Das duale System der Lehrausbildung in Österreich ist darauf angewiesen, dass sich ausreichend viele Betriebe an der Ausbildung beteiligen. Bei der Entscheidung, ob ein Unternehmen Lehrlinge ausbildet oder nicht, spielen betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Abwägungen eine zentrale Rolle. Der Beitrag beleuchtet die ökonomischen Aspekte der Lehrlingsausbildung und zeigt: Für viele Betriebe rechnet sich die Investition. Darüber hinaus profitieren ausbildungsaktive Unternehmen auch von einer Reihe nicht-monetärer Vorteile – etwa durch ein verbessertes Image oder den gezielten Aufbau von betriebsspezifischen Kompetenzen.
Ein ökonomischer Blick auf die Lehrlingsausbildung
Seit Mitte der 1970er-Jahre wird in der DACH-Region regelmäßig erhoben, was die betriebliche Ausbildung kostet und welchen ökonomischen Nutzen sie bringt. Den Anstoß dafür gab die sogenannte Edding-Kommission in Deutschland: Sie entwickelte ein Modell, mit dem sich die finanziellen Auswirkungen von Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in der beruflichen Bildung berechnen lassen. In Österreich wurden die Kosten und der Nutzen der betrieblichen Ausbildung in den 1980er- und 1990er-Jahren untersucht – danach lange nicht mehr. Erst 2016 gab es – diesmal im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit – wieder eine Betriebserhebung, die zuletzt 2024 (Beobachtungsperiode: 2023) wiederholt wurde.
Das verwendete (einfache) Kosten-Nutzen-Modell in diesen Untersuchungen erfasst zunächst die Bruttokosten – also alle Ausgaben, die während der Ausbildungszeit für Betriebe entstehen. Diese werden den Erträgen gegenübergestellt, die durch die produktive Mitarbeit der Lehrlinge im Betrieb sowie durch Förderungen entstehen. Daraus ergeben sich schließlich die Nettokosten oder -erträge für den Betrieb. Das Modell basiert auf der Annahme, dass die Lehrausbildung einer klar geregelten Ausbildungsordnung folgt, was den zeitlichen Einsatz von Personal und die Menge an Sachmitteln bewertbar macht. Die Daten zu Kosten und Erträgen werden in einer Betriebsbefragung aufwendig und sehr detailliert erhoben und anschließend über alle Betriebe oder bestimmte Gruppen gemittelt. Ergebnisse der aktuellen Kosten-Nutzen-Analyse zeigen, dass im Jahr 2023 die durchschnittlichen Ausbildungskosten in Österreich bei rund 32.000 Euro im ersten und etwa 40.400 Euro im dritten Lehrjahr lagen. Den größten Anteil machen dabei die Lohnkosten für Lehrlinge aus – sie steigen von 60 Prozent im ersten auf 72 Prozent im dritten Lehrjahr. Danach folgen die Personalkosten für Ausbildner:innen und Administration, deren Anteil allerdings mit steigenden Lehrjahren abnimmt. Der restliche Anteil entfällt auf Sachkosten wie Anlagen, Material oder sonstige Ausgaben. Dem stehen die Erträge aus der produktiven Mitarbeit der Lehrlinge gegenüber: Sie steigen im Laufe der Ausbildung von durchschnittlich 19.700 Euro im ersten auf 24.900 Euro im dritten Lehrjahr (siehe Grafik 1).
Stellt man die Erträge den Kosten gegenüber, ergibt sich im Durchschnitt ein „Saldo“. Die Basisförderung, die im Mittel rund 2.900 Euro im ersten und 1.500 Euro im dritten Lehrjahr pro Lehrling beträgt und an alle ausbildenden Betriebe ausgezahlt wird, kann diese Lücke nur zum Teil schließen. Selbst mit dieser Förderung bleiben die Nettokosten bei etwa 9.300 Euro im ersten und 14.100 Euro im dritten Lehrjahr. Insgesamt kostet damit die Ausbildung eines Lehrlings einen Betrieb durchschnittlich rund 33.000 Euro über drei Jahre – nach Abzug der Erträge und unter Berücksichtigung der Basisförderung.
Vergleich zur Fachkräfterekrutierung
Die Perspektive auf die Nettokosten der Lehrausbildung ändert sich deutlich, wenn man auch die Zeit nach Ausbildungsende sowie die Kosten für die Rekrutierung externer Fachkräfte einbezieht. Ein zentraler Vorteil für Ausbildungsbetriebe liegt darin, dass sie teure Rekrutierungskosten einsparen können, wenn sie ihre Lehrlinge übernehmen. In der Fachliteratur ist daher von sogenannten „rekrutiven Opportunitätserträgen“ die Rede – also von einem ökonomischen Vorteil durch entfallende Einstellungskosten.
Im Jahr 2023 beliefen sich diese Rekrutierungskosten (für Bewerbung, Auswahl, Einarbeitung und internen Aufwand) im Schnitt auf rund 34.000 Euro pro eingestellte Fachkraft. Je höher die Fluktuationsrate im Unternehmen, desto häufiger entstehen diese Kosten.
Grafik 2 zeigt auf Basis verschiedener Annahmen, wann sich die Lehrlingsausbildung im Vergleich zur externen Rekrutierung von Fachkräften wirtschaftlich lohnt. Grundannahme ist: Wenn ein Betrieb keine Lehrlinge ausbildet, muss er Fachkräfte von außen einstellen – inklusive aller damit verbundenen Kosten.
Ein Beispiel: Ein Betrieb mit einer Fluktuationsrate von 30 Prozent ersetzt im Durchschnitt alle drei Jahre eine Fachkraft. Ein ausbildender Betrieb hätte in dieser Zeit bereits einen Lehrling ausgebildet. Da die durchschnittlichen Ausbildungskosten bei rund 33.000 Euro liegen, also etwa den Rekrutierungskosten entsprechen, ist die Ausbildung spätestens nach drei Jahren amortisiert. Noch deutlicher fällt der Vorteil aus, wenn man die durchschnittliche Verweildauer der Lehrlinge nach Ausbildungsende berücksichtigt (Durchschnitt: 2,4 Jahre): Bleiben sie im Schnitt 2,4 Jahre im Betrieb, entfällt in dieser Zeit eine externe Neueinstellung – was einem zusätzlichen rechnerischen Ertrag von rund 21.000 Euro entspricht.
Je höher die Fluktuation unter Mitarbeiter:innen, desto früher rechnet sich die Lehrausbildung. Bei einer Fluktuationsrate von 40 oder 50 Prozent sind die Kosten bereits nach 2 bis 2,5 Jahren vollständig kompensiert (Erträge nach der Ausbildung noch nicht mitberücksichtigt). Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass 84 Prozent der Betriebe angeben, mit dem Verhältnis von Kosten und Nutzen ihrer Lehrausbildung sehr bzw. eher zufrieden zu sein.
Zusätzliche Motive
Zwar geben fast alle Unternehmen an, dass ihr Hauptmotiv in der Ausbildung passgenauer Fachkräfte liegt, doch die aktuellen Zahlen der Kosten-Nutzen-Analyse zeigen: Viele Betriebe verfolgen weit darüber hinausgehende Ziele. Mehr als 80 Prozent sehen sich mitverantwortlich dafür, dass die Region und die Branche mit ausreichend gut qualifizierten Fachkräften versorgt ist. Für viele gehört die Lehrausbildung außerdem zur eigenen Betriebskultur. Darüber hinaus nennen zahlreiche Unternehmen auch nicht-monetäre Vorteile, wie ein gestärktes Image in der Öffentlichkeit, eine höhere Attraktivität für externe Arbeitskräfte sowie ein gezielter Aufbau fachspezifischer Kompetenzen und eine positive Dynamik für die betriebliche Weiterbildung im eigenen Betrieb.
Investition in die Lehrlingsausbildung zahlt sich aus
Der ökonomische Blick zeigt: Lehrlingsausbildung zahlt sich aus – und das in mehrfacher Hinsicht. Für viele Betriebe macht sich die Investition in Ausbildung bezahlt: durch produktive Mitarbeit während der Lehrzeit, durch ersparte Kosten bei der Rekrutierung externer Fachkräfte und durch eine stärkere Bindung ans Unternehmen. Hinzu kommen nicht-monetäre Vorteile wie ein verbessertes Image, betriebsspezifisches Know-how und eine positive Lernkultur. Angesichts eines steigenden Fachkräftebedarfs ist es daher sowohl für Betriebe als auch für die öffentliche Hand sinnvoll, gezielt in die Lehrausbildung zu investieren und deren Attraktivität zu stärken.