaft notwendigen Summen ist klar, dass die vorgeschlagenen Aktionspläne und Deals ohne Privatkapital nicht zu stemmen sind. Die Schätzungen zum Kapitalbedarf sind unterschiedlich – sie belaufen sich je nach Institution auf 100 Mrd. Euro pro Jahr, 260 Milliarden pro Jahr oder eine Billion. Klar ist: Es wird viel Geld sein.

Durch die multiplen Krisen – Corona-Pandemie, russischer Angriffskrieg, Handelskrieg zwischen globalen Wirtschaftsmächten und Klimakrise – steht die Europäische Union mit ihren Mitgliedstaaten vor großen Herausforderungen. Die Budgets sind krisenbedingt jedoch oft schmal. Ein Weiter-so-wie-bisher im Wettbewerb der Subventionen zwischen den EU-Mitgliedstaaten erscheint daher wenig erfolgversprechend. Stattdessen muss in Zukunft der Schwerpunkt auf gemeinsamen Förderprojekten liegen, um die zentrifugalen Kräfte, u. a. verursacht durch den anhaltenden Bruderkrieg der Beihilfen, zu befrieden. Wie kann das geschehen?

Ein neues Instrument: CISAF

CISAF ist das wirtschaftspolitische Instrument zur Umsetzung des „Clean Industrial Deal“, des EU-Plans für eine saubere Industrie. Hinter der Abkürzung steckt der sperrige Name „New State aid Framework accompanying the Clean Industrial Deal“ (Neuer Beihilfenrahmen zur Begleitung des Deals für saubere Industrie). Er definiert den mitgliedstaatlichen Gestaltungsrahmen für Beihilfemaßnahmen. Die Konsultation dazu fand im Frühjahr 2025 statt. Ein Blick auf die drei Schwerpunkte des CISAF:

1. Ausbau erneuerbarer Energien

Der Ausbau ist ein prioritäres Ziel, muss aber im Einklang mit dem Ausbau der erforderlichen Netze stehen. Überlegungen dazu fehlen im CISAF. Für eine sichere und leistbare Energieversorgung sind – wie richtigerweise betont wird – alle Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Energiesystems bei Erzeugung, Verbrauch und Speicherung zu nutzen. Dabei muss eine verursachergerechte Kostentragung für Flexibilitäten gelingen. Denn eine entsprechende Verhaltensanpassung – in diesem Fall die Verlagerung des Stromverbrauchs – ist in der Praxis voraussetzungsvoll. Im Bereich der Haushaltsverbraucher:innen ist das Lastprofil – also die Netznutzung – stark vom jeweiligen Tagesablauf und den technischen Möglichkeiten abhängig. Für Haushalte in städtischen Gebieten ist eine Steuerung des Stromverbrauches oft nicht so einfach. Er ist maßgeblich von externen Faktoren bestimmt, wie dem Arbeitsplatz und den dazugehörigen Arbeitszeiten.

Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen Industriezweigen, die oft sehr heterogene Möglichkeiten in Bezug auf Lastverschiebung aufweisen. Mit dem derzeitigen Vorschlag der Kommission drohen unverhältnismäßig hohe Kosten für unflexible Verbraucher:innen mit erheblichen wirtschafts-, sozial- und regionalpolitischen Auswirkungen. Bei der Finanzierung muss ein Mittelweg zwischen Verursachergerechtigkeit und sozialer bzw. wirtschaftspolitischer Verträglichkeit gefunden werden. Eine nationalstaatliche Ausgestaltung könnte deshalb besser auf individuelle Gegebenheiten in den jeweiligen Mitgliedstaaten eingehen. Es wäre damit leichter, einen Finanzierungsmechanismus zu finden, der möglichst treffsichere Anreize bei gleichzeitig hoher Akzeptanz sicherstellt.

CISAF schlägt weiters vor, die Beihilfenhöhe im Rahmen wettbewerblicher Ausschreibungsverfahren zu ermitteln, wobei die Angebotsreihung allein aufgrund des angebotenen Preises erfolgen soll. Damit wird auf eine strategische Förderung durch Verknüpfung mit Konditionalitäten – wie ökologischen, sozialen oder mit Resilienzzielen – verzichtet. Auch die Förderung des europäischen Mehrwertes etwa in Form eines Zuschlags bei der Beihilfenintensität ist im CISAF nicht vorgesehen, um die Produktion strategischer Produkte nach Europa zurückzuholen.

2. Dekarbonisierung der Industrie

CISAF geht vom Grundsatz der Technologieneutralität aus. Damit wird auf klare Strategievorgaben zur raschen Erreichung einer CO2-neutralen Wirtschaft verzichtet. Auch wenn Mitgliedstaaten für ihren Energiemix zuständig sind, bedeutet das nicht, dass jedwede Energiequelle (Atom, Kohle, Gas) förderwürdig sein soll. Vielmehr sind staatliche Beihilfen ein wesentliches Instrument, um durch Technologieklarheit Investitionen in Richtung erneuerbare Energien zu lenken. Positiv ist allerdings, dass Atomkraft vorerst nicht als erneuerbare Energiequelle eingestuft wird. Überhaupt sollten fossile Energiequellen nur als kurzfristige Überbrückungslösung (bspw. für Speicherkapazitäten) förderfähig sein.

Problematisch ist auch, dass neben Maßnahmen zur Abscheidung (Carbon Capture, CC) und Speicherung (CCS) auch Abscheidung und Verwendung (CCU) von CO2 gefördert werden kann. Bei CCU wird lediglich die Emission von CO2 in die Atmosphäre verzögert – bei der Umwandlung von CO2 in Treibstoffe etwa nur um einige Wochen. Sie erfordert aber deutlich mehr Elektrizität, als aus der Verbrennung der gleichen Menge an Energiequellen gewonnen werden kann. Angesichts dieser Tatsache kann CC nur für die Energiespeicherung (CCS) einen sinnvollen Beitrag zur Energiewende leisten.

3. Aktivierung von Privatkapital

Die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität wird ohne die Beteiligung von Privatkapital nicht zu stemmen sein. Allerdings ist die Aktivierung von Privatkapital für Investitionen zur Dekarbonisierung der Industrie differenziert zu bewerten und entsprechend auszugestalten: In bestimmten Fällen kann eine (teilweise) Risikoübernahme durch den Staat sinnvoll sein. Das gilt etwa für Fälle, in denen das Risiko von privaten Anleger:innen überschätzt wird und damit ein Marktversagen vorliegt.

Ein Beispiel dafür ist die Stromnetzinfrastruktur: Diese ist aufgrund ihrer natürlichen Monopolstellung reguliert und kann daher als äußerst sicheres Investment gesehen werden. Dennoch liegt die Kapitalverzinsung oft deutlich über der Verzinsung von risikolosen Staatsanleihen. Hier wäre eine teilweise Risikoübernahme durch den Staat etwa in Form von Garantien sinnvoll. In Bereichen, die stärker mit Risiko behaftet sind, muss eine Risikoübernahme mit Bedacht gewählt werden. Eine staatliche Risikoübernahme darf nicht dazu führen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, also eine Marktverzerrung bewirken. Sofern eine Risikoübernahme durch den Staat erfolgt, muss gesichert sein, dass sich das geringere Risiko auch in einer entsprechend geringeren Rendite niederschlägt. Andernfalls ergäbe sich eine AEUV-widrige Überförderung.

Abschließende Bewertung

CISAF hat das begrüßenswerte Ziel, strategische Abhängigkeiten der europäischen Industrie zu reduzieren. Sein Erfolg wird davon abhängen, ob es damit gelingt, durch Standortsicherung Arbeitsplätze zur erhalten, durch Technologie- und Innovationsförderungen neue Beschäftigung in der EU zu schaffen und die Kosten für die Umstellung auf eine CO2-neutrale Wirtschaft möglichst gerecht zu verteilen. Außerdem muss die EU-Kommission deutlich stärker darauf achten, dass der Subventionswettbewerb zwischen den EU-Mitgliedstaaten von grenzüberschreitenden Gemeinschaftsprojekten abgelöst wird und eine harmonisierte europäische Förderpolitik zum Standard wird.

Folgende Eckpunkte sind zentral:

CISAF muss ein Baustein für eine europäische Industriestrategie werden, bei der die Förderung des europäischen Mehrwertes entsprechend berücksichtigt wird. Industriepolitische Überlegungen wie eine Matching-Klausel (Erhöhung der Beihilfe, wenn Wettbewerber in Drittstaaten außerhalb der EU höhere Beihilfen für ein vergleichbares Vorhaben erhalten) und eine besondere Rechtfertigung bei Standortverlagerung („Relocation“) zur Vermeidung von Beihilfenwettbewerb sind wichtige Voraussetzungen für das Gelingen.

Statt Betriebsbeihilfen und Gießkannenprinzip muss der Schwerpunkt auf Anschubinvestitionen mit drei Schlüsselkonditionalitäten liegen:

  • Herstellung von Energieeffizienz, Vermeidung von Mitnahmeeffekten und Sicherstellung der Wiederverwertung;
  • für Beihilfen für Investitionen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen an ETS-Anlagen muss die entsprechende Menge an Zertifikaten dauerhaft dem Markt entzogen werden;
  • Stärkung der strukturpolitischen und sozialen Komponenten, insbesondere Auflagen zur Standort- und Beschäftigungssicherung.
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