Hohe Energiepreise: Zeit, die unsichtbare Hand des Marktes einzuschränken

26. September 2023

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat gezeigt, dass das europäische Strommarktdesign für eine derartige Krisensituation nicht geeignet ist. Es setzt die falschen Marktsignale und gefährdet dadurch unseren Wohlstand. Deshalb ist nicht nur die EU-Kommission gefordert, ein neues Modell für den Strommarkt zu gestalten. Vielmehr können auch die nationale Gesetzgebung und Regulatoren Instrumente entwickeln, die darauf abzielen, ungerechtfertigte Strompreiserhöhungen von Energielieferanten zu verhindern. Das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) wird derzeit in der Regierung verhandelt: eine wichtige Gelegenheit zur Korrektur dieser Schieflage.

Massive Belastungen der Konsument:innen bestehen noch immer

Die jüngsten Entwicklungen auf den Energiemärkten haben dazu geführt, dass die Energiepreise enorm schwankten und Konsument:innen massiven Teuerungen unterworfen waren und immer noch sind. Um die negativen Folgen abzumildern, wurden sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene legistische Gegenmaßnahmen ergriffen. Österreich reagierte auf die Teuerungskrise der letzten Monate primär mit Einmalzahlungen und Zuschüssen für Endverbraucher:innen und Unternehmen, aber – im EU-Vergleich – wenig mit direkt preissenkenden Maßnahmen. Nur die sogenannte „Strompreisbremse“, die den Strompreis für eine bestimmte Abnahmemenge deckelt, ist eine preissenkende Maßnahme, die damit auch inflationsdämpfend wirkt.

Anders als der Gesetzgeber griffen die österreichischen Gerichte aufgrund einer Klage des VKI (Verein für Konsumenteninformation) das Problem der massiv steigenden Strompreise auf. So ließ die Entscheidung des Handelsgerichts Wien durch ihre weitreichenden Konsequenzen für den Energiesektor aufhorchen: Es entschied, dass der Verweis von Stromlieferanten auf allgemeine Strommarktindizes nicht ausreicht, um Preiserhöhungen zu rechtfertigen. Im konkreten Falls ging es um ein österreichweit tätiges Energieunternehmen, das unter Verweis auf die Indexsteigerung des österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) seine Strompreise erhöhte. Problem dabei: Die Indexsteigerung war auf den starken Anstieg der Stromgroßhandelspreise zurückzuführen, wobei dieser Index Strom aus allen Erzeugungsformen beinhaltet. Gleichzeitig verwies aber das betreffende Energieunternehmen in seinen Geschäftsberichten stolz auf seine grüne Politik, weil es seinen Strom aus Wasserkraft erzeugt. Die Preiserhöhung wurde vom Gericht als ungerechtfertigt eingestuft. Denn das Energieunternehmen konnte für das Gericht die maßgeblichen Umstände für die vorgenommene Strompreiserhöhung nicht ausreichend nachweisen, so wie das im einschlägigen Gesetz vorgesehen ist. Eine Forderung nach Transparenz macht daher Sinn: Denn bei Änderung oder Wegfall dieser Umstände hat eine entsprechende Entgeltsenkung zu erfolgen.

Vor diesem Hintergrund liegt die Überlegung nahe, im Zuge der anstehenden Novellierung des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes in Fortentwicklung des § 80 Abs 2a Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) eine Überprüfung der Angemessenheit von beabsichtigten Strompreisänderungen durch die zuständige Energie-Regulierungsbehörde vorzusehen. Damit würde eine höhere Rechtssicherheit bei Strompreisänderungen für Kund:innen und Energielieferanten erreicht.

Wie dies unter Berücksichtigung der EU-Gesetzgebung zum europäischen Binnenmarkt bewerkstelligt werden kann, soll im Folgenden – unter Weiterentwicklung der Ergebnisse eines Rechtsgutachtens – dargestellt werden.

Ein möglicher Ausweg: marktgestützte Preisbildung ohne hoheitliche Eingriffe und ihre Grenzen

Eine Ex-ante-Meldepflicht ist dem Elektrizitätsrecht vom Grundgedanken her nicht fremd. So sieht § 80 ElWOG auch vor, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie ihre Änderungen vor ihrem Inkrafttreten der Regulierungsbehörde anzuzeigen sind. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass neben der Etablierung des freien Wettbewerbs auch der Konsument:innenschutz sowie das gesamtgesellschaftliche Interesse an der Versorgungssicherheit als gleichwertig zu berücksichtigen sind.

Zwar geht die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019 (EBRL) vom Primat marktgestützter Lieferpreise aus, indem sie der korrekten Gestaltungskraft des Wettbewerbes vertraut. Allerdings dürfen Mitgliedstaaten in die Festsetzung der Strompreise für von Energiearmut betroffene oder schutzbedürftige Haushaltskunden unter bestimmten Umständen eingreifen (Art 5 EBRl).

Diese Regelung des EU-Gesetzgebers stützt das Postulat einer Weiterentwicklung der derzeit im ElWOG vorgesehenen Informationspflichten der Energielieferanten im Falle von Preiserhöhungen für alle Haushaltskund:innen. Denn Gerichtsurteile im Einzelfall können eine gesetzliche Regelung für alle Haushaltskund:innen zum Schutz vor unangemessenen Strompreiserhöhungen nicht ersetzen.

Zweiter möglicher Ausweg: gemeinwirtschaftliche Verpflichtung – Eingriff in die Preisbildung

Eine Weiterentwicklung des nationalen Rechts in diese Richtung ist durch EU-Recht gedeckt. Denn der EBRL ist der Grundgedanke nicht fremd, dass gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im freien Wettbewerb dann zulässig sind, wenn die wettbewerblichen Marktstrukturen die Elektrizitätsversorgungssicherheit nicht sicherstellen können.

Dabei verfügen die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum. Sie sollen dafür Sorge tragen, dass Haushaltskund:innen und Kleinunternehmen „das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu leicht vergleichbaren, transparenten und wettbewerbsfähigen Preisen haben“. Daraus resultiert die Verpflichtung, den Kund:innen eine Stromversorgung zu erschwinglichen Preisen zu sichern.

Bedingung dafür ist, dass der nationale Gesetzgeber die Umstände klarstellt, unter denen Stromversorgungspreise festgelegt werden. Insbesondere muss auch ein „klar bestimmter Kreis von Begünstigten“ und eine Befristung festgelegt werden (Erw 23, EBRL). Solche Umstände könnten beispielsweise vorliegen, wenn die Versorgung erheblich eingeschränkt ist und/oder wesentlich höhere Strompreise als üblich verlangt werden, aber auch im Fall eines Marktversagens, wenn sich Eingriffe der Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden als unwirksam erwiesen haben. Das würde Haushalte und insbesondere schutzbedürftige Kund:innen, die üblicherweise einen höheren Teil ihres verfügbaren Einkommens für Energieabrechnungen aufwenden als Verbraucher:innen mit hohem Einkommen, unverhältnismäßig belasten.

Dabei ist zu unterscheiden: Eine direkte Preisfestsetzung ist für schutzbedürftige Kund:innen bereits nach Art 5 EBRl mit den erwähnten Bedingungen möglich.

Durch sehr hohe Energiepreiserhöhungen sind aber alle Haushaltskund:innen negativ betroffen. Unterliegen solche Erhöhungen keiner Angemessenheitsprüfung, so wird ihre Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen. Für private Stromverbraucher:innen sieht das derzeitige europäische Energiemarktdesign keinen Schutzmechanismus vor, obwohl ein offensichtliches Marktversagen vorliegt, verursacht durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundene Einschränkung der russischen Gaslieferung. Einzelne Mitgliedstaaten, wie z. B. Spanien und Portugal, richteten erfolgreich ein System der Gaspreisdeckelung ein (sognanntes iberisches Modell). Solange der Strommarkt nicht gesamteuropäisch neu organisiert ist, bedarf es daher auch in Österreich weiterer Maßnahmen, um einen entsprechenden Schutz vor unangemessen hohen Preisausschlägen für Strom zu erreichen.

Und dies ist durchaus mit dem Binnenmarkt vereinbar: Denn Verbraucher:innenschutz hat einen hohen Stellenwert in der EBRL, geht es doch um die Versorgung mit dem lebenswichtigen Gut „Strom“. Es liegt daher nahe, in diesem wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge ein behördliches Kontrollverfahren einzurichten, das die Angemessenheit von Strompreiserhöhungen vorweg prüft. Logisch wäre die Übertragung dieser Aufgabe an die E-Control, die als Regulator der Energiebranche umfangreiches Fachwissen mitbringt.

Ein neues System für gerechtere Preise: Strompreiserhöhungen nur mehr bei Angemessenheit

Die österreichische Bundesregierung ist daher gefordert, die umfassende gesetzliche Neuordnung des österreichischen Strommarktes dazu zu nützen, ein Verfahren in Fortentwicklung des § 80 Abs 2a ElWOG zum Schutz der Haushaltskund:innen vor unangemessenen Preiserhöhungen gesetzlich festzulegen: Im zukünftigen Elektrizitätswirtschaftsgesetz sind alle Stromlieferanten zu verpflichtet, die Angemessenheit ihrer Preiserhöhungen gegenüber einer unabhängigen Behörde wie der E-Control transparent nachzuweisen. Sieht die Behörde diesen Nachweis als nicht ausreichend erbracht an, so ist die angekündigte Strompreiserhöhung unzulässig und darf nicht umgesetzt werden. Ebenso muss bei Wegfall der maßgeblichen Umstände für eine Preiserhöhung in der Folge wieder eine Strompreissenkung vorgenommen werden, wobei ein diesbezügliches Weisungsrecht der Behörde gegenüber den Energielieferanten zu etablieren ist. Genauere Details, wie über Art und Zeitpunkt der Meldung, sowie erforderliche Nachweise sind in einer Verordnung festzulegen.

Dieser Schutz aller Haushalte vor unangemessenen Strompreiserhöhungen ist eine wichtige inflationsdämpfende Maßnahme und ein großer Schritt zur Schaffung einer höheren Rechtssicherheit – für Energielieferanten wie auch Konsument:innen. So wie das iberische Modell widerspricht auch ein solcher gesetzgeberischer Schritt nicht dem europäischen Binnenmarktmodell und ist dazu noch budgetneutral, weshalb auch keine beihilfenrechtliche Genehmigung aus Brüssel erforderlich ist.

Die Regierung ist aufgefordert, eher heute als morgen tätig zu werden und das zukünftige Elektrizitätswirtschaftsgesetz für die Verankerung einer derartigen gesetzlichen Regelung zu nützen. Denn sieht man sich zukünftige Prognosen der Preisentwicklung im Strombereich an, zeigt sich eines ganz klar: Die hohen Preise sind – ohne Eingriff – gekommen, um zu bleiben.

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