Privatisierung statt Schulautonomie - IV wiederholt Fehler des PISA-Absteigers Schweden

22. Januar 2015

Das neue Bildungskonzept der Industriellenvereinigung birgt einige positive Überraschungen: gemeinsame Schule von 5 bis 14; Ganztagsschule für alle; Schwerpunkt Frühförderung im Kindergarten. Was das Bild jäh stört, ist der Vorschlag Schulen zu privatisieren und der staatlichen Leitung zu entziehen. Die schwedischen Erfahrungen mit derartigen Experimenten belegen die Schädlichkeit für Chancengleichheit, Lernerfolg und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Lohnender ist eine Diskussion um echte Schulautonomie durch Mitbestimmung und Mitgestaltung vor Ort.

 

Auch Arbeitgeber in Sorge um Bildung in Österreich

Dass der Reformstau in der Bildung auch der Arbeitgeberseite Sorgen macht, ist hinlänglich bekannt. Die Sozialpartner haben – mal mit, mal ohne Industriellenvereinigung bemerkenswerte und öffentlich vielbeachtete Reformvorschläge vorgestellt (Bildungsfundamente oder auch Chance Bildung).

  • Für eine gemeinsame Schule der 6-14 jährigen
  • Verschränkte gemeinsame Ganztagsschule für alle
  • verpflichtendes Kindergartenjahr für alle
  • Bildungsziel der Pflichtschule ist das Erreichen bestimmter Kompetenzniveaus
  • Sprachförderung in Deutsch, aber auch anderer Erstsprachen

Diese Vorschläge sind sehr positiv zu bewerten. Nicht zuletzt deshalb, weil die ArbeitnehmerInnenseite mit genau diesen Vorschlägen selbst seit Jahren versucht zu überzeugen. Und weil alle bisher am Widerstand konservativer Eliten, Familienverbände und veränderungsunwilliger PersonalvertreterInnen gescheitert sind.

Möglicherweise aus unterschiedlichen Gründen, dennoch einheitlich fordern Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnenvertretung:

  • Eine zeitgemäße Arbeitsteilung zwischen Familien und Schule
    Aufgrund mangelnder eigener Bildung (Stichwort: 1 Mio Menschen kann in Österreich laut PIACC nicht Sinn-zusammenhängend lesen und schreiben), auch aufgrund von Sprachproblemen, aufgrund sozialer Hürden können viele Familien die familiäre „Nachhilfe“ nicht übernehmen. Wegen beruflicher Anforderungen, flexibler Arbeitszeiten, Zeitnot usw sind die anderen zwischen Beruf und Familie zerrissen. Manche leiden unter beiden, vorrangig die Frauen „bezahlen“ mit entgangener beruflicher Entwicklung und Karriere.
  • Soziale Vererbung und Stärkung der Allgemeinbildung: richtige Schwerpunkte des IV-Bildungsvorschlags
    Nicht selbstverständlich und ebenfalls außerhalb der konservativen Tradition ist auch, dass die Industriellenvereinigung explizit auf das Problem der sozialen Vererbung von Bildungschancen verweist. Und dass die Industriellenvereinigung auch die Stärkung der Allgemeinbildung anspricht und nicht nur die fachliche Ausbildung, ist jedenfalls wichtig und richtig.

„Das moderne Schulträgerschaftsmodell“ der IV: Privatisierung und überbordende Autonomie

Der echte Kontrapunkt zu diesen gemeinsamen, einigenden Zielen und Vorschlägen der IV liegt bei den Vorstellungen zur Schulorganisation und Schulträgerschaft:

„Die neue Schule basiert auf einem modernen Schulträgerschaftsmodell, welches die bisherige Systematik von öffentlichen Schulen und Privatschulen auflöst. …Jede Gebietskörperschaft, jeder Gemeindeverbund sowie Organisationen und Einzelpersonen können Schulträger sein. Sie agieren dabei aber nicht hoheitlich. ….. Für die einzelnen Schulstandorte gibt es eine formelbasierte (Pro-Kopf) Finanzierung und zusätzliche, anhand bestimmter Indikatoren definierte Ressourcen. …“

In Schweden wurde der von der IV propagierte Weg bereits erprobt. Ein kurzer Blick auf die Folgen zeigt, was daraus geworden ist.

Privatisierung unter den schönen Namen „Friskolor und Valfrihet“ (Freischulen und Wahlfreiheit) führt zum PISA-Absturz Schwedens.

1992 wurde in Schweden im Zuge der großen Schulreform durch die liberal-konservative Regierung unter Premier Carl Bildt die Schulträgerschaft privatisiert. („Friskolor“). Noch 2008 kommentiert etwa „Welt am Sonntag“ unter dem Titel „Freie Schulwahl für freie Bürger“ die Systemumstellung über die Stimmen von Privatschulbetreibern als „geniales Modell“. „Das System schafft Konkurrenz, die den Unterricht auch an kommunalen Schulen verbessert“.

Aber schon 2007 wurde die Entwicklung differenzierter gesehen. Der deutsche Bildungswissenschafter Jürgen Oelkers wies auf Studien, die von Leistungssteigerungen durch Wettbewerb zwischen Schulen sprechen, hin, stellt daneben steigende Kosten des Schulwesens fest und verweist auf sozioökonomische und ethnische Selektionsprozesse.

2012 kam dann das bittere Erwachen: Aus dem ehemaligen Musterschüler wurde ein Problemschüler. Gleich, ob es um Lesen, Mathematik oder Naturwissenschaften geht – die 15-jährigen Schweden erreichen bei der aktuellen Pisa-Studie nicht einmal mehr das Mittelfeld. Der schwedische Bildungshistoriker Hans Albin Larsson berichtet, dass nach der Privatisierung keine konkreten Qualitätsstandards mehr galten und die Kommunen weder die Mittel noch die Erfahrung hatten, Qualität durchzusetzen. Dazu ist die Kluft zwischen den SchülerInnen nach sozialer Herkunft deutlich gestiegen, die Leistungen sind generell gesunken und der soziale Zusammenhalt leidet.

Wie die Debatte über Schulautonomie zur Privatisierung genutzt wird

Über Privatisierung des Schulwesens in Österreich zu diskutieren, lohnt sich nicht. Nicht nur das Beispiel Schweden zeigt, dass Privatisierung und Chancengleichheit nicht zusammen gehen. Ein ebenso drastisches Beispiel ist auch Großbritannien.

Derzeit befindet sich die Debatte zur Schulautonomie in einem gefährlichen Spagat. Schulen und SchulmitarbeiterInnen wollen mehr Schulautonomie, weil sie unter der Last wahrhaft bürokratischer Vorgaben stöhnen. Weder werden pädagogische Freiräume genutzt, noch können die vielen positiven Erfahrungen jahrzehntelanger Schulversuche im Regelschulwesen Platz finden. Genauer betrachtet, wäre wohl der wesentliche Schritt erreicht, wenn Voraussetzungen für die Nutzung pädagogischer Spielräume ermöglicht werden; wenn die Mitbestimmung von Schulleitung und LehrerInnen am Schulstandort vergrößert und unnötiger Bürokratieballast beiseitegelassen wird.

PrivatisierungsbefürworterInnen hingegen nutzen diese Einengung der pädagogischen Schulautonomie, um die Debatte um echte Privatisierung voranzutreiben. Vorstellungen von Personalhoheit für Schulen, von Drittmittelanwerbung, von freier Trägerschaft schießen aber weit über das gewünschte Ziel hinaus. Im Klartext: statt die Schulen zu privatisieren sollte die pädagogische Autonomie der Schulen gestärkt werden. Dies schließt die Erweiterung bei der Mitsprache bei der Teamzusammensetzung der LehrerInnen, der Ausgestaltung der Schulräume mit ein.

Um dem Ziel einer eingespielte Kultur der Verantwortlichkeit für den Schulerfolg der der Schule anvertrauten Kinder, eines durchschlagenden Erfolgs selbstbewusster Förderschulen, eines klaren Willens „Die besten LehrerInnen für die schwächsten SchülerInnen“ einzusetzen, nachzukommen, ist es lohnend über die Ausgestaltung der schulischen Mitbestimmung vor Ort nachzudenken. Diese Debatte muss klar von völliger Autonomie, die letztlich in Privatisierung gipfelt, abgegrenzt werden.

Fazit: Gemeinsame Ziele in den Vordergrund stellen

Dort, wo endlich Vorschläge gemeinsame Ziele wie etwa die verschränkte Ganztagsschule ins Auge fassen, muss der Druck auf Reformen durch die Bündelung der Interessen verstärkt werden. Das gemeinsame Interesse an der Förderung und Unterstützung der Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft soll gemeinsam propagiert, gefordert und argumentiert werden. Aber leben wir auch eine Kultur der Kritik und konstruktiven Auseinandersetzung dort, wo grundlegende Interessen auf sozialen Ausgleich konterkariert und massiv angegriffen werden. Privatisierung hilft der Chancengleichheit und den Betroffenen keinesfalls weiter. Die Debatte soll an der Mitbestimmung und Mitgestaltung vor Ort ansetzen und nicht an Fragen der Trägerschaft.