Stimmung, Wortwahl und Risikobereitschaft im Bankensektor

29. Juni 2015

Nicht zur Zahlen zählen: Worte spielen durch die damit transportierten Stimmungen und Erwartungen auch an den Finanzmärkten eine bedeutende Rolle. Das zeigt die Risiko-Sentimentanalyse von Geschäftsberichten großer europäischer Banken, die im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt wurde. Solche Analysen könnten einen wichtigen Beitrag leisten, um die Stabilität des gesamten europäischen Bankensektors zu untersuchen.

Ein Beispiel für das Gewicht von Worten an den Finanzmärkten: 2012 sicherte der EZB-Präsident Mario Draghi in einer Rede zu, die Zentralbank werde “alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten”. Allein diese Ankündigung beruhigte die Märkte inmitten der Krise, ohne dass vorerst Taten gesetzt werden mussten. Auch innerhalb von Geschäftsbanken müssen die Formulierungen des Vorstands sorgfältig gewählt werden. CEOs prägen durch den von ihnen vorgegebenen “tone from the top” die Unternehmenskultur und beeinflussen damit auch die Risikofreudigkeit der von ihnen geführten Banken. Studien zeigen, dass die Wortwahl in Vorstandsbriefen von Banken-Geschäftsberichten ein guter Stimmungsindikator für die Finanzmärkte ist.

Die Bedeutung von Worten in der Finanzbranche

Im November 2014 übernahm die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen des Single Supervisory Mechanism (SSM) die Aufsicht über die größten Banken der Eurozone. Mit diesem Schritt soll die “Sicherheit und Solidität der Kreditinstitute” gewährleistet werden. Mit einer Vielzahl von Methoden versuchen die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden, Risiken im Bankensektor frühzeitig zu erkennen. Unter anderem stützt man sich dabei auf quantitative Risikoindikatoren und Umfragen. Neben diesen Daten wird aber auch eine Vielzahl an Textdokumenten veröffentlicht, die mittels der sogenannten Sentimentanalyse computergestützt ausgewertet werden können. Im Rahmen der Masterarbeit “Risk Sentiment Analysis in Banking Supervision” wurden über 500 Dokumente ausgewertet, welche die größten Banken in der Eurozone zwischen 2002 und 2014 publizierten. In der Sentimentanalyse wird der Grad der Unsicherheit, Negativität und Positivität für jedes Dokument mit Hilfe eines finanzspezifischen Lexikons ermittelt. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Geschäftsbericht der belgischen KBC Group, sowie die Erfassung von positiven (grün), unsicheren (gelb) und negativen (rot) Begriffen.

Abbildung 1: Beispiel für die Erfassung von positiven (grün), unsicheren (gelb) und negativen (rot) Begriffen

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Auf Basis dieser Begriffe und mithilfe von Gewichtungs- und Normalisierungsverfahren werden Sentimentindikatoren errechnet. Abbildung 2 stellt diese pro Jahr aggregiert dar. Für die Jahre 2002 und 2003 zeigen die Indikatoren, dass die Stimmung in den Vorstandsetagen noch angespannt war: Sowohl Negativität und Unsicherheit waren als Folge der Dotcom-Krise relativ hoch. Danach begannen rosige Zeiten für den Bankensektor in der Eurozone. Die Vorstände wurden offenbar immer euphorischer, was sich sowohl in einer leicht steigenden Positivität als auch in einer deutlich niedrigeren Unsicherheit und Negativität widerspiegelte. Bereits das Jahr 2006 stellte einen Wendepunkt dar: Ab diesem Zeitpunkt war die Entwicklung der Sentimentindikatoren gegenläufig. Innerhalb von nur drei Jahren vervierfachte sich der durchschnittliche Grad der Negativität in den Vorstandsbriefen, die Unsicherheit stieg ebenfalls stark an und die Dokumente enthielten einen geringeren Anteil an positiver Sprache. Nach dem vorläufigen Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2009 stabilisierten sich die Indikatoren, ab 2012 sank die Unsicherheit sogar wieder relativ deutlich. Dies mag an dem oben genannten Versprechen von Mario Draghi liegen – vielleicht lag diese Entwicklung aber auch schlicht daran, dass man sich mit der dauerhaft krisenhaften Situation arrangierte.

Abbildung 2: Verlauf der Stimmungsindikatoren in Vorstandsbriefen

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Negative Sprache, niedrigere Risikobereitschaft

Was kann uns die Wortwahl in den Vorstandsbriefen nun über die zukünftige Risikobereitschaft von Banken voraussagen? Als Risikomaß im Bankenbereich gilt die sogenannte Kernkapitalquote. Sehr verallgemeinert gilt: Je niedriger die Kernkapitalquote, desto risikofreudiger agiert eine Bank und vice versa.

Abbildung 3: Der Zusammenhang zwischen Negativität und Kernkapitalquote

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Abbildung 3 zeigt einen starken Zusammenhang zwischen der Wahl von negativen Wörtern und der Entwicklung der Kernkapitalquote. Ein Anstieg der Negativität in den Vorstandsbriefen resultiert demnach in einer höheren Kernkapitalquote am Ende des Jahres. Natürlich können sich geänderte wirtschaftliche oder regulatorische Rahmenbedingungen sowohl auf die Formulierungen der Vorstände als auch auf die Kernkapitalquote auswirken. Da Vorstandsbriefe in der Regel aber um etwa acht Monate früher publiziert werden, sind die Sentimentindikatoren ein interessanter Frühindikator. Einschränkend soll angemerkt werden, dass das Risikoverhalten von individuellen Banken nur ungenau vorhergesagt werden kann. Die Methode soll daher eher für die Betrachtung des Bankensektors in seiner Gesamtheit eingesetzt werden.

Große Banken sind positiver gestimmt

Ein weiterer interessanter Zusammenhang zeigt sich, wenn die Sentimentindikatoren mit der Größe der Banken, gemessen an ihren Vermögenswerten, verglichen werden: Je größer die Bank, desto positiver ist die Sprache der CEOs. Über die Ursache dieses Zusammenhangs kann nur spekuliert werden. Vielleicht sind die CEOs der Großbanken aber deshalb so positiv gestimmt, da ihre Institute als “too big too fail” gelten.

Fazit

Die in den Geschäftsberichten von Banken veröffentlichten Vorstandsbriefe geben gute Hinweise über die Gemütslage an den Finanzmärkten. Das bei der Veröffentlichung der Jahresberichte gezeichnete Stimmungsbild kann auch als Frühindikator für die zukünftige Entwicklung der quantitativen Risikoindikatoren eingesetzt werden. Zwar ist die Analyse einzelner Banken aufgrund der hohen Streuung der Daten nicht zielführend, aber die Betrachtung von Finanzmärkten einzelner Länder oder der Eurozone führt zu aussagekräftigen Resultaten. Die Risiko-Sentimentanalyse könnte daher einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung der Stabilität des gesamten europäischen Bankensektors leisten.