Effektive Besteuerung der Internetkonzerne: Fortschritt durch Vorstoß der EU-Kommission?

11. April 2018

Die Vorschläge der Kommission zur Besteuerung der Internetkonzerne sind ein Riesenschritt in die richtige Richtung. Bei allem Verständnis für eine Zwischenlösung, die digitale Betriebsstätte muss im Zentrum des politischen Wollens bleiben. Jetzt geht es darum, ausreichend Druck auf die Bremser Irland und Luxemburg aufzubauen, um die Pläne auch durchzusetzen.

Die neue digitale Wirklichkeit ist eine Herausforderung für das Steuersystem. Es ist zugeschnitten auf die Industriegiganten des 20. Jahrhunderts, aber völlig überfordert mit den Internetkonzernen der heutigen Zeit. Die digitalen Giganten sind online tätig, sie brauchen für ihre Geschäfte keine physische Präsenz in der EU. Und ohne physische Präsenz fehlt der Anknüpfungspunkt, um die Gewinne zu besteuern.

Die Folgen sind besorgniserregend. Die Europäische Kommission hat berechnet, dass der effektive Gewinnsteuersatz für multinational tätige Industriekonzerne bei 23,2 Prozent liegt, für multinational tätige Internetkonzerne aber nur bei 8,9 Prozent. Diese Wettbewerbsverzerrungen schaden dem Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung, sie sind aber auch ein politisches Problem. Sie widersprechen den Ansprüchen der Bevölkerung an ein gerechtes Steuersystem.

Die Politik musste bereits handeln. Im September 2017 haben die FinanzministerInnen von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien das Thema auf die politische Agenda gesetzt. Am 21. März 2018 hat die Kommission nun konkrete Vorschläge vorgelegt.

Der 2-Phasen-Ansatz der Kommission

Die Kommission verfolgt einen 2-Phasen-Ansatz. Langfristig soll eine digitale Betriebsstätte eingeführt werden. Als Zwischenlösung wird eine sogenannte Ausgleichssteuer (digital service tax) vorgeschlagen.

Die digitale Betriebsstätte schafft einen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung von Internetunternehmen mit rein virtueller Präsenz. Die digitale Betriebsstätte gilt ab sieben Millionen Euro Umsatz oder 100.000 NutzerInnen oder 3.000 abgeschlossenen Verträgen pro Mitgliedstaat und pro Jahr. Das heißt, dass bspw. Google für die in Österreich erwirtschafteten Gewinne in Zukunft eine Körperschaftssteuererklärung beim Finanzamt abgeben müsste. Dazu müssten auch die Regeln für die Gewinnzurechnung angepasst werden. Die Kommission schlägt eine Ausweitung der bestehenden Kriterien vor, z. B. auf den Verkauf von Onlinewerbeflächen, den Verkauf von gesammelten NutzerInnendaten oder das Bereitstellen eines digitalen Marktplatzes.

Da die digitale Betriebsstätte noch etwas Feintuning nötig hat (vor allem was die Weiterentwicklung der Gewinnzurechnung betrifft), hat die Kommission auch eine Zwischenlösung vorgeschlagen – die sogenannte Ausgleichssteuer. Die Ausgleichssteuer soll die Nicht-Besteuerung der Gewinne der Internetkonzerne durch eine Besteuerung ihrer Umsätze ausgleichen. Konkret sieht die Kommission einen Steuersatz von drei Prozent vor. Betroffen sind die Bereiche Onlinewerbung (Google, Facebook usw.) und die Sharing Economy (Airbnb, Uber, Booking usw.). Allerdings erst ab einem Konzernumsatz von mehr als 750 Mio. Euro und digitalen Umsätzen von mindestens 50 Mio. Euro innerhalb der EU. Die Kommission schätzt die Ausgleichssteuer auf rund fünf Milliarden Euro. Umgerechnet auf Österreich wären das 120 Mio. Euro. Die Schätzung ist nicht unplausibel, aber eher am oberen Ende der Skala.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Ausgleichssteuer bringt insgesamt eher eine zu geringe Besteuerung

Die Kommission geht richtig in der Einschätzung, dass die Einführung der digitalen Betriebsstätte noch Zeit braucht und eine Zwischenlösung notwendig ist. Sie geht auch richtig in der Einschätzung, dass die Besteuerung der Umsätze der einfachste Weg vorwärts ist. Trotzdem hat der Vorschlag auch für Kritik gesorgt. Das größte Problem der Ausgleichssteuer ist die Besteuerung von unterstellten (anstelle von tatsächlichen) Gewinnen.

Die Ausgleichssteuer ist eine Kompensation für die Nicht-Besteuerung der Gewinne. Die Nicht-Besteuerung der Gewinne soll durch eine Besteuerung der Umsätze ausgeglichen werden. Wenn man jetzt die Gewinne der Internetkonzerne mit 25 Prozent besteuern will, indem man die Umsätze mit drei Prozent besteuert, dann unterstellt man eine Umsatzrentabilität von zwölf Prozent. Das heißt, man unterstellt, dass alle digitalen Geschäftsmodelle einen Gewinn von zwölf Prozent auf den Umsatz erwirtschaften.

Das entspricht natürlich nicht den tatsächlichen Verhältnissen. In der Praxis unterscheiden sich die Renditen beträchtlich voneinander. Die meisten Unternehmen erreichen eine Umsatzrentabilität von mehr als zwölf Prozent. Facebook beispielsweise erreicht fast 50 Prozent. Die meisten anderen bekannten Akteure liegen irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent. Diese Unternehmen werden folglich zu niedrig besteuert. Andererseits gibt es Unternehmen, deren Umsatzrentabilität unter zwölf Prozent liegt, z. B. Amazon Marketplace. Hier besteht die Gefahr, dass die Steuer zu höheren Preisen im Onlinehandel führt. Davon würde freilich der traditionelle (beschäftigungsintensivere) Einzelhandel profitieren – und die dort Beschäftigten. Auch das Impact Assessment der Kommission schließt diese Möglichkeit nicht aus.

Mit anderen Worten ist die Ausgleichssteuer ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite sorgt sie für mehr Steuergerechtigkeit, weil auch die Internetkonzerne für ihre Aktivitäten Gewinnsteuer zahlen müssen. Auf der anderen Seite wird die Ausgleichssteuer der Diversität der Geschäftsmodelle nicht gerecht und führt bei den meisten Internetunternehmen zu einer zu geringen Besteuerung, während die Effekte in weniger rentablen Segmenten unklar sind.

Wichtig ist daher, die Ausgleichssteuer als das zu sehen, was sie ist – eine Zwischenlösung, die sobald als möglich von einer nachhaltigen Lösung, der digitalen Betriebsstätte, abzulösen ist.

Sind die politischen Hürden überwindbar?

Auf dem Weg zur Besteuerung der Internetkonzerne gibt es zwei wesentliche Hürden: Erstens müssen alle Mitgliedstaaten zustimmen, zweitens ist möglicher US-Widerstand zu überwinden.

Um die Pläne der Kommission auf europäischer Ebene zu verabschieden, braucht es Einstimmigkeit im Rat der FinanzministerInnen. Das heißt, dass ein einziges Land die Einführung der Kommissionsvorschläge blockieren kann. Und natürlich haben die „üblichen Bremser“ Bedenken angemeldet, insbesondere Irland und Luxemburg. Doch auch in anderen Ländern gibt es Vorbehalte, zB wegen möglicher Auswirkungen auf die europäische Autoindustrie.

Allerdings darf man den öffentlichen Druck nicht unterschätzen. Allen Beteiligten ist klar, dass etwas getan werden muss. Die Willigen haben Alternativen zu einer EU-weiten Lösung. Einerseits über die verstärkte Zusammenarbeit, andererseits über nationale Alleingänge. Eine Ausweitung der österreichischen Werbeabgabe auf Onlinewerbung wird bspw. schon lange diskutiert und käme der von der Kommission vorgeschlagenen Ausgleichssteuer sehr nahe. Das heißt, dass z. B. die irische Regierung eine EU-weite Lösung verhindern kann, nicht aber jedwede Lösung. Und ob die Internetkonzerne mit 28 unterschiedlichen nationalen Regelungen glücklich sind, steht auch infrage.

Komplizierter ist die Situation mit den USA, wo ein großer Teil der betroffenen Unternehmen zuhause ist. Diese haben es bisher geschickt verstanden, die US-Administration gegen die Pläne der Kommission zu aktivieren. Eine Einigung mit den USA wäre daher von Vorteil. Das gilt vor allem für die digitale Betriebsstätte, die eine Änderung der Doppelbesteuerungsabkommen voraussetzt, die nur mit Zustimmung der USA völkerrechtskonform möglich ist.

Grundsätzlich haben die US-amerikanischen Internetkonzerne ein Interesse daran, dass die unangenehmen Diskussionen über ihre Steuerpraktiken ein Ende finden. Die USA haben sich außerdem im Rahmen der OECD zu einer gemeinsamen Lösung bekannt. Letztlich wird sich die Frage aber nur im Rahmen eines handelspolitischen Gesamtpakets lösen lassen. Das Thema sollte auf die Agenda der dazu laufenden Gespräche. Die von der Kommission empfohlenen bilateralen Verhandlungen zur Änderung der jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen, z. B. Österreich mit USA, haben wenig Sinn. Hier kann nur die EU als Ganzes erfolgreich sein.

Der weitere Weg vorwärts

Der aktuelle Stand gibt Anlass zu verhaltenem Optimismus. Mit den Vorschlägen hat die Kommission einen Riesenschritt in die richtige Richtung getan. Wichtig ist, dass das zentrale Ziel nicht aus den Augen verloren wird, und das bleibt die digitale Betriebsstätte.

Der Ball liegt jetzt bei den europäischen FinanzministerInnen. Sie müssen rasch entscheiden, nach Möglichkeit noch während der österreichischen Ratspräsidentschaft. Ohne Druck wird das nicht gehen. Die „Koalition der Willigen“ muss klarmachen, dass sie jedenfalls handeln wird, notfalls allein. Die Bundesregierung hat schon erklärt, dem Thema hohe Priorität beizumessen. Daran wird sie zu erinnern sein, wenn das Tempo nachlässt.