Klimakrise: Sind Technologien die Lösung oder das Problem?

15. Januar 2024

Das Motto der Weltklimakonferenz 2023 „Technologie und Innovation“ richtete erneut Aufmerksamkeit auf die Frage: Sind Technologien die Lösung für die Eindämmung der Klimakrise – oder das Problem? Wie glaubwürdig ist dieses Motto unter der Präsidentschaft eines Öl-Industriellen? Auch die EU setzt große Hoffnungen in die grüne Modernisierung als Schlüssel zur Bewältigung der Klimakrise. Mit gutem Grund?

„Technologien sind nicht neutral“, betonte bereits Karl Marx in seinen Schriften. Wie wir Technologien entwickeln und nutzen, spiegelt gesellschaftliche Verhältnisse wider. In gegenwärtigen Debatten wird die Gestaltung von Technologien aber oft entpolitisiert. Beispielsweise soll das von konservativen Kräften eingeführte Framing „Innovation statt Verbote“ vor allem eines bewirken: nicht zwischen gesellschaftlich wertvollen Fortschritten und rein profitorientierten Technologien unterscheiden zu müssen. Stattdessen soll pauschal jede Innovation als positiv dargestellt werden. Am deutlichsten sichtbar ist das in der „E-Fuels-Debatte“, wo mit diesem Framing das Geschäftsmodell der Verbrenner gerettet werden soll.

Progressive Kräfte wie die Gewerkschaftsbewegung, aber auch die Klimabewegung müssen dazu Stellung beziehen und wollen natürlich nicht als Blockierer:innen hingestellt werden. Gerade deshalb ist es so wichtig, die Interessengegensätze in der Debatte zu Technologie und Innovationen in den Mittelpunkt zu rücken. Der Tenor der Unternehmer:innen ist stets: Die Technologien „kommen sowieso“, quasi per Naturgesetz. Erst wenn sie bereits im Einsatz sind, werden die Technologien bewertet, reguliert und Arbeitnehmer:innen-Vertretungen müssen in hochkomplexen technischen Angelegenheiten für die Wahrung der Beschäftigtenrechte kämpfen.

Die Lehre aus den gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Kämpfen um die Digitalisierung der Arbeitswelt ist: Technologien sind nicht per se gut oder schlecht. Sie sind ein Werkzeug, das im Interesse der Vielen oder im Interesse der Wenigen eingesetzt werden kann. Das zeigt sich nun auch bei der Klimakrise. Bei der Frage, auf welche Technologien und Innovationen gesetzt werden soll, geht es um Interessen. Daher ist es wichtig, Framings wie „Technologieoffenheit“ abzulehnen. Sie gaukeln vor, es gäbe nur zwei Optionen: Entweder Innovation, die meist undemokratisch und von Profitlogik getrieben neue Technologien auf den Markt bringt, oder keine Innovation – und damit Rückschritt. Dabei können fortschrittliche Kräfte eine dritte Option vorschlagen: Technologie und Innovation für die Vielen, ausgerichtet nach sozialen und ökologischen Zielen.

Die UN-Klimakonferenz 2023 in Dubai und ihre Herausforderungen

Die UN-Klimakonferenz im Dezember 2023 in Dubai warf bereits im Vorfeld Fragen zur Glaubwürdigkeit auf. Hinter den Kulissen schienen wirtschaftliche Interessen und die Verbindung zu Ölkonzernen die Agenda zu dominieren. Das Ziel der Öl-Lobbys, die im Vergleich zum Vorjahr deutlich stärker vertreten waren: Erneuerbare Energien sollen als Erweiterung, nicht als Ersatz zu fossilen Energien definiert werden. Der Vorsitzende der Klimakonferenz, Sultan Ahmed Al Jaber, gleichzeitig CEO des Ölkonzerns ADNOC, skizzierte im Vorfeld seine Wunschvorstellungen: ein „pragmatischer, realistischer und lösungsorientierter Ansatz, der kohlenstoffarmes Wirtschaftswachstum ermöglicht“. Nun wurden fossile Energien im Abschlussdokument als Ursache der Klimakrise anerkannt, der notwendige Ausstieg aber nicht. Stattdessen ist bloß von einem „Übergang weg von fossilen Energieträgern“ die Rede. Die Konferenz unterstreicht, dass um die technologischen Fragen bei der Bewältigung der Klimakrise ein Deutungskampf stattfindet.

Das Ziel, die Klimakrise einzudämmen, wird von vielen Akteur:innen vereinnahmt. Das gilt auch für grüne Modernisierungsprogramme, die nicht tatsächlich darauf ausgerichtet sind, Menschenleben auf dem Planeten zu retten, sondern wirtschaftspolitische Eingriffe für Wettbewerbsvorteile zwischen wirtschaftlichen Standorten zu setzen. Eindrücklich kann dies mit dem Inflation Reduction Act (IRA) der USA, einem 700 Mrd. Dollar Paket für Energie- und Klimaschutztechnologien, nachvollzogen werden. Mit diesem US-Programm soll vor allem eines erreicht werden: „Die USA sollen weltweit führend in sauberer Energietechnologie, Produktion und Innovation bleiben.“

Die EU bleibt davon nicht unberührt: So will zum Beispiel der neue Klimachef der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, sicherstellen, dass die EU „für das Wirtschaftswachstum, die Sozialpolitik und natürlich die Aufrechterhaltung der Führungsrolle der EU in vollem Umfang von Klimagesetzen profitiert“. Dementsprechend liest sich auch der EU Green Industrial Plan, der als Antwort auf den US-amerikanischen IRA gilt.

Europäische Klimapolitik im Zeichen des Wettbewerbs

Der EU Green Industrial Plan (grüner Industrieplan) soll Europas CO2-neutrale Technologie wettbewerbsfähiger machen. Der Plan enthält vier Säulen, um „federführend“ zu werden: mehr Gelder schneller an Unternehmen für die Entwicklung „klimaneutraler Technologien“, Freihandelsabkommen für die Rohstoffsicherung aus Drittstaaten und handelspolitische Schutzinstrumente, damit Unternehmen der EU nicht im Wettbewerb zurückfallen, die Sicherung von Fachkräften für die Produktion und einen planungssicheren Rechtsrahmen. Der Plan will den ökologischen Wandel als Chance für die Absicherung der europäischen Position im globalen Wettbewerb nutzen. Es geht dabei nicht primär darum, dass grüne Technologien produziert werden, sondern von wem sie produziert werden.

Wettbewerb um Profite und Wachstum sind zwei Seiten derselben Medaille – beides braucht Energie und Material. Auch eine dekarbonisierte Wachstumswirtschaft würde beim derzeitigen Energieverbrauch in reichen Ländern viele Ressourcen benötigen. Die dafür notwendigen Rohstoffe werden unter „Green Grabbing“ aus dem Globalen Süden beschafft, zusätzlich braucht es etwa für Lithium- oder Wasserstoffproduktion auch enorme Mengen Land und Wasser. Insbesondere die sogenannten Konfliktmineralien Zinn, Wolfram, Tantal und Gold werden unter schweren sozialen Verwerfungen abgebaut und in die Industriestaaten transportiert. Darüber hinaus werden andere planetare Grenzen, insbesondere Schäden an Ökosystemen, völlig ignoriert.

Die Illusion von „klimaneutralen Technologien“

Wie unverschämt das Greenwashing von technologischen Innovationen sein kann, sieht man an mehreren Beispielen, in denen in der jüngeren Vergangenheit Deutungskämpfe geführt wurden. Da gibt es zum Beispiel die E-Fuels-Debatte, in der das Framing „Technologieoffenheit“ von der Automobillobby gesetzt wurde. Keine Form der Mobilität, seien es Wasserstoff-Autos, selbstfahrende E-Autos etc., ist „emissionsfrei“. Selbst wenn der Betrieb eines Autos keine Treibhausgase freisetzt, müssen für die Produktion der Fahrzeuge, die Errichtung der Ladeinfrastruktur, die Wartung und die Entsorgung sehr wohl Energie und Material verwendet werden.

Auch beim Flugverkehr wird mit diesem Framing gearbeitet. Die Fluglobby spricht von einem Pfad zu „dekarbonisierten“ Flügen mit alternativen Treibstoffen wie Wasserstoff oder Bio-Kraftstoffen. Flugunternehmen nennen auch Flüge „klimaneutral“, bei denen sie lediglich das ausgestoßene CO2 kompensieren. Diese Greenwashing-Praxis ist in Österreich nicht erlaubt, wie eine Klage gegen die Austrian Airlines zeigt. Es scheint jedenfalls niemand zu beabsichtigen, den Flugverkehr auf das Niveau zu senken, mit dem das globale CO2-Budget eingehalten wird. Dabei ist dieses Festhalten am Flugverkehr eklatant ungerecht: Auf der einen Seite profitieren nur ganz wenige: Nur circa ein Zehntel der Weltbevölkerung ist überhaupt schon einmal im Leben geflogen. Auf der anderen Seite leiden die Vielen, so führt etwa die Herstellung von Bio-Ethanol in Staaten wie Sierra Leone zu „Land Grabbing“, Verarmung und verseuchtem Trinkwasser in ganzen Dörfern.

Fazit: Technologien für einen sozialen und ökologischen Umbau

Das Problem sind also nicht die Technologien an sich. Vielmehr sind es die Verhältnisse, in denen Technologien ausgesucht, entwickelt, eingesetzt und entsorgt werden. Was wäre, wenn wir als Gesellschaft nicht auf profitorientierte Innovation setzen würden? Wenn wir als Gesellschaft uns im Vorhinein fragen würden, welche Technologien gebraucht werden, um einen sozialen und ökologischen Umbau gemeinsam hinzubekommen? Welche sozialen und ökologischen Kriterien müssten dafür erfüllt und welche aktuellen Technologien würden dadurch ersetzt werden? Im Idealfall sollten diese Entscheidungen gemeinsam und demokratisch gefällt werden. Was wäre, wenn wir uns auf Technologien spezialisieren würden, die wir wirklich brauchen, statt Schadensbegrenzung für eine nicht nachhaltige Wirtschafts- und Produktionsweise zu betreiben?

Das wären Innovationen, die Institutionen umwandeln, Machtstrukturen verändern, kollektives Handeln fördern, demokratische Ressourcenplanung und -verteilung unterstützen, soziale Beziehungen von unten nach oben aufbauen oder Bedürfnisse besser versorgen. Ein umfassender Umbau erfordert soziale und ökologische Innovationen im Interesse der Vielen.

Dieser Beitrag wurde im Dezember in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Wirtschaft und Umwelt“ mit dem Schwerpunkt „Trugbild Technik“ veröffentlicht und aktualisiert. Weitere Artikel zum Schwerpunkt können Sie hier nachlesen.

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