EU-Vorschlag zu Neuer Gentechnik – zurück an den Start, bitte!

16. Januar 2024

Die EU strebt eine Verwässerung bewährter Gentechnikregeln für die Neue Gentechnik an. Im EU-Agrarministerrat gab es erfreulicherweise keine Mehrheit für die Deregulierung der Neuen Gentechnik. Das EU-Parlament stimmt am 24. Jänner im EP-Umweltausschuss ab. Welche Konsequenzen gibt es für Konsument:innen, die Umwelt und die Landwirtschaft, sollte das EU-Parlament für den Vorschlag stimmen?

Am 11. Dezember 2023 scheiterte die EU-Kommission im Agrarministerrat mit ihrem Vorschlag, den Großteil neuer gentechnischer Verfahren ähnlich wie Pflanzen aus konventioneller Züchtung zu behandeln. Österreich setzte sich mit vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten gegen den EU-Vorschlag ein. Zu viele Fragen zur Kennzeichnung, etwaigen Risiken für Gesundheit und Umwelt, Patentschutz sowie Koexistenz – also dem Nebeneinander von gentechnikfreier und Gentechnik-Landwirtschaft – sind bei der Nutzung von Neuer Gentechnik (NGT) derzeit noch offen.

Geht es nach der EU-Kommission, sollen über 90 Prozent der NGT-Pflanzen zukünftig ohne Sicherheitscheck und Zulassung, ohne Kontrolle und Kennzeichnung auf den Lebensmittelverpackungen in der gesamten EU angebaut werden können und nationale Verbote für den Anbau von NGT-Pflanzen nicht möglich sein. Agrarkonzerne drängen mit leeren Greenwashing-Versprechen und irreführenden, unbelegten Behauptungen in puncto Klimakrise, Pestizidreduktion oder Welthunger auf eine schnelle Deregulierung der EU-Gentechnikregeln.

Patente – heiß umstritten

Die Industrie meldet Patente auf NGT-Produkte an und treibt gleichzeitig die Deregulierung von Neuer Gentechnik voran, um verpflichtende Zulassungsverfahren, Risikobewertung sowie Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Saatgut und Lebensmitteln abzuschaffen. Besonders intensiv wird aktuell das Thema Patente von den Entscheidungsträger:innen diskutiert. Denn fast alle, wenn nicht sogar alle Pflanzen, die mit NGT entwickelt werden, sind durch Patente geschützt.

Die EU-Kommission ignorierte die enge Verstrickung von Patenten und Neuer Gentechnik bisher. Im Zuge der Verhandlungen schlug sie vor, bis 2026 einen Bericht über die Auswirkungen der Patente auf NGT-Pflanzen vorzulegen. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um das Problem zu lösen und die offenen Fragestellungen zu Patenten und Neuer Gentechnik zu beantworten. Eine Deregulierung fördert den Markteintritt von patentiertem Saatgut und somit die Monopolisierung von Saatgut.

Warum braucht es Sicherheitschecks bei Neuer Gentechnik?

Eine aktuelle Studie des Umweltbundeamtes im Auftrag der Arbeiterkammer Wien zeigt, warum Sicherheitschecks bei Lebens- und Futtermitteln, die mithilfe Neuer Gentechnik hergestellt werden, dringend notwendig sind. Um sichtbar zu machen, wo die vorgeschlagene Neuregelung nachteilige Auswirkungen auf die gegenwärtigen Standards für die Risikoabschätzung von NGT-Produkten hätte, geht die Studie beispielhaft auf vier NGT-Produkte ein. Diese Beispiele umfassen NGT-Pflanzen, die in anderen Ländern außerhalb der EU, z. B. in Japan, schon vermarktet werden, sowie Pflanzen, deren Entwicklung in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben ist und die bei weiterer Entwicklung in Zukunft auch auf den Markt gebracht werden könnten. Zwei Beispiele aus der Studie:

  • Die Blutdruck-Tomate

In dieser in Japan bereits vermarkteten Tomate wird der Gehalt an ɤ-Aminobuttersäure künstlich erhöht. Das soll Menschen mit hohem Blutdruck guttun. Ungeklärt sind die Konsequenzen für Menschen mit niedrigem Blutdruck und andere vulnerable Gruppen.

  • Der Niedriggluten-Weizen

Diese Pflanze wird gerade entwickelt. In ihr werden über 30 Glutenprotein-Gene künstlich deaktiviert, um sie an Menschen mit Unverträglichkeit für Weizen anzupassen. Ungeklärt ist, ob die neu gebildeten Glutenprotein-Varianten ungefährlich sind bzw. wie die stattdessen produzierten Weizenproteine bei Allergiker:innen wirken.

Die Studienautor:innen des Umweltbundesamtes empfehlen daher eine einheitliche, umfassende Sicherheitsprüfung von NGT-Pflanzen. Denn schon bei der oberflächlichen Betrachtung von nur wenigen Beispielen für NGT-Pflanzen wird klar, dass die Sicherheit einzelner Produkte nur mittels einer an der Praxis orientierten, fallspezifischen Beurteilung garantiert werden kann, welche auf jeweils plausible Gefahrenpotenziale fokussiert. Bei dieser Risikoabschätzung müssen alle möglichen unbeabsichtigten Effekte auf Gesundheit und Umwelt berücksichtigt werden – unabhängig davon, ob sie durch die angewandte Technik bzw. die jeweils erzeugten Merkmale bedingt sind.

Unterstützung erhalten die Kollegen des Umweltbundesamtes sowie kritische Wissenschafter:innen nun auch von der staatlichen französischen „Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt und Arbeitsschutz“ (Anses). Diese veröffentlichte kurz vor Weihnachten eine wissenschaftliche Stellungnahme, aus der hervorgeht, dass Gesundheits- und Umweltrisiken nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. NGTs sind aus ihrer Sicht weder so präzise noch so wenig problematisch, wie die Befürworter:innen behaupten. Die vorgeschlagene Deregulierung folge keinen wissenschaftlichen Erkenntnissen: eine Kritik, die bereits im Juli 2023 vom Wissenschaftsnetzwerk ENSSER geäußert wurde.

Das Recht auf Transparenz ist in Gefahr: Jetzt selbst aktiv werden!

Die EU-Parlamentarier:innen dürfen sich nicht von den Greenwashing-Versprechungen der Konzerne leiten lassen. Während die Biodiversitäts- und die Klimakrise voranschreiten, bleibt keine Zeit für leere Versprechen. Es braucht vielmehr nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft und volle Transparenz und Sicherheitschecks für die Konsument:innen. Denn ohne Kennzeichnung weiß niemand, welches Saatgut auf den Feldern ausgebracht wird, was die Tiere fressen, was in unseren Lebensmitteln verarbeitet wird und was letztendlich auf unseren Tellern landet. Zudem gefährdet die Neue Gentechnik die Biolandwirtschaft. All dies gilt es zu verhindern.

Wichtige Abstimmungen im EU-Parlament stehen an: Am 24. Jänner im EP-Umweltausschuss und wohl im Februar schon im gesamten EU-Parlament. Damit sich EU-Abgeordnete im EU-Parlament für die strikte Regulierung und verpflichtende Kennzeichnung von Neuer Gentechnik im Essen einsetzen, braucht es viele Menschen, die mit wenigen Klicks die zuständigen EU-Parlamentarier:innen kontaktieren, um sie aufzufordern, sich für Regulierung und Kennzeichnung von Neuer Gentechnik einzusetzen.

Es kursieren allerlei kuriose Ausreden, mit denen einige Konzerne und auch EU-Parlamentarier:innen versuchen, die Kennzeichnung von Gentechnik im Essen zu umgehen. Mit einem „Ausredengenerator“ können wir gemeinsam darüber lachen und gleichzeitig für mehr Transparenz kämpfen: Etikettenpapier aufgebraucht? Zu „kompliziert“ für uns Konsument:innen? Oder vielleicht haben die Drucker einfach beschlossen, in den Streik zu treten? So gehen wir gemeinsam gegen diese skurrilen Ausflüchte vor und zeigen, dass wir Konsument:innen uns nicht so leicht täuschen lassen.

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