100 Tage Trump: Zollchaos oder Masterplan?

30. April 2025

US-Präsident Trump verhängt die höchsten Zölle seit mehr als hundert Jahren und alle fragen sich: Was steckt dahinter? Hat das Chaos System? Ein Überblick über die widerstreitenden Beweggründe hinter Trumps Handelspolitik und ein vorsichtiger Ausblick, worum es für die EU jetzt geht.

Ein Präsident, viele handelspolitische Strategien

Hinter dem Auf und Ab von Trumps Zollpolitik steht nicht nur dessen Persönlichkeitsstruktur und Politikstil. Denn in seiner politischen Allianz stehen mehrere handelspolitische Strategien im Widerstreit. Sie alle sehen Zölle als wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument und stehen damit für eine radikale Abkehr vom jahrzehntelangen Pro-Freihandelskurs der US-Republikaner:innen. Doch wofür und vor allem wie lange sie Zölle einsetzen wollen, unterscheidet sich deutlich.

Zölle als Industriepolitik

Die erste Fraktion der „Industriepolitiker“ rund um Handelsminister Lutnick und Handelsberater Navarro will mit Zöllen das seit über 40 Jahren bestehende US-Handelsbilanzdefizit bekämpfen. Indem sie ausländische Waren dauerhaft verteuern, sollen Zölle die eigene Industrie fördern, Arbeitsplätze in deindustrialisierten Regionen schaffen und die US-Wirtschaft diversifizieren. Neben Lutnick und Navarro stehen auch die nationalkonservativen Rechten rund um JD Vance für diesen strukturellen Einsatz von Zöllen als – wenn auch beschränkte Form von – Industriepolitik. Diese Fraktion versucht mit einer paternalistischen und chauvinistischen Sozialpolitik zumindest oberflächlich an die materiellen Interessen von Arbeiter:innen anzuknüpfen und ist in Trumps Basis gut verankert. Unternehmensseitig werden dieser Fraktion insbesondere Öl-, Chemie-, Stahl- und Luftfahrtindustrie zugeordnet.

Mit Stahl- und Autozöllen sowie teils auch reziproken Zöllen (aktuell 10 Prozent für alle außer China) hat die industriepolitische Fraktion – zumindest nach deren Verständnis– erste große Siege erzielt. Sofern der US-Präsident die neuen Zölle nicht sofort wieder weg-dealt (mehr dazu gleich), verändern diese die Kosten-Nutzen-Rechnung von Unternehmen auf der ganzen Welt.

Zölle als Mittel, um Deals zu machen

Die zweite Sichtweise auf Zölle ist die des kurzfristigen „Deal-Makings“. Dafür steht vor allem der US-Präsident selbst, denn Trump liebt es, sich mit Verhandlungsergebnissen zu brüsten („Deals are my art form“). Zölle werden hier nicht langfristig gedacht, sondern dienen als Druckmittel auf andere Länder. Um Zölle durch die USA zu vermeiden, sollen sie ihre eigenen senken, gegen Migrant:innen vorgehen oder Steuern und unliebsame Regulierungen abschaffen.

Bereits Anfang Februar 2025 kündigte Trump 25-prozentige Zölle für Kanada und Mexiko an, setzte sie jedoch, nachdem beide Länder mehr Soldat:innen an der Grenze zusicherten, großteils wieder aus. Auch europäische Regulierungen gegen Gentechnik und der AI Act sowie Digitalsteuern wie in Österreich stehen auf Trumps Agenda für diese Art von Zöllen.

Zölle als Weg zur Reform des Welthandels

Den dritten und wohl weitreichendsten Ansatz verfolgt das Lager der „Welthandelsreformer“, zu denen Finanzminister Scott Bessent und der Vorsitzende des National Economic Councils, Stephan Miran, gehören. Aus ihrer Sicht können Zölle allein das US-Handelsbilanzdefizit nicht senken, stattdessen braucht es weitreichendere Änderungen in den internationalen Handelsbeziehungen. Bessent setzt dafür mehr auf bilaterale Verhandlungen und Abkommen, während Miran andere Länder durch den Druck der Zölle zu Anpassungen bewegen will, etwa um ihre Handelsbilanzüberschüsse abzubauen. Beide wollen den Dollar als Weltleitwährung behalten, ihn jedoch abwerten, um US-Exporte wettbewerbsfähiger zu machen.

Auch wenn Bessent und Miran im Detail unterschiedliche Vorstellungen haben, so ist bemerkenswert, dass beide den oft vernachlässigten Zusammenhang zwischen Währungspolitik und Handelsflüssen thematisieren. Ihre Analyse der realen Probleme von Globalisierung und US-Wirtschaft ist jedoch unterkomplex. Sie verkennen, dass es die Rolle des Dollars als Leitwährung den USA erst möglich macht, billige Güter zu importieren und hohe Handelsbilanz- sowie Budgetdefizite zu schreiben. Das Geschäftsmodell des US-Finanzsektors hängt zudem davon ab, dass der Großteil des internationalen Handels in US-Dollar abgerechnet wird und dass Akteure aus dem Rest der Welt Dollarreserven halten und anlegen müssen. Gleichzeitig blenden jene, die die USA (nur) als Opfer der Globalisierung sehen, die treibende Rolle aus, die US-Konzerne sowie der US-Finanzsektor für die Internationalisierung der Produktion in den letzten vier Jahrzehnten gespielt haben und nach wie vor spielen.

Bisher fungierten Bessent und Miran nicht federführend in der Entwicklung der neuen Zölle, das Momentum liegt hier bislang bei den Industriepolitikern. Doch während die reziproken Zölle weitgehend pausiert sind, soll nun Finanzminister Bessent die Verhandlungen mit allen dafür offenen US-Handelspartnern führen: eine Chance für seine weiterreichende Agenda.

Zölle als Gegenfinanzierung für Steuersenkungen

Hinter den Ansätzen der neuen US-Handelspolitik dürfte nicht zuletzt das zusätzliche Ziel liegen, Staatseinnahmen zu schaffen. Der Hintergrund: Trumps geplante Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen werden erneut viel Geld kosten. Viele wichtige Republikaner:innen sehen das hohe Budgetdefizit sehr kritisch, sodass dauerhafte Zölle einen Ausgleich leisten sollen. Ein von Bloomberg errechnetes Szenario bei einer stufenweisen Zolleinführung würde 250 Milliarden Dollar pro Jahr einbringen, etwa die Hälfte der Kosten für Trumps Steuersenkungen. Auf dieses Ziel können sich quasi alle einigen, egal ob sie sonst Zölle eher kurz- oder langfristig, eher als Selbstzweck oder als Verhandlungsmasse einsetzen wollen.

Der Kampf um die Kräfteverhältnisse wird live ausgetragen

Wir erleben seit Jänner 2025 live mit, wie der Kampf um die Kräfteverhältnisse innerhalb der politischen Allianz Trumps ausgetragen wird. Was die Fraktionen eint: ein grundsätzliches Ja zu Zöllen und die Bereitschaft, wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um langfristige Ziele zu erreichen und die Macht der USA zu zementieren. Was sie trennt: Die einen wollen eine breite Anwendung der Zölle, die anderen einen spezifischen Einsatz auf bestimmte Produktkategorien. Manche sehen Zölle als kurz- oder langfristiges Druckmittel und andere vor allem als Einnahmequelle. Diese Differenzen führen, verbunden mit Trumps Politikstil, zur extremen Sprunghaftigkeit in der Zollpolitik.

Nach dem Inkrafttreten der sogenannten reziproken Zölle Anfang April kam es zu starken Kursstürzen an den US-Finanzmärkten. Insbesondere die Turbulenzen am Markt für US-Staatsanleihen zuungunsten der USA veranlassten Trump schließlich dazu, die Zölle teilweise auszusetzen beziehungsweise zu ersetzen. Statt Zöllen von 10 bis 46 Prozent für alle Handelspartner gibt es nun, zumindest vorübergehend, 10 Prozent für alle und 145 Prozent für China.

Die neue China-Politik: eine echte Entkopplung?

Mit Blick auf die Kräfteverhältnisse ist an der neuen Linie zweierlei bemerkenswert: Erstens war es das erste Mal, dass sich die Interessen des Finanzsektors durchsetzten. Nach einer Krisenwoche bei Banken und Fonds war es Finanzminister und Ex-Hedgefonds-Manager Bessent, der Trump schließlich zum Umdenken brachte. Und zweitens tauchte plötzlich eine völlig neue strategische Option am handelspolitischen Horizont auf: die völlige Entkopplung von China. Zuvor ging es allen Fraktionen in Trumps Kabinett um die weltweite Neuordnung der Handelsbeziehungen und Präsident Trump kritisierte die EU beinahe so oft wie China. Doch die neuen 145-Prozent-Zölle und die chinesischen Gegenreaktionen bedeuten die endgültige Eskalation des schwelenden Handelskriegs. Das erhöht die Gefahr eines echten Krieges sowie eines Übergreifens des Handelskriegs auf EU-China.

Was heißt das nun?

Wir sehen nicht nur einem politischen Machtkampf live zu, sondern auch dem Zerfall des neoliberalen Welthandelssystems. Innerhalb weniger Wochen hat Trump unumkehrbar gemacht, was sich seit Jahren abgezeichnet hat. Das bedeutet nicht, dass wir von einem Tag auf den anderen in eine neue Ordnung eintreten, aber die Durchsetzungskraft der alten Freihandelslogik sinkt und die Unsicherheit nimmt zu. Es ist zu hoffen, dass die EU in dieser volatilen Situation auf internationale Zusammenarbeit setzt, statt Handelskriege und geopolitische Konflikte weiter anzuheizen.

Die größte Stärke der EU und Österreichs ist die Tatsache, dass der Großteil des Handels innerhalb des EU-Binnenmarktes stattfindet. Darauf gilt es jetzt auch zu setzen. Statt die internationale Konkurrenz durch neue Freihandelsabkommen oder den Abbau europäischer Sozial- und Umweltstandards weiter anzuheizen, müssen wir die Regionalisierung unserer Wirtschaftskreisläufe vorantreiben. Statt auf eine unbedingte Exportorientierung muss die EU-Binnennachfrage gestärkt werden. Öffentliche Beschaffung, die Stärkung der Daseinsvorsorge, öffentliche Investitionen und die Kreislaufwirtschaft bieten dafür erste zentrale Ansatzpunkte.

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