Klima- und Umwelteuroparecht – Hat die EU die Kompetenzen, die es braucht?

21. April 2022

2019 hat die Europäische Union den Green Deal ausgerufen: Die CO2-Emissionen sollen rigoros reduziert werden, bis 2050 will die EU klimaneutral sein. Mit dem Europäischen Klimagesetz und dem „Fit for 55“-Paket aus 2021 hat sich die EU an die Umsetzung gemacht. Dabei ist die EU aber von den Mitgliedsstaaten abhängig. Mit der Ukraine-Krise besteht nicht nur ein Risiko des Abwendens von der europäischen Klimapolitik, sondern auch die Chance einer beschleunigten ökosozialen Transformation. Doch hat die EU überhaupt die Kompetenz, die für eine effektive Klimaschutzgesetzgebung benötigt wird?

Die bestehenden Umweltkompetenzen der EU

Die „Bekämpfung des Klimawandels“ wird bereits im Primärrecht der EU, das die Grundlage ihres politischen und rechtlichen Systems bildet, als ein zentrales Ziel genannt. Umweltschutz und Verbesserung ihrer Qualität, Schutz der menschlichen Gesundheit sowie umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen sind als weitere Ziele der Unionspolitik formuliert.

Den bestehenden EU-Kompetenzen zur Gesetzgebung im Umweltbereich (allen voran Artikel 191–193 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) gingen bereits in den 1970er Jahren Unionsakte im Umweltsekundärrecht bei der Verwirklichung des Binnenmarkts voraus. 1986 führte die Einheitliche Europäische Akte eine eigene Umweltkompetenz der Union ein, auch um auf das steigende Bewusstsein für Umweltschutz zu reagieren.

Die Umweltkompetenzen wurden also ursprünglich geschaffen, um nationalen Alleingängen in der Umweltpolitik und damit Eingriffen in Binnenmarkt und Wettbewerb zuvorzukommen. Nichtsdestoweniger sind die bestehenden regulatorischen Möglichkeiten nicht zu unterschätzen. Neben den genannten Zielen und damit verbundenen Kompetenzen gilt Umweltschutz auch als Querschnittsmaterie: Umweltschutz muss laut den EU-Verträgen in der Unionspolitik immer miteinbezogen werden (Art 11 AEUV).

Umwelt- und Klimaschutz sind also im europäischen Primärrecht fest verankert. Allerdings zählt Umweltpolitik zu den Bereichen der geteilten Zuständigkeit zwischen Union und Mitgliedsstaaten. Für die Durchführung der auf europäischer Ebene beschlossenen Umweltpolitik sind grundsätzlich die Mitgliedsstaaten verantwortlich.

Das EU-Klimagesetz

Das sogenannte EU-Klimagesetz zielt auf Klimaneutralität bis 2050 ab. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Die Anpassungsmaßnahmen müssen dabei aber auch hier primär durch die Mitgliedsstaaten erfolgen. Die EU formuliert demgegenüber Zwischenziele, arbeitet sektorspezifische Fahrpläne aus und bewertet die nationalen Anstrengungen.

Bereits die vorher geltende Klimaschutz-Verordnung verpflichtete im Anschluss an die Pariser Klimaziele die einzelnen Mitgliedsstaaten zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen, um unionsweit bis 2030 eine Senkung von 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 zu erreichen. Mit der begleitenden Governance-Verordnung wurde den Mitgliedstaaten aufgetragen, entsprechende nationale Energie- und Klimapläne vorzulegen (Art 3 der Verordnung), die auf breiter öffentlicher Konsultation beruhen, Korrelation zwischen Zielen und konkreten Maßnahmen herstellen, eine Folgeabschätzung beinhalten und die wiederum von der EU-Kommission bewertet werden.

Das EU-Klimagesetz stützt sich nun ebenfalls auf den in der Governance-VO festgelegten Kontrollmechanismus durch die Kommission (Art 7 EU-Klimagesetz). Die Kommission bewertet alle fünf Jahre die Vereinbarkeit der nationalen Maßnahmen beruhend auf den vorgelegten Energie- und Klimaplänen sowie den langfristigen Strategien und Fortschrittsberichten der Mitgliedsstaaten. Dabei kann sie auch die Nichteignung feststellen und den jeweiligen Mitgliedsstaaten öffentlich weitreichende Empfehlungen aussprechen.

Allerdings ist hier keine direkte rechtliche Sanktionierung vorgesehen, um die Mitgliedsstaaten auf gewisse Maßnahmen zu verpflichten. Dieser Unterschied im Vergleich zum vehementen Vorgehen der Union in anderen Krisensituationen, wie etwa bei der Auseinandersetzung mit nationalen Angriffen auf den Rechtsstaat oder der Austeritätspolitik im Anschluss an die Finanzkrise ab 2008, springt ins Auge.

An den Grenzen der europäischen Kompetenzen

Trotz des ambitionierten EU-Klimagesetzes zeigt sich bei der Analyse der EU-Verträge, dass die EU kompetenzrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Grundsätzlich sieht die Umwelt-Unionskompetenz die Rechtsetzung mit qualifizierter Mehrheit vor. Unter anderem bei „Vorschriften überwiegend steuerlicher Art“ ist aber Einstimmigkeit im Rat vorgesehen. An dieser Einstimmigkeitsklausel ist bereits ein Kommissionsentwurf einer europäischen CO2-Steuer aus 2011 gescheitert.

Darüber hinaus bestehen etwa bei der Energiepolitik Einschränkungen der EU bei Vorgaben auf europäischer Ebene. So dürfen Maßnahmen nicht das Recht der Mitgliedsstaaten beschneiden, den Energiemix für das eigene Land (also die „Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung“) zu bestimmen (Art 194 AEUV). Damit hängt etwa die weitere Verwendung von Atomstrom oder Kohlestrom vom jeweiligen Mitgliedsstaat ab. Solange hier aber keine Einigkeit der Mitgliedsstaaten erzielt wird, bestimmte Energieträger aus dem Energiemix auszunehmen, wird der Fortschritt hinsichtlich erneuerbarer Energiequellen im Hintertreffen bleiben.

Schließlich befindet sich auch aus grundrechtlicher Perspektive der unionale Umweltschutz im Dornröschenschlaf. Art 37 der Grundrechtecharta der EU verpflichtet die Union wie die Mitgliedsstaaten „ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität […] in die Politik der Union“ einzubeziehen und „nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung“ sicherzustellen. Während das deutsche Bundesverfassungsgericht 2021 vorgezeigt hat, wie eine derartige Staatszielbestimmung gemeinsam mit dem Recht auf Leben ein Recht auf Klimaschutz begründen kann, fehlt eine derartige Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof.

Eine Klimaklage vor dem Europäischen Gericht wurde mangels individueller Betroffenheit zurückgewiesen, der EuGH bestätigte diese erstinstanzliche Entscheidung. Da einzelne Betroffene sich nicht einfach direkt an den EuGH wenden können, ist eine Weichenstellung in der Rechtsprechung auf europäischer Ebene umso wichtiger. Um eine entsprechende Judikatur des EuGH anzustoßen, kommt der Europäischen Kommission ebenso wie den nationalen Gerichten eine besondere Bedeutung zu.

Die ökologische Weiterentwicklung der EU-Verträge

Klimakrise und Biodiversitätsverlust zeigen deutlich auf, dass der Konsens, auf dem Nationalstaaten aber auch die Europäische Union begründet wurden, einer Überarbeitung bedarf. Das entschlossene Vorgehen hin zu einer sozial-ökologischen Transformation benötigt auch eine Diskussion über die Anpassung der rechtlichen Unionsgrundlagen, konkret der EU-Verträge.

Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 scheinen weitere Änderungen der EU-Verträge ausgeschlossen. Die ökologischen und damit verbundenen sozialen Herausforderungen führen die Notwendigkeit, auch das europäische Primärrecht anzupassen, deutlich vor Augen. Über die Verschiebung von Kompetenzen aus dem Bereich der Einstimmigkeit in die Mehrstimmigkeit hinaus bedarf es eines klaren primärrechtlichen Handlungsauftrags für einen umfassenden Umwelt- und Klimaschutz, um breitflächig Vorgaben auf europäischer Ebene vorsehen und durchsetzen zu können. Damit verbunden sind neben der ökologischen auch soziale Themenstellungen mit zu berücksichtigen.

Druck über Bewertungen im Rahmen des EU-Klimagesetzes auf die Mitgliedsstaaten auszuüben wirkt angesichts der anstehenden Herausforderungen verhalten. Eine sozial-ökologisch Transformation bedarf europäischen Handelns in Solidarität.

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