Am Wendepunkt der Konjunktur. Zur neuen WIFO-Prognose

21. Dezember 2023

Das WIFO erwartet nach der merklichen Rezession 2023 (-0,8 Prozent) für das kommende Jahr eine nur sehr bescheidene Erholung der Wirtschaftsleistung (real +0,9 Prozent). Diese wird von der Konsumnachfrage und damit von steigender Beschäftigung und kräftigem Reallohnwachstum (+3,7 Prozent pro Beschäftigten) getragen. Dazu kommt die beginnende Erholung der Industrie, die bei Anhalten die Konjunktur auch kräftiger als prognostiziert beleben könnte. Wiewohl der Anstieg der Realeinkommen breit und stark ist, erfasst er nicht alle Menschen. Vor allem (Langzeit-)Arbeitslose leiden unter drastischem Kaufkraftverlust.

Ungewöhnlich verhaltene Konjunkturerholung

Das reale Bruttoinlandsprodukt steigt laut WIFO-Prognose 2024 nur um 0,9 Prozent. Damit bleibt die Konjunkturerholung sehr schwach. Die Wertschöpfung der Industrie und die Bruttoanlageinvestitionen sollen sogar nach 2023 auch 2024 zurückgehen.

Die Risiken der Konjunktur sind hoch: Kriege, drohende Immobilien- und Finanzkrise, Staatsausgabenkürzungen wegen der Schuldenbremse in Deutschland, Einbruch in der (deutschen) Kfz-Industrie. Dennoch könnte sich die Konjunktur besser entwickeln als vom WIFO unterstellt. Erstens ließ die saisonbereinigte Industrieproduktion bereits in den Sommer- und Herbstmonaten einen Aufwärtstrend erkennen und die Unternehmenserwartungen haben sich verbessert, wogegen die Auftragslage als schlecht eingeschätzt wird. Sollte sich die Erholung der Produktion auch im Spätherbst und Winter fortsetzen, so würde das einen merklichen Anstieg der Wertschöpfung im Jahresdurchschnitt 2024 ermöglichen.

Zweitens ist der Arbeitsmarkt sehr robust. Trotz Rezession wuchs die Zahl der unselbstständig Beschäftigten 2023 um 44.000 (+1,1 Prozent) und auch für 2024 zeichnet sich ein merklicher Anstieg ab (+26.000). Die Zahl der Arbeitslosen steigt 2023 und 2024 nur leicht (+8.000 bzw. +3.000). Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Zahl der Beschäftigten dauerhaft steigt, aber die von ihnen geschaffene Produktion an Gütern und Dienstleistungen sinkt.

Drittens beflügeln der Anstieg der Beschäftigung und die außerordentlich starke Erhöhung der Reallöhne (2024: +3,7 Prozent je Beschäftigten) die Konsumnachfrage der Haushalte. Diese könnte stärker steigen als vom WIFO unterstellt (2024: +1,6 Prozent).

Sinkende Inflation, dauerhaft höheres Preisniveau

Das WIFO prognostiziert einen deutlichen Rückgang der Inflationsrate von 7,9 Prozent im Jahr 2023 auf 4,0 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass das allgemeine Preisniveau beständig steigt und bereits um mehr als ein Fünftel höher liegt als 2020. Die Teuerungskrise nahm ab Mitte 2021 an Fahrt auf, die Inflationsrate kletterte 2022 auf 8,6 Prozent und erreichte in einzelnen Monaten sogar knapp 11 Prozent.

Grafik: Teuerungskrise  © A&W Blog
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Das dauerhaft gestiegene Preisniveau trifft besonders armutsbetroffene Haushalte. Das untere Einkommenszehntel muss die Hälfte seiner Ausgaben für Basisgüter und -dienste wie Wohnen, Energie und Lebensmittel aufwenden. Gleichzeitig stieg die Mehrbelastung für diese Gruppe allein aufgrund dieser drei Kategorien seit 2020 um mehr als ein Fünftel. Für viele Menschen mit geringem Einkommen ist „einen Kaffee trinken Luxus geworden“.

Die Rolle der Regierung in der Abfederung der Teuerung

Die Inflationsrate ist in Österreich im Vergleich mit anderen EU-Ländern außerordentlich hoch. Das ist auf höhere Energie-, Industrie- und Dienstleistungspreise zurückzuführen. Es ist auch das Ergebnis fehlender Preiseingriffe der Bundesregierung. Außer der Strompreisbremse und der Senkung von Energieabgaben gab es keine nennenswerten inflationsdämpfenden Maßnahmen. Vielmehr ergriff die Regierung eine Reihe von Maßnahmen zum Teuerungsausgleich: Anti-Teuerungsbonus, Energiekostenausgleich, Sonder-Familienbeihilfe, Einmalzahlungen an armutsgefährdete Gruppen bzw. Pensionist:innen, Erhöhung des Kindermehrbetrags, Teuerungsabsetzbetrag, KV-Beitragsgutschrift für Selbstständige, Pendler:innen-Kostenausgleich; später noch Wohn- und Heizkostenzuschüsse, Wohnschirm, Anti-Teuerungspaket für Familien sowie ein Energiekostenzuschuss für neue Selbstständige.

Häufig werden aber auch die bereits vor der Teuerungskrise beschlossene ökosoziale Steuerreform inklusive der Abschaffung der kalten Progression als Anti-Teuerungsmaßnahmen deklariert. Auch sie tragen zur Stützung der Haushaltseinkommen bei und insgesamt führten alle Maßnahmen zusammen dazu, dass die zusätzlichen Belastungen durch die besonders hohe Inflation 2022 für die meisten Haushalte ausgeglichen wurden. Nachdem die betragsmäßig besonders relevanten Maßnahmen 2023 aber nicht verlängert wurden, ergibt sich für heuer gemäß WIFO-Prognose sogar ein geringfügiger Rückgang der verfügbaren Haushaltseinkommen gegenüber dem Vorjahr. Erst 2024 beginnen sie wieder merklich zu steigen (2024: +2,8 Prozent). Bei der Durchschnittsbetrachtung gemäß Mikrosimulationen zeigt sich ein etwas anderes Bild: Da ergeben sich für den Durchschnitt aller Haushalte bereits für heuer – und besonders für nächstes Jahr – real verfügbare Einkommensgewinne gegenüber 2021.

Die Analysen des Fiskalrats deuten hingegen für 2023 noch auf ein Sinken der Kaufkraft um 5,9 Mrd. Euro im Vorjahresvergleich hin. Bei detaillierter Zerlegung zeigt sich, dass das einkommensärmste Zehntel der Haushalte einen preisbereinigten Einkommensverlust (verfügbares Einkommen) von etwa 6 Prozent gegenüber dem Beginn der Teuerungskrise erleidet, der auch 2024 noch nicht ausgeglichen sein wird.

Lohnabschlüsse leisten größten Beitrag zur Erholung verfügbarer Einkommen

Mitarbeiter des Budgetdienstes zeigen, dass vor allem die Lohn- und Gehaltsabschlüsse 2023 und – noch deutlich stärker – 2024 zum Anstieg der verfügbaren Haushaltseinkommen beitragen, während die Effekte der ökosozialen Steuerreform und der Anti-Teuerungsmaßnahmen nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen.

Grafik: Lohn- und Gehaltsabschlüsse der Herbstlohnrunde 2023 © A&W Blog
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Nahezu alle Kollektivverträge der Herbstlohnrunde weisen einen Abschluss nahe oder sogar über der hohen rollierenden Inflationsrate auf. Wegen des schrittweisen Rückgangs der Inflationsrate ergeben sich damit für 2024 hohe Reallohngewinne. Viele der Abschlüsse beinhalten zudem auch ein solidarisches Element, das zu stärkeren Anhebungen niedrigerer Lohn- und Gehaltsgruppen führt und die Kaufkraft jener unselbstständig Beschäftigten stärkt, deren Sparquote tendenziell niedriger ist. Allerdings steigen die Löhne und Gehälter in Österreich deutlich rascher als jene in Deutschland und dem Euroraum. Dies trägt die Konsumnachfrage in Österreich, während Konsum und Import bei den Handelspartnern sowie die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Exporteure gedämpft werden.

Fazit

Die heimische Konjunktur steht an einem Wendepunkt. Das WIFO betont die Risiken und sieht keinen nennenswerten Konjunkturaufschwung. Eine beherzte und zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, die etwa Investitionen in Klima und Qualifizierung sichtbar ausweitet, könnte auf robuster Beschäftigungsausweitung und Konsumnachfrage aufbauen und die beginnende Erholung der Industrie stärken.

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