Heiße Diskussion: der Industriestrompreis

13. Oktober 2023

In Deutschland wird derzeit darüber diskutiert, mittels „Industriestrompreis“ Industrieunternehmen längerfristig einen Teil ihrer Stromkosten abzunehmen. Das könnte einen Subventionswettbewerb in ganz Europa auslösen. Besser wäre, möglichst schnell ein leistbares, nachhaltiges und funktionierendes Energiesystem aufzustellen und mit vorausschauender Industriepolitik die grüne Transformation aktiv zu gestalten.

Energie als besonderes Gut

Energie ist kein Gut wie jedes andere, das haben uns die letzten Monate eindrucksvoll bewiesen. Die Energiepreiskrise, die vom russischen Überfall auf die Ukraine verursacht wurde, war ein Hauptauslöser für die hohe Inflationsrate der letzten Monate. Viele Unternehmen gaben die erhöhten Energiekosten über höhere Verbraucherpreise an die Konsument:innen weiter. Einige Unternehmen dürften die Situation auch dazu genutzt haben, ihre Preise noch weiter zu erhöhen und damit ihre Profite aufzupeppen. Andere Unternehmen, die gar nicht oder kaum von steigenden Energiepreisen betroffen waren, haben die Situation ausgenützt und ungerechtfertigt ebenfalls ihre Preise erhöht. Die österreichischen Haushalte waren dadurch doppelt vom Energiepreisanstieg betroffen: Sie mussten nicht nur höhere Strom- und Gasrechnungen stemmen, sondern waren zeitgleich mit steigenden Kosten für Lebensmittel, Mieten und viele andere Waren und Dienstleistungen konfrontiert.

Dass es so weit kommen konnte, liegt dabei auch an der Politik. Länder wie Spanien und Portugal konnten durch beherzte Markteingriffe den Strompreis vom explodierenden Gaspreis entkoppeln. Hätte man in Österreich durch ein ähnliches Vorgehen den Anstieg der Strompreise halbiert, dann wäre die Inflation im Jahr 2022 um rund ein Viertel niedriger gewesen. Noch besser gewesen wäre allerdings ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Vor allem aus Deutschland kam gegen eine EU-Lösung heftiger Gegenwind. Stattdessen werden nun Subventionen diskutiert, um die Industrie vor hohen Energiekosten durch einen staatlich subventionierten „Industriestrompreis“ zu schützen. Denn die hohen Stromkosten schwächen den deutschen Wirtschaftsstandort.

Haushalte übernehmen Stromrechnung für die Industrie

Konkret soll die Industrie von einem Strompreisdeckel von (je nach Vorschlag) 4 bis 6 Cent pro Kilowattstunde (kWh) profitieren – oder zumindest bestimmte Teile der Industrie, etwa Unternehmen mit einem hohen Energiebedarf. Zum Vergleich: An der Strombörse zahlt man zurzeit etwa 10 Cent pro kWh. Rund die Hälfte des Strompreises würde damit aktuell bezuschusst werden, wobei „nur“ 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gefördert werden sollen. Das deutsche Finanzministerium schätzt die Kosten für einen solchen Industriestrompreis insgesamt auf 25 bis 30 Mrd. Euro bis 2030. Dazu kommen weitere Kosten für zusätzliche Erleichterungen, etwa Vergünstigungen bei den Stromnetz-Entgelten für die Industrie (obwohl es hier ohnehin schon großzügige Erleichterungen gibt). Finanziert werden müsste die Förderung von den Steuerzahler:innen. Verteilungspolitisch ist das nicht unproblematisch. In Deutschland stammen die meisten staatlichen Einnahmen aus Steuern und Abgaben auf Arbeit und Konsum und nur zu einem geringen Teil aus Gewinnsteuern.

In Österreich dürften sich bei einer ähnlichen Vorgangsweise die Kosten bis 2030 auf 4 bis 6 Mrd. Euro belaufen, sofern sich der Kreis der Unternehmen an den bisherigen Stromkosten-Ausgleich laut Stromkosten-Ausgleichsgesetz (SAG) anlehnt und man von einem Strompreis von 10 bis 12 Cent pro kWh ausgeht. Wie in Deutschland wären auch hierzulande die Verteilungswirkungen problematisch – stammen in Österreich doch nur 9,3 Prozent der Steuereinnahmen aus Gewinnsteuern. Der überwiegende Teil der Einnahmen stammt aus Steuern auf Konsum und Arbeit. Gleichzeitig müssten die Haushalte weiterhin erhöhte Strom- und Netzkosten zahlen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Dabei ist wichtig festzuhalten, dass sich bei vielen Unternehmen die Frage der Überförderung stellt. Denn wie eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, wären nur ein paar wenige Unternehmen von großen Kostenanstiegen im Verhältnis zu ihrer Wertschöpfung betroffen.

Wettbewerbspolitisch bedenklich

Deutschland profitiert als Exportland vom Binnenmarkt. Das bedeutet aber auch, dass es sich an die Regeln des gemeinsamen Marktes halten muss. Ein subventionierter deutscher Industriestrompreis würde einen Wettbewerb der Subventionen nach sich ziehen. Umso mehr, als die deutsche Industrie laut DIW-Studie aufgrund zahlreicher Abgabenbefreiungen bei den Bruttostrompreisen ohnehin nur im europäischen Mittelfeld liegt. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht das Beihilfenverbot der europäischen Verträge. Es soll verhindern, dass sich budgetstarke Mitgliedstaaten durch Beihilfen an bestimmte Unternehmen einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen – zum Nachteil von Mitgliedstaaten mit kleineren Budgetspielräumen. Zusätzlich besteht durch eine derartige Subventionsmaßnahme die Gefahr, dass Fortschritt und Entwicklung gehemmt werden, indem nicht ausreichend wettbewerbsfähige Unternehmen oder Technologien künstlich im Markt gehalten werden – Stichwort: verzögerte Umstellung auf Elektrofahrzeuge oder Wasserstofftechnologie. Einzelstaatliches Vorgehen mit Gießkannenprinzip und problematischen Auswirkungen darf deshalb nur als eine äußerst kurzfristige, vorübergehende Notfallmaßnahme zum Einsatz kommen. Langfristig ist eine gemeinsame europäische Energie- und Industriestrategie mit strategischen Zielvorgaben erforderlich.

Drohende teure Dauersubvention

Studien zeigen, dass Strom in der EU auch längerfristig teuer bleiben wird. Das liegt einerseits an den europäischen Bedingungen für die erneuerbare Stromerzeugung. Verglichen mit anderen Regionen gibt es beispielsweise weniger Sonnenstunden. Andererseits spielt aber auch die Ausgestaltung des europäischen Strommarkts eine wichtige Rolle. Denn durch die Beibehaltung des Merit-Order-Prinzips wird weiterhin das teuerste zur Deckung des Strombedarfs gerade noch benötigte Kraftwerk den Preis für alle Kraftwerke vorgeben. Durch die hohe Volatilität, steigende CO2-Preise und saisonale Schwankungen von Erneuerbaren Kraftwerken wird der Preis daher auch zukünftig oft von flexibel einsetzbaren Kraftwerken abhängen. Das werden etwa (teilweise mit grünem Gas oder Wasserstoff betriebene) Gas- oder Pumpspeicherkraftwerke sein. Der Strompreis wird dadurch langfristig nicht sinken. Somit droht der Industriestrompreis zu einer Dauersubvention der Industrie zu werden. Gleichzeitig dürfen sich vor allem die Betreiber bereits abgeschriebener Erneuerbarer Kraftwerke weiterhin über hohe Gewinne freuen. Die Dauersubvention der Industrie wäre am Ende vor allem eine Umverteilung von den Haushalten zur Energiebranche, wobei die Haushalte selbst mit höheren Strompreisen leben müssen. Sie kann daher nicht mehr als eine vorübergehende Überbrückungsmaßnahme darstellen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Kluge Lösung notwendig

Um unseren Wohlstand langfristig zu sichern, ist eine nachhaltige Lösung wichtig. Diese kann nicht bedeuten, in einen europäischen Subventionswettbewerb einzusteigen. Stattdessen muss an zwei Ebenen angesetzt werden:

Erstens sollte das Energiesystem auf das energiepolitische Dreieck „Nachhaltigkeit – Sicherheit – Leistbarkeit“ ausgerichtet werden. Dazu braucht es eine Reform des Strommarktes, die sowohl den Ausbau des erneuerbaren Stromes als auch die Leistbarkeit des Stromes garantiert. Der Strompreis sollte die durchschnittlichen Stromgestehungskosten (Betriebskosten inklusive Investitionskosten) widerspiegeln. So kann garantiert werden, dass alle – und nicht nur die exportorientierte Industrie – von einem nachhaltig leistbaren Strompreis profitieren. Gleichzeitig besteht das Energiesystem aus vielen Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Auch der Ausbau der Stromnetze spielt hier eine wichtige Rolle. Nur ein leistungsfähiges und stabiles Stromnetz kann garantieren, dass günstig erzeugter erneuerbarer Strom auch dorthin kommt, wo er gebraucht wird. Eine stärkere Kostenbeteiligung von Stromerzeugern und Stromhändlern muss sicherstellen, dass die Kosten des notwendigen Netzausbaus fair verteilt werden und Verbraucher:innen entlastet werden (zurzeit tragen Stromerzeuger weniger als 2 Prozent der Netzkosten).

Zweitens braucht es eine aktive Industriepolitik, die Standortpolitik nicht über Betriebskosten-Dumping und Subventionswettbewerb betreibt. Investitionsförderungen sollten dazu strategisch eingesetzt werden. Es braucht einen industriepolitischen Plan, der auf den Stärken Österreichs aufbaut. Einer, der beispielsweise im Bereich Halbleiter oder kreislaufwirtschaftliche Produktionssysteme gezielt und effektiv Forschung und Entwicklung weitertreibt. Der Plan muss europäisch abgestimmt sein und auch politische Rahmenbedingungen und Vorgaben beinhalten, die für einen sozial-ökologischen Umbau unverzichtbar sind. Dazu ist es wichtig, dass die Beschäftigten in den Umbau ihrer Industriebetriebe in Richtung Resilienz und Nachhaltigkeit eingebunden werden. Der Green Deal Industrial Plan der EU geht dahingehend noch nicht weit genug.

Keinesfalls sollte sich die Industriepolitik Deutschlands oder gar der EU damit begnügen, dass sich reiche, große Mitgliedstaaten einen billigen Strompreis für ihre exportorientierte Industrie mit öffentlichen Mitteln (letztlich größtenteils von Arbeitnehmer:innen finanziert) erkaufen. Denn dieses Vorgehen geht zulasten aller anderen Staaten und der Bürger:innen in der EU, die weiterhin unter einem hohen Strompreis leiden.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung