Sprengt die Ketten(arbeitsverträge) an den Universitäten!

17. Juli 2025

Befristete Verträge sind an der Universität nichts Ungewöhnliches, wie Herr M. weiß. Er unterrichtet seit zwölf Jahren Philosophie an der Universität Wien. Allerdings nicht in einem durchgehenden Dienstverhältnis, sondern in Form einer Aneinanderreihung mehrfacher befristeter Arbeitsverhältnisse. Neben seiner Unterrichtstätigkeit setzt sich Herr M. für die Gleichstellung ethnischer Minderheiten an der Uni ein. Er macht die Personalabteilung auf Ungerechtigkeiten in diesem Zusammenhang aufmerksam und sich selbst damit unbeliebt. Aufgrund der Besonderheit des Universitätsgesetzes, das Kettenarbeitsverträge ermöglicht, ist es einfach, den anstrengenden Herrn M. ohne Mühe loszuwerden. Die Uni verlängert einfach sein Dienstverhältnis nicht mehr. Geht denn das? Wo bleibt die Freiheit der Wissenschaft und Lehre?

Menschen-, Grund- und Bürgerrechte für die Freiheit der Lehre

Für die rechtliche Beurteilung maßgeblich sind die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Grundrechtecharta der Europäischen Union. Zusätzlich kann sich Herr M. speziell in Österreich auf das Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867 berufen, das in Artikel 17 die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre festschreibt und seine Wurzeln in der Aufklärung hat. Sie alle haben gemeinsam, dass sie dem bzw. der Einzelnen persönliche Grund- und Freiheitsrechte sichern.

Davor konnten Lehrinhalte, die als Gefährdung von Staat und Religion angesehen wurden, jederzeit Sanktionen wie Lehrverbote, Amtsenthebung, Landesverweisung oder Haft nach sich ziehen. Nach den Intentionen aufgeklärter Bürger:innen sollten daher freie Wissenschaft und Lehrfreiheit garantiert werden.

Seither hat sich einiges sehr positiv verändert. Im Jahr 2008 wurde Artikel 81c ins Verfassungsgesetz eingefügt, der als Garantie für die Existenz öffentlicher, staatsunabhängiger (autonomer) Universitäten verstanden wird. Dieser besagt, dass öffentliche Universitäten Stätten freier wissenschaftlicher Forschung, Lehre und Erschließung der Künste sein sollen. Doch gilt das noch und in welchem Verhältnis steht diese Freiheit mit der Praxis von Kettenbefristungen, die wie in dem Eingangsbeispiel die Sanktionierung von Lehrinhalten durch die Hintertür wieder einführt?

Die Probleme des befristeten Dienstverhältnisses und des § 109 Universitätsgesetz

Die Dienstverhältnisse von Herrn M. im Rahmen der Lehre sind jeweils befristet abgeschlossen worden – das lässt das Universitätsgesetz (UG) in der vorliegenden Form zu. Befristet beschäftigte Personen bangen kontinuierlich um ihre wirtschaftliche Existenz. Herr M. muss sich also genau überlegen, ob die Lehrmeinung, die er in seinen Seminaren und Vorlesungen verbreitet, mit den Interessen seiner Vorgesetzten kompatibel ist. Wenn er das nämlich nicht tut, läuft er Gefahr, dass sein Dienstverhältnis nicht verlängert wird und er mit seiner hochspezifischen Ausbildung über kein Einkommen mehr verfügt. Diese Situation gibt es jedoch nicht nur im Lehrbereich. Wir finden dies sehr oft auch bei Projektmitarbeitenden, die durch Drittmittel finanziert werden.

Forschende und Lehrende in einem System der fortwährenden Unsicherheit zu halten widerspricht eklatant der zuvor beschriebenen Intention der Aufklärung. Die ständige Beschäftigung in befristeten und somit prekären Arbeitsverhältnissen kann vielmehr zu einer rigiden Disziplinierung zugunsten mehr oder weniger offenkundig vorliegender Interessen der Dienstgeber führen. Abgesichert wird dieses System der Unsicherheit durch § 109 UG. Er enthält Sonderregelungen über die zulässige Dauer von Arbeitsverhältnissen an Universitäten. Wäre Herr M. in einem Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber, das dem allgemeinen Arbeitsrecht unterliegt, so würde der Grundsatz gelten, dass sein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen sein müsste. Eine Befristung wäre zwar auch dort nicht ausgeschlossen, wäre allerdings durch zahlreiche Gesetze sowie durch eine Anzahl von Kollektivverträgen eingeschränkt.

Das unbefristete Dienstverhältnis würde mehr Schutz bieten

Selbstverständlich können auch unbefristete Dienstverhältnisse beendet werden, jedoch ist die Hemmschwelle für Dienstgeber beim Ausspruch einer Kündigung größer als beim Auslaufen-Lassen einer Befristung. Eine Kündigung können Dienstnehmer:innen nämlich nach verschiedenen Kriterien des Arbeitsverfassungsrechts anfechten. Dann muss sich der Dienstgeber erklären. Das kann insbesondere im Falle einer Grundrechtsbeeinträchtigung unangenehm werden. Lässt er jedoch bloß eine Befristung auslaufen, droht im Allgemeinen kaum Gefahr.

Wie wirkt sich § 109 UG auf die Betroffenen aus?

Eine Hochschulbefragung der AK Wien aus dem Jahre 2018 kommt zu folgendem Ergebnis: In arbeitsrechtlicher Hinsicht kennzeichnend für den Lehr- und Forschungsbereich ist der hohe Anteil befristeter Verträge. Etwa jede bzw. jeder zweite Beschäftigte an der Universität ist davon betroffen, allerdings mit signifikanten Unterschieden zwischen den Tätigkeitsfeldern. Von den Befragten in der Forschung und Lehre arbeiteten mehr als zwei Drittel (69 Prozent) befristet.

Eine Studie der Universität Wien aus dem Jahr 2024 kommt zum Schluss, dass der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist und nun bei fast 80 Prozent liegt – mit weiterhin steigender Tendenz. Zum Vergleich: Im allgemeinen Arbeitsmarkt in Österreich liegt er bei etwa 5 Prozent. Diese die freie Lehre und Forschung einschränkende arbeitsrechtliche Sondersituation an den österreichischen Hochschulen führt unter den Betroffenen zu einer großen Unzufriedenheit in Bezug auf ihre berufliche Position.

Die hohe berufliche Unsicherheit der Mitarbeiter:innen geht dabei mit psychischen Belastungen einher und beeinträchtigt die persönliche Lebensplanung. Das hat weitreichende Folgen für alle Beschäftigten der Universitäten und die Universitäten als Organisation. Laut der Studie aus dem Jahr 2024 äußert sich dies beispielsweise im Kompetenzverlust in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich, im Organisationschaos an den Instituten sowie dem fortwährenden Verlust von qualifizierten und erfahrenen Kolleg:innen und etablierten Formen der Zusammenarbeit.

Fazit

Befristete Dienstverhältnisse schränken die Freiheit der Lehre und Forschung ein. Dies führt perspektivisch zu einer Abnahme der Attraktivität und Leistungsfähigkeit der österreichischen Universitäten und des Wissenschaftsstandorts Österreich insgesamt. Wenn aber die Wissenschaft durch ökonomische Beschränkungen in ihrer Kreativität eingeschränkt wird, hat das Folgen für deren Weiterentwicklung und geht zulasten der Gesellschaft.

Zu hinterfragen ist außerdem, dass sich der Gesetzgeber gerade im Bereich der Wissenschaft und Lehre auf mehrheitlich prekäre Arbeitsverhältnisse stützt, ohne eine – im allgemeinen Arbeitsrecht übliche – Absicherung der Arbeitnehmer:innen vorzunehmen.

Fest steht jedenfalls, dass der Negativtrend bereits eingesetzt hat. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit Einbußen an Forschungsqualität einhergehen.

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