Demokratie in Gefahr

06. September 2023

In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass demokratiepolitische Systeme weltweit immer stärker unter Druck geraten. Auch auf Ebene der Europäischen Union laufen Demokratien in Gefahr durch Autokratien und Scheindemokratien ersetzt zu werden. Populismus, Korruption und Naheverhältnisse zu diktatorischen Regimen stellen die Stabilität von Demokratien infrage. Die Europäische Kommission setzt nun mit einer Reihe von Maßnahmen Schritte, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Demokratiepaket soll Stabilität bringen

Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Aktionsplan für Demokratie in Europa angekündigt. Damit sollen unabhängige und faire Wahlen, die Förderung von Medienfreiheit und des Medienpluralismus gesichert werden. Zudem soll die Verbreitung von Desinformationen und verdeckte ausländische Einflussnahme verhindert werden.

In der Zwischenzeit hat die Europäische Kommission Rechtsvorschläge zur Transparenz und des Targetings politischer Werbung sowie zur Korruptionsbekämpfung vorgelegt. Zudem hat die Kommission eine Konsultation zu einem Maßnahmenpaket zur Verteidigung der Demokratie vor verdeckter ausländischer Einflussnahme durchgeführt.

Besonders hervorzuheben ist auch die Einführung der Konditionalität zum Schutz des EU-Haushalts im Rahmen der Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 – 2027. Die 2018 fixierte Regelung ermöglicht es, EU-Förderungen für jene EU-Staaten einzufrieren oder zu kürzen, die sich nicht an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit halten.

Aktuelle Korruptionsfälle zeigen Dringlichkeit von Maßnahmen

Erst vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass das Emirat Katar offensichtlich eine griechische EU-Abgeordnete sowie einen ehemaligen italienischen EU-Abgeordneten bestochen hat, um Einfluss auf das EU-Parlament nehmen zu können. Dabei bestand die Hoffnung, dass die EU-Abgeordneten aus der Vergangenheit gelernt haben: Denn bereits 2011 war ein aufsehenerregender Fall von Korruption eines österreichischen EU-Abgeordneten durch eine verdeckte Recherche von der Sunday Times aufgedeckt worden. Der Fall endete damals mit dem Rücktritt und der Verurteilung des Mandatars.

Bei den EU-Mitgliedsländern zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild. Im Ranking des von Transparency International erstellten Korruptionswahrnehmungs-Index sind sieben EU-Staaten unter den Top Ten-Ländern mit der geringsten Korruption. Zu den drei EU-Staaten mit dem EU-weit höchsten Grad an Korruption zählen jedoch Rumänien (Rang 63), Bulgarien (Rang 72) und Ungarn (Rang 77) als schlechtestes EU-Land. Österreich ist in diesem Ranking im Vergleich zu den Vorjahren abgerutscht und befindet sich nur mehr auf Platz 22 (2021 Platz 13). Am besten schneiden übrigens Finnland und Dänemark ab, die weltweit die wenigsten Fälle von Korruption aufweisen.

Mit dem von der Kommission im Mai 2023 vorgelegten Rechtsvorschlag soll die Gesetzgebung zur Verfolgung von Korruptionsdelikten verschärft werden. Regelungen zu Bestechung, Geldwäsche, Veruntreuung, unerlaubte Einflussnahme, Amtsmissbrauch und Bereicherung sollen europaweit einheitlich mit empfindlichen Strafen geahndet werden. In Zusammenhang damit steht auch eine Empfehlung der Kommission zum Schutz von Journalist:innen und von Personen, die sich gegen derlei illegale Aktivitäten engagieren.

Der Rechtsvorschlag ist dezidiert zu begrüßen. Er kommt jedoch angesichts der seit Jahren bekannten Korruptionsfälle sehr spät. Zudem haben die Verhandlungen dazu erst vor kurzem begonnen und es ist noch nicht geklärt wie der endgültige Rechtstext nach den Verhandlungen im Europäischen Parlament und im Rat aussehen wird bzw. wann er in Kraft tritt. Die Empfehlung zum Schutz von Journalist:innen ist zudem nicht ausreichend, weil sie keinerlei Verbindlichkeit für die Mitgliedsstaaten enthält, entsprechend tätig zu werden.

Desinformation und manipulierte Informationen bei Wahlwerbung

Eine weitere zentrale Gesetzesinitiative ist die Schaffung eines EU-einheitlichen Rahmens bezüglich politischer Werbung und Transparenz im Rahmen des Wahlprozesses. Das Ziel der geplanten EU-Verordnung ist gezielte Werbung zu politischen Zwecken einzuschränken und dazu beizutragen, Desinformation und manipulierte Informationen sowie Einflussnahmen rund um die Wahlen zu bekämpfen.

Der Verordnungsentwurf sieht vor, dass die neue Regelung für alle politischen Ebenen gelten soll, also auch für die Landes- und Gemeindeebene. Zu klären ist unter anderem welche Werbung als politisch definiert werden soll. Das könnte der Fall sein, wenn ein Akteur als politisch definiert wird oder wenn Inhalte, Zielsetzung und Kontext entsprechende Merkmale aufweisen. Nicht geklärt ist damit aber auch, ob zivilgesellschaftliche Organisationen in den Anwendungsbereich fallen. Einer der heikelsten Punkte ist aber die Frage der Techniken, die bei der Bewerbung angewandt werden. Bei zielgerichteter Werbung besteht immer die Gefahr des Einsatzes von sensiblen Daten wie sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit, ethnische Zugehörigkeit etc.

Seit Anfang 2023 verhandeln das Europäische Parlament und der Rat über die Verordnung, bislang ohne Ergebnis. Es bleibt nun die Hoffnung, dass es im Herbst zu einer Einigung kommt. Ansonsten wäre möglicherweise nicht mehr genug Zeit, die Verordnung bis zu den EU-Wahlen 2024 zu implementieren.

Rechtsstaatlichkeits-Instrument bislang erfolgreich

Aus demokratiepolitischer Sicht am erfolgreichsten ist das sogenannte Rechtsstaatlichkeits-Instrument, das mit der neuen EU-Haushaltsplanung für die Jahre 2021 – 2027 umgesetzt wurde. Demnach können EU-Fördermittel eingefroren oder gekürzt werden, wenn die im EU-Vertrag enthaltenen Grundsätze zur Rechtsstaatlichkeit missachtet werden.

Im Fokus stehen dabei insbesondere Ungarn und Polen: Bei zahlreichen Vorhaben der ungarischen und der polnischen Regierung, unter anderem in der Medienpolitik, im Justizwesen, der Asylpolitik und der Korruption haben die beiden Länder teils massiv gegen EU-Grundsätze verstoßen. Der ungarische Premier Orbán ging 2015 sogar schon einmal so weit, in seinem Land die Wiedereinführung der Todesstrafe zu überlegen. In Polen wiederum hat die dortige Regierung vor den anstehenden Wahlen ein Gesetz erlassen, das dazu führen könnte, dass politische Mitbewerber:innen von der Wahl ausgeschlossen werden könnten. In den Medien und anderen politischen Parteien wird das Gesetz daher Lex Tusk genannt, weil die Bestimmungen gerade den Spitzenkandidaten und ehemaligen polnischen Premier Donald Tusk betreffen könnten.

Aufgrund der Vielfältigkeit der Verstöße gegen grundlegende Bestimmungen im EU-Vertrag, sind derzeit umfangreiche Fördermittel für Ungarn und Polen eingefroren. Das betrifft sowohl Gelder für den Kohäsionsfonds als auch das EU-Konjunkturprogramm „NextGenerationEU“. Mittlerweile sollen laut letzten Berichten im Fall von Polen rund 110 Mrd. € und hinsichtlich Ungarn 34 Mrd. € eingefroren sein. Die Gelder werden erst freigegeben, wenn die Hauptkritikpunkte der Europäischen Kommission erfüllt sind. Beide Staaten müssen damit zum Teil bereits seit fast drei Jahren auf die Förderungen warten.

Weltweit beunruhigende Entwicklungen

Leider sind in Sachen Demokratiepolitik in anderen Weltregionen noch erheblich beunruhigendere Entwicklungen zu beobachten. Seien es Staaten, die durch Militärputsche in die Diktatur getrieben werden, wie in Myanmar oder dem Niger. Die Europäische Union verhängte dazu Sanktionen bzw. bereitet sie vor. Ob sie erfolgreich sein werden, ist jedoch bislang noch nicht sicher.

Die Ereignisse in den USA mit dem Capitol-Sturm im Jänner 2021 werden zudem erst langsam verarbeitet, was Grund zur Sorge ist. Da ist es kaum ein Trost, dass es wenige Monate vorher schon einen Sturm auf den deutschen Reichstag gab, der jedoch wesentlich glimpflicher verlaufen ist. Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat sich Russland zu einer Diktatur entwickelt, in dem es drakonische Strafen für freie Meinungsäußerung, Demonstrationen und Ähnliches gibt. In China wiederum wurde Staatschef Xi Jinping zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit erklärt, während es in dem Land zunehmend unruhig wird. Zuletzt ist mit Brics ein neues Bündnis entstanden, das zu einem bedeutenden Teil aus Autokratien, Monarchien und Diktaturen besteht. Nur Indien und Argentinien sind demokratische Staaten. Was dieses bunte Gemisch an Staaten eint, ist die Kritik am Westen, was ebenfalls eine sehr bedenkliche Entwicklung ist.

Auf EU-Ebene fehlt es bislang an einem Konzept, wie mit diesen internationalen Veränderungen am besten umgegangen werden soll. Eine rasche Strategie wäre jedenfalls notwendig.

Resumée

Das EU-Demokratiepaket ist zu begrüßen, es kommt jedoch sehr spät. Es ist fraglich, ob alle Maßnahmen, die in Hinblick auf die EU-Wahlen 2024 wichtig sind, noch zeitgerecht umgesetzt werden können. Am erfolgreichsten ist bislang die Umsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips, das Staaten wie Ungarn und Polen hoffentlich dazu bringen wird, EU-Grundsätze wieder einzuhalten. Insgesamt sind jedoch auch auf globaler Ebene äußerst bedenkliche Entwicklungen zu beobachten, die Demokratien zunehmend auf den Prüfstand stellen. Für die Europäische Union bleibt damit in Sachen Demokratiepolitik noch viel zu tun.