Steigender Arbeits- und Fachkräftebedarf in der österreichischen Bauwirtschaft: Stolperstein für einen klimaneutralen Gebäudesektor?

18. Oktober 2023

Die Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors ist essenziell, um die nationalen bzw. europäischen Klimaziele zu erreichen. Abseits von fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen (Stichwort „Erneuerbare-Wärme-Gesetz“), Materialknappheiten und fehlenden Finanzierungsmodellen stellt der bereits bestehende hohe Arbeits- und Fachkräftebedarf in der Bauwirtschaft ein zentrales Hindernis dar. Insbesondere die dringend notwendige Ausweitung der Sanierungsrate von Bestandsgebäuden sowie der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern im Gebäudebereich führen zu einer höheren Arbeitsnachfrage – vor allem im mittleren Qualifikationsniveau. Aus diesem Grund sind mehr Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit Fokus auf Qualifizierungen in diesem Bereich und vor allem auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen dringend notwendig, um das Arbeitskräfteangebot entsprechend auszuweiten.

Die Gebäudedekarbonisierung schafft Arbeitsplätze über und über

Der österreichische Gebäudesektor war 1993 noch für 17,8 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen (THG) verantwortlich. Durch höhere Energiestandards im Neubau, Sanierungen von Bestandsgebäuden und den Ausbau von Erneuerbaren sank dieser Wert bis 2022 auf 10,6 Prozent. Zwar ist diese Entwicklung erfreulich, trotzdem erfordern die Klimaziele der Europäischen Union (EU) und der österreichischen Bundesregierung in den nächsten drei Jahrzehnten weitreichendere Anstrengungen als die bisher getätigten.

Aus technischer Sicht stellt die Reduzierung von THG-Emissionen im Gebäudesektor keine große Herausforderung dar. Neben höheren Energiestandards im Neubau sowie dem Aufbau von Märkten für CO2-neutrale Baustoffe gilt es vor allem, thermisch-energetische Sanierungen von Bestandsgebäuden weiter voranzutreiben. Besonders die letztgenannte Maßnahme ist essenziell, da Gebäude mit einem schlechten Energieausweis für das Gros der THG-Emissionen in diesem Sektor verantwortlich sind. Im Regierungsprogramm 2020–2024 schrieb die ÖVP-Grüne-Koalition auf Bundesebene eine jährliche Sanierungsrate von 3 Prozent des österreichischen Wohnungsbestandes fest. Allerdings liegt diese aktuell nur bei rund der Hälfte des gesetzten Ziels. Für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2040 ist daher eine deutliche Expansion der Sanierungsaktivitäten notwendig.

Diverse Studien kommen zu dem Schluss, dass eine Erhöhung der Sanierungsrate zahlreiche Arbeitsplätze schaffen wird. Beispielsweise argumentiert das European Academies Science Advisory Council (EASAC), dass eine Verdoppelung der gegenwärtigen Sanierungsrate eine fast 100-prozentige Steigerung der Arbeits- und Fachkräftenachfrage nach sich ziehen würde. Insbesondere Firmen der Bauwirtschaft werden aufgrund eines höheren Auftragsvolumens mehr Personen einstellen wollen.

Die österreichische Bauwirtschaft kämpft bereits heute damit, ihren Bedarf an Arbeits- und Fachkräften zu decken

Der hohe Bedarf an Arbeits- und Fachkräften ist kein neues Thema für die Bauwirtschaft. Allerdings erschwert dieser die Ausweitung der Produktionskapazitäten. Bereits 2018 stellte Tichy einen hohen Bedarf an Arbeits- und Fachkräften in der Bauwirtschaft fest, welcher bis heute anhält. Beispielsweise handelte es sich im Jahr 2023 bei 33 der 98 bundesweiten Mangelberufe um Professionen, welche der Bauwirtschaft zuzuordnen sind.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Befragung unter rund 200 Expert:innen, durchgeführt im Frühjahr 2022, zu folgendem Ergebnis führte: 59 Prozent der Teilnehmer:innen stuften den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften als großes Hindernis bei der Dekarbonisierung des Gebäudesektors ein. Damit schätzten mehr Personen diesen Faktor als großes Hindernis ein als den Mangel an Bauressourcen und Preissteigerungen (39 Prozent). Weiters sahen 43 Prozent der Befragten die Inflexibilität des Bildungssystems als großes Hindernis an. Folglich handelt es sich bei der Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors neben einer wohnrechtlichen, energiepolitischen und stadtplanerischen Herausforderung vor allem um eine arbeitsmarktpolitische.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Ursachen für den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften liegen in schlechten Arbeitsbedingungen, mangelnder Wertschätzung, Pensionierungswellen und fehlenden Bildungsinvestitionen

Die hohe Arbeitskräftenachfrage und das niedrigere Arbeitskräfteangebot in der Bauwirtschaft lassen sich vor allem durch die nachfolgenden fünf Faktoren erklären:

Erstens sind die Arbeitsbedingungen am Bau oftmals von körperlicher Anstrengung, langen Arbeitszeiten, einem rauen Umgangston und diskriminierenden Strukturen für Frauen geprägt. Gerade zu Beginn der COVID-19-Pandemie haben sich zahlreiche Menschen kritisch mit ihrem bisherigen Leben auseinandergesetzt. Dies führte dazu, dass Arbeits- und Fachkräfte in Branchen mit besseren Arbeitsbedingungen abwanderten und/oder permanent in ihre Heimatländer zurückkehrten. Dadurch hat sich das verfügbare Arbeits- und Fachkräfteangebot für die Bauwirtschaft in den letzten Jahren verringert.

Zweitens erfahren handwerkliche Berufe, insbesondere jene der Bauwirtschaft, seit Jahrzehnten eine zunehmende gesellschaftliche Geringschätzung. Das zeigt sich vor allem durch einen stetig höher werdenden Anteil von Akademiker:innen, welcher 2021 bundesweit bei den 25- bis 64-Jährigen bei 35 Prozent lag. Während Vorurteile gegenüber handwerklichen Professionen teilweise diese Akademisierung begünstigten, sind weitere Ursachen für diesen Trend die bereits genannten schlechten Arbeitsbedingungen. Folglich lassen zahlreiche Eltern nichts unversucht, um ihren Kindern eine akademische Ausbildung zu ermöglichen, ganz nach dem Motto: Mein Kind soll es einmal besser haben als ich.

Drittens erlebte die Bauwirtschaft in den letzten Jahren eine Boom-Phase. Auch der Beginn der COVID-19-Pandemie verringerte die sektorspezifische Wertschöpfung nicht. Erst die anhaltende Inflation ab 2022 bzw. die sich dadurch ergebende gesamtwirtschaftliche Verschlechterung führte zu einem niedrigeren Auftragsvolumen. Nichtsdestotrotz verstärkten die Jahre zuvor den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften.

Viertens kämpft auch die Bauwirtschaft mit dem demografischen Wandel und daraus resultierenden Pensionierungswellen. Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Arbeits- und Fachkräftebedarfes trifft diese Industrie ein altersbedingtes sinkendes Arbeitskräftepotenzial besonders.

Fünftens sank die Zahl der Lehrbetriebe in der Bauwirtschaft in den letzten Jahren stetig. Zudem verringerten sich die Investitionen von Unternehmen in Qualifizierungsmaßnahmen der eigenen Mitarbeiter:innen.

Es braucht mehr Beschäftigte mit Lehrabschlüssen

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Naturgemäß sind in der Bauwirtschaft vor allem Personen mit einem mittleren Qualifikationsniveau beschäftigt (z. B. Hochbauer:innen, Installateur:innen und Spengler:innen). Der Anteil von Handwerker:innen und verwandten Berufen, welche meist eine Lehre durchlaufen haben, ist außerordentlich hoch. So betrug dieser 2022 51 Prozent. Um die Gebäudedekarbonisierung zu forcieren, braucht es ein Mehr an diesen Arbeits- und Fachkräften, weil Sanierungsarbeiten von manueller Arbeit geprägt sind und diese nur begrenzt mit Maschinen und sonstigen Technologien ersetzbar ist.

Dieser Arbeits- und Fachkräftebedarf soll nun am Beispiel des Gasheizungstausches beschrieben werden. Bei rund 23 Prozent der 3,9 Mio. in Österreich verbauten Heizsystemen handelt es sich um Gasheizungen. Die meisten davon befinden sich in Wien (rund 440.000) und Niederösterreich (rund 200.000). Um den Gebäudebestand zu dekarbonisieren, ist es notwendig, diese mit erneuerbaren Heizsystemen zu ersetzen. Dies entspricht zwischen 2023 und 2040 dem Tausch von rund 145 Gasheizungen pro Tag. Da Installationsfirmen vor allem mit dem Einbau und der Wartung von Gasheizungen vertraut sind, braucht es nicht nur einen zahlenmäßigen Anstieg an Arbeits- und Fachkräften, sondern auch die Aneignung von Skills, um beispielsweise Gasheizungen im großen Stil gegen Wärmepumpen zu tauschen und diese anschließend fachgerecht zu warten. Da ein Anstieg der Lehrlingszahlen erst mittelfristig wirken würde, braucht es darüber hinaus die Teilqualifizierung von Arbeiter:innen, um so dem Arbeits- und Fachkräftebedarf auch in der kurzen Frist zu begegnen.

Fazit

Vor dem Hintergrund einer wachsenden Arbeitsnachfrage – vor allem nach Jobs im mittleren Qualifikationsniveau – in der Bauwirtschaft stellt der bereits bestehende hohe Bedarf an Arbeits- und Fachkräften eine zentrale Herausforderung für die notwendige Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors dar. Die Ursachen hierfür liegen vor allem in den vielfach schlechten Arbeitsbedingungen, einer zunehmenden Akademisierung der Gesellschaft, der sehr guten Auftragslage in den letzten Jahren, einer alternden Belegschaftsstruktur und in mangelnden Bildungsinvestitionen der Betriebe selbst (sowohl bei der Ausbildung von Lehrlingen als auch bei der Weiterbildung beschäftigter Fachkräfte). Hier muss man vor allem bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ansetzen sowie mehr Mittel in der aktiven Arbeitsmarktpolitik in die Hand nehmen.

Folgende Maßnahmen sind notwendig, um die Voraussetzungen für die Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen:

  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bauwirtschaft
  • Ausbau der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft (vor allem im mittleren Qualifikationssegment)
  • Qualifizierungsoffensiven in baunahen Berufen (z. B. Installateur:innen, Elektriker:innen)
  • Gezielte Umschulungen von arbeitssuchenden Personen
  • Aktive Förderung der Beschäftigung von Frauen in der Bauwirtschaft

Dieser Beitrag basiert auf der von Matthias Posch verfassten Masterarbeit „Exploring the role of skills and labour shortages as an obstacle to decarbonise Vienna’s built environment – a mixed methods analysis“. Die Arbeit entstand im Rahmen des Programms Socio-Ecological Economics and Policy an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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