Signa-Pleite: Mega-GAU der Intransparenz – welche Lehren sind daraus zu ziehen

12. Januar 2024

Die milliardenschwere Signa-Pleite bringt einen völlig undurchsichtigen und intransparenten Konzern zutage. Mehr als 1.000 Gesellschaften im In- und Ausland; das vom Masseverwalter aufgestellte Organigramm umfasst 46 Seiten im A3-Format! Und dennoch unterlag die insolvente Muttergesellschaft, die Signa Holding GmbH, weder der Prüfungs- noch der Konzernabschlusspflicht und hat zudem über Jahre keine Jahresabschlüsse offengelegt. Wie ist das möglich und welche Lehren sind daraus zu ziehen?

Intransparenz als Teil der Unternehmensstrategie

Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht über einen weiteren Insolvenzantrag im Signa-Reich, bestehend aus den Geschäftsbereichen Real Estate, Retail und Media, berichtet wird. Zuletzt haben die österreichischen Signa-„Vorzeigegesellschaften“, die Signa Prime Selection AG und die Signa Development AG, Ende des Jahres 2023 einen Insolvenzantrag auf Sanierung in Eigenverwaltung gestellt. Insgesamt belaufen sich aktuell die Verbindlichkeiten (Passiva) auf mehr als 10 Mrd. Euro.

Insolvenzverwalter und Medien kämpfen sich durch eine völlig undurchsichtige Konzernstruktur. Das Organigramm der Gruppe umfasst laut Masseverwalter Stapf 46 Seiten im A3-Format! Insgesamt dürften etwa 1.000 Gesellschaften der Gruppe angehören. Dabei zeigt sich, dass Signa bzw. die dahinterstehenden Investor:innen große Anstrengungen unternahmen, um einen Gesamteinblick in die Vermögens- und Ertragsstruktur des Konzerns möglichst schwierig bis nahezu unmöglich zu gestalten.

Sehr gut wird das beim Insolvenzantrag der Signa Holding GmbH, die als Muttergesellschaft firmiert, ersichtlich. Unter dem Dach dieser Holding sind über 50 direkte Beteiligungen und mehrere hundert Gesellschaften mit mittelbarer Beteiligung versammelt. Als nunmehr bekannt wurde, dass die Signa Holding GmbH weder der Prüfungs- noch der Konzernabschlusspflicht unterliegt und zudem keine Jahresabschlüsse offenlegte, wurde zu Recht die Frage gestellt: Wie ist das möglich?

Auf Grundlage derzeit vorliegender Informationen wollen wir wichtige in diesem Zusammenhang gestellte Fragen behandeln und daraus Vorschläge ableiten, welche Lehren der nationale und der europäische Gesetzgeber daraus ziehen sollte.

Warum konnte die Signa Holding GmbH als kleine Kapitalgesellschaft firmieren?

Die Einteilung der Größenklassen hat ihre Grundlage in der EU-Bilanzrichtlinie, die Österreich im Unternehmensgesetzbuch (§ 221 UGB) umgesetzt hat. Nach § 221 Abs. 1 UGB liegt eine kleine Kapitalgesellschaft vor, wenn zwei der drei folgenden Merkmale nicht überschritten werden:

  • 5 Millionen Euro Bilanzsumme,
  • 10 Millionen Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und
  • im Jahresdurchschnitt bis zu 50 Arbeitnehmer:innen.

Die Signa Holding GmbH weist zwar im Jahresabschluss 2021 eine Bilanzsumme von mehr als 5 Mrd. Euro aus, erwirtschaftet aber keine Umsätze (nur Finanzerträge aus den Beteiligungen) und beschäftigt lediglich rund 40 Arbeitnehmer:innen. Sie ist also per Definition eine kleine Kapitalgesellschaft und nützt folgende Vorteile:

  • Keine Prüfungspflicht

Grundsätzlich hält § 268 Abs 1 UGB fest, dass der Jahresabschluss und der Lagebericht von Kapitalgesellschaften von einem unabhängigen Abschlussprüfer zu prüfen sind. Die kleine GmbH ist davon befreit, sofern sie nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften einen Aufsichtsrat haben muss. Von dieser Ausnahmebestimmung macht die Signa Holding GmbH Gebrauch. Der von der Signa Holding eingerichtete Beirat ist ein freiwilliges Organ. Selbst für den Fall, dass diesem Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats zugeordnet wären, würde die Prüfungspflicht nicht greifen, da gemäß § 268 Abs 1 UGB eine solche nur bei einem gesetzlich verpflichtenden Aufsichtsrat gegeben ist. Das GmbH-Gesetz sieht in § 29 vor, dass nur dann ein Aufsichtsrat einzurichten ist, wenn mehr als 300 Arbeitnehmer:innen im Jahresdurchschnitt beschäftigt sind bzw. wenn das Stammkapital 70.000 Euro und die Anzahl der Gesellschafter:innen fünfzig übersteigen. Beides ist bei der Signa Holding GmbH nicht der Fall. Die Konstellation mit hoher Bilanzsumme, wenigen Beschäftigten und geringen bis keinen Umsatzerlösen kommt vor allem in der Immobilienwirtschaft und in Holdinggesellschaften vor.

  • Holding-Bestimmung greift nicht bei kleiner GmbH

§ 221 Abs 4a UGB verlangt unter bestimmten Voraussetzungen, dass Mutterunternehmen, die Tochtergesellschaften im Sinne des § 244 UGB beherrschen, die Schwellenwerte auf konsolidierter oder aggregierter Basis zu berechnen haben. Dieser Bestimmung unterliegt aber nur die AG, nicht die GmbH, die auch hiervon befreit ist. Als GmbH war es der Signa Holding daher möglich, bei der Berechnung der Schwellenwerte die in ihren beherrschten Tochterunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer:innen bzw. erwirtschafteten Umsätze nicht zu berücksichtigen und somit ihren Status als nicht prüfungspflichtige kleine Kapitalgesellschaft aufrechtzuerhalten.

  • Warum musste die Signa Holding GmbH keinen Konzernabschluss aufstellen?

Die Konzernabschlusspflicht ist ebenfalls in der EU-Bilanzrichtlinie geregelt. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Konzernverhältnisses zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. Dieses liegt nur vor, wenn die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft beherrscht (z. B. über die Mehrheit der Stimmrechte, über die Organbestellung oder wenn einheitliche Leitung in wesentlichen Unternehmensbereichen vorliegt). Darüber hinaus gibt es auch Befreiungstatbestände, wenn gewisse Größengrenzen nicht überschritten werden.

Die Konstruktion bei der Signa Holding GmbH wurde so gewählt, dass die Signa Holding GmbH keine Konzernabschlusspflicht trifft. Insbesondere bei den nunmehr auch zur Insolvenz angemeldeten großen Signa-Gesellschaften, nämlich der Signa Prime Selection AG (Anteil: ca. 20 Prozent) und der Signa Development AG (Anteil: ca. 8 Prozent), ist der Beherrschungstatbestand durch die Signa Holding GmbH nicht erfüllt, da die Anteile der Signa Holding an diesen Tochtergesellschaften unter 50 Prozent liegen. Die anderen Gesellschaften sind ebenfalls kleine GmbHs, sodass der Befreiungstatbestand zur Anwendung kommt.

Fraglich ist allerdings, ob eine einheitliche Leitung bestand (z. B. über den Beirat oder mittelbar über die Privatstiftung). Dies dürfte – und sollte – jedenfalls Gegenstand der Prüfung im aktuellen Insolvenzverfahren sein.

Warum konnte die Signa Holding GmbH die für den Jahresabschluss geltenden Offenlegungsvorschriften missachten?

Die Veröffentlichung von Jahres- und Konzernabschlüssen ist eine wichtige Transparenzmaßnahme. § 283 UGB sieht daher Zwangsstrafen bei nicht konformer bzw. nicht fristgerechter Veröffentlichung des Jahres- und Konzernabschlusses vor. Die Zwangsstrafen betragen von 700 bis 3.600 Euro und werden wiederholt verhängt, soweit die Organe ihren Pflichten nach je weiteren zwei Monaten noch nicht nachgekommen sind.

Laut Medienberichten („Standard“ vom 7. Dezember 2023) hat Signa über die Jahre Hunderttausende Euro an Strafen bezahlt, die vom Unternehmen übernommen wurden. Da die Geldstrafen an die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft gerichtet sind, wurden die verhängten Geldstrafen anscheinend als Personalkosten klassifiziert und von der Steuer abgesetzt.

Privatstiftungen ohne Transparenz

Obwohl Privatstiftungen immer öfter die Spitze in Konzernen einnehmen und zumeist auch faktischen Einfluss auf Strategie und Geschäftsführung der Konzernunternehmen ausüben, ist die Transparenz unbefriedigend. Auch im Signa-Konzern sind unzählige Privatstiftungen zu finden, wodurch die Klärung der Zuordnung und Verflechtung der einzelnen Unternehmen eine besondere Herausforderung darstellt. Dies umso mehr, als Privatstiftungen zwar in Bezug auf Jahres- und Konzernabschluss sowie Prüfungspflicht im Wesentlichen denselben Bestimmungen wie Kapitalgesellschaften unterliegen, allerdings von jeglicher Offenlegungspflicht befreit sind, sodass im Firmenbuch keinerlei Informationen aufliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass Privatstiftungen vielfach von der Einrichtung eines Aufsichtsrats Abstand nehmen und die Corporate Governance, insbesondere das Verhältnis von eingerichteten Beiräten und Vorstand, in der Praxis immer wieder für Diskussionen sorgt.

Welcher Reformbedarf ist daraus abzuleiten?

Das Beispiel Signa Holding GmbH zeigt eindrucksvoll die Problematik der geltenden gesetzlichen Regelungen auf, die in mehrfacher Hinsicht Intransparenz auf unterschiedlichen Ebenen ermöglichen. Beginnend bei der Einteilung der Größenklassen für Kapitalgesellschaften und den damit verbundenen Befreiungstatbeständen bis hin zur Intransparenz von Privatstiftungen.

Dabei offenbart sich, dass vor allem die kleine GmbH reichlich Schlupflöcher ermöglicht, um Transparenz- und Governance-Standards zu umgehen. Dass im vorliegenden Fall die Missachtung der Offenlegungsvorschriften über Jahre hinweg möglich war, sollte ebenfalls Anlass dafür sein, nicht zur Tagesordnung überzugehen. Dies umso mehr, als im letzten Jahrzehnt unter dem Deckmantel der Deregulierung und Entlastung von Unternehmen die politische Ausrichtung in Richtung Schwächung der Transparenz und Schwächung der Corporate Governance geht. Aktuell wird auf EU-Ebene gerade eine inflationsbedingte Anhebung der Schwellenwerte der Größenklassen von 25 Prozent diskutiert. Auch diese Anhebung – ebenfalls mit Entlastung der Unternehmen begründet – verschlechtert die Transparenz und zahlreiche Unternehmen fallen wieder aus der Prüfpflicht heraus. Auch der Anwendungskreis für die künftige Nachhaltigkeitsberichterstattung wird dadurch wieder geringer.

Folgende Maßnahmen wären ins Auge zu fassen und breit zu diskutieren:

Im Bereich der Größenklassen und Rechnungslegung

  • Eine Kapitalgesellschaft (AG, GmbH oder die neue FlexKapG) mit besonders großer Bilanzsumme sollte unabhängig von den übrigen Kriterien (Beschäftigte und Umsatz) als mittelgroße bzw. große Kapitalgesellschaft eingestuft werden, wenn sie in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Bilanzsumme aufweist, die mehr als dem Fünffachen bzw. dem Zehnfachen der großen Kapitalgesellschaft entspricht (> 100 Mio. Euro bzw. > 200 Mio. Euro).
  • Zu den Umsatzerlösen sollten auch die Beteiligungserträge (Ausschüttungen der Tochterunternehmen) hinzugezählt werden. Somit würden umsatzarme Holdinggesellschaften, die hohe Beteiligungserträge erzielen, bezüglich der Größenklassen anders zu qualifizieren sein.
  • Die oben angeführte „Holding-Bestimmung“ (§ 221 Abs 4a UGB), die sich nur auf die AG bezieht, sollte auf alle Kapitalgesellschaften – und damit auch auf die GmbH – ausgeweitet werden, sodass Muttergesellschaften im Sinne des § 244 UGB, unabhängig von der Rechtsform, die Schwellenwerte-Berechnung auf konsolidierter oder aggregierter Basis durchzuführen haben.
  • In vielen Fällen wird bei kleinen GmbHs ein freiwilliger Aufsichtsrat bzw. ein Beirat mit aufsichtsratsähnlichen Kompetenzen eingerichtet. Der Aufgabenkatalog von einem gesetzlichen gegenüber einem freiwilligen Aufsichtsrat unterscheidet sich in der Regel nicht. Dies gilt auch in Haftungsfragen. Die Einschränkung, wonach eine kleine GmbH – wie oben ausgeführt – nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Aufsichtsratspflicht prüfungspflichtig ist, ist nicht gerechtfertigt.

Im Bereich der Offenlegungspflicht von Jahres- und Konzernabschlüssen

  • Das geltende Strafausmaß ist, wie das Beispiel Signa zeigt, eindeutig zu niedrig. Neben einer Anhebung der geltenden Strafen braucht es einen zusätzlichen Anknüpfungspunkt bei der Strafbemessung bei mehrmaliger Missachtung der Offenlegungsvorschriften. Ergänzend zur aktuellen Regelung sollte die Bilanzsumme herangezogen werden. Anzudenken wäre z. B. ein Strafausmaß von 1 Prozent der Bilanzsumme und wiederholte Verhängung.
  • Der Aufsichtsrat hat zu überprüfen, ob die Offenlegungspflichten im abgelaufenen Geschäftsjahr eingehalten wurden. Bei Nichteinhaltung der Pflichten ist der Eigentümerversammlung vorzuschlagen, von einer Entlastung der Geschäftsführung bzw. des Vorstandes abzusehen.
  • Kein Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers bei Verstößen gegen die Offenlegungspflicht im darauffolgenden Jahr.
  • Verpflichtende Einleitung eines Amtslöschungsverfahrens bei mehrjähriger Nichtveröffentlichung des Jahres- oder Konzernabschlusses (z. B. nach zwei bis drei Jahren).
  • Verbesserung der Transparenz bei Privatstiftungen durch eine Offenlegungspflicht des Konzernabschlusses gemäß § 280 UGB.
  • Keine Förderungen bei Missachtung der Offenlegungspflichten.

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