Die Klimakrise verlangt entschlossene Maßnahmen, besonders im Verkehrsbereich, der in Österreich der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen ist. Trotz jahrzehntelanger Diskussionen über Klimaziele zeigen die Emissionen im Verkehr keinen stabilen Trend nach unten. Seit 1990 sind sie um rund sieben Prozent gestiegen, fast ausschließlich verursacht durch den Straßenverkehr. Der Bahnverkehr hingegen verursacht weniger als ein Prozent der verkehrsbedingten Emissionen und wird dennoch in seiner Bedeutung für eine sozial-ökologische Transformation systematisch vernachlässigt.
Das System Bahn: Zukunftsweisend und dennoch unterschätzt
Eine sozial-ökologische Mobilitätswende ist nicht nur angesichts der Klimakrise geboten, sondern bietet zudem industrie- und beschäftigungspolitische Chancen. Unsere neue Studie beleuchtet das Potenzial der Bahnindustrie für Beschäftigung, Wertschöpfung und die aktive Gestaltung eines sozialen und ökologischen Umbaus. Unsere zentrale Erkenntnis ist, dass der Bahnsektor mit gezielter nachfrageorientierter Industriepolitik durch den Staat zum Rückgrat einer klimafreundlichen Wirtschaft werden kann.
Die Bahnindustrie ist ein wirtschaftlicher Eckpfeiler in Österreich. Sie beschäftigt rund 28.000 Menschen direkt und indirekt und generiert eine jährliche Bruttowertschöpfung von etwa 2,7 Milliarden Euro. Zusammen mit Zuliefer- und Dienstleistungsbereichen wird daraus ein umfassender industrieller Sektor, der stark exportorientiert, regional verankert und vergleichsweise ökologisch ist.
Trotzdem steht das „System Bahn“, also die Kombination aus Produktion für die Bahn, Infrastruktur und Bahnbetrieb, nicht im Zentrum der Industriepolitik. Während über die Autoindustrie in den Medien fast täglich diskutiert wird, wird der Bahnindustrie weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl die Bahn als kollektives Verkehrsmittel in Österreich äußerst beliebt ist und die Bahnindustrie international sehr wettbewerbsfähig ist.
Infrastrukturinvestitionen für die Mobilitätswende schaffen Arbeitsplätze
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist das beschäftigungspolitische Potenzial des Systems Bahn. Durchschnittlich können in dem Investitionszeitraum von 16 Jahren bis zu 14.400 Arbeitsplätze entstehen. Zusätzliche Beschäftigte braucht es nicht nur im Bau- und Verkehrsbereich: Jede investierte Milliarde entfaltet auch Multiplikatoreffekte in Zulieferindustrien, bei Planungsbüros, der Elektrotechnik und darüber hinaus.
Die Investitionen im Rahmen des Zielnetz 2040 stellen einen wichtigen Schritt für den Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur in Österreich dar. Ähnliche Entwicklungen sind auch auf europäischer Ebene zu beobachten. Um das volle Potenzial dieses Ausbaus zu nutzen, ist es entscheidend, auch die produzierenden Industrien in diesem Bereich weiterhin durch nachfrageorientierte Industriepolitik zu unterstützen, wie die Rahmeninvestitionspläne und das Klimaticket es tun. Bisher fehlt es außerdem an strategischem Vorgehen, die Maßnahmen im Bereich Beschäftigung, ökologischen Umbau und industrielle Entwicklung gemeinsam zu denken. Verkehrs-, Infrastruktur-, Wirtschafts-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sollten stärker verzahnt werden, um die Mobilitätswende ganzheitlich auf Schiene zu bringen.
Bildungspolitik als Hebel der Transformation
Ein besonders relevanter Bereich ist die Qualifizierung. Viele Unternehmen der Bahnindustrie berichten über Nachwuchsprobleme, fehlende Fachkräfte und geringe Sichtbarkeit der Branche in der Ausbildung. Die schulische, berufliche und akademische Bildung ist kaum auf die Bedürfnisse der Bahnindustrie abgestimmt. Es fehlt an praxisnahen Ausbildungsformaten, durchlässigen Qualifizierungswegen und Weiterbildungsprogrammen, etwa für Fachkräfte aus schrumpfenden Branchen wie der Kfz-Zulieferindustrie. Die Unternehmen können hier allerdings auch selbst einen wichtigen Beitrag leisten. Zum Teil bilden sie aktuell wieder mehr Lehrlinge selbst aus, um ihren Fachkräftebedarf der Zukunft zu decken.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen aber: Es braucht darüber hinaus eine Bildungsoffensive, die technische und ökologische Kompetenzen stärkt, die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Betrieben und Hochschulen fördert und neue Karriereperspektiven in nachhaltigen Branchen sichtbar macht.
Raumordnung und Mobilität gemeinsam denken
Unsere Studie betont die Bedeutung einer stärkeren Verknüpfung von Raumordnung und öffentlichem Verkehr. Die bestehende Zersiedelung in Österreich erschwert den Ausbau attraktiver öffentlicher Mobilitätsangebote. Um eine sozial und ökologisch gerechte Mobilitätswende zu unterstützen, sollen Siedlungsentwicklung und ÖV-Angebot besser abgestimmt werden. Eine koordinierte Raumplanung kann dazu beitragen, den öffentlichen Verkehr effizienter zu gestalten und klimafreundliche Mobilitätsformen zu fördern.
Wir schlagen unter anderem vor, Genehmigungen für neue Wohn- und Gewerbegebiete an die verpflichtende Anknüpfung an den öffentlichen Verkehr zu koppeln. Baugenehmigungen und Betriebsansiedelungen sollten umfassende und verbindliche Mobilitätskonzepte erfordern. Auch Mobilitätsbudgets, Jobtickets und Sharing-Modelle im ländlichen Raum können dazu beitragen, Alternativen zum Auto attraktiver zu machen.
Zielgerichtete Beschaffung als wichtiges Instrument
Ein wirksames industriepolitisches Instrument ist die öffentliche Beschaffung. Durch langfristige Investitionspläne stärkt der österreichische Staat die Planungssicherheit der Unternehmen der Bahnindustrie. Auch durch strategische Vergabepolitik bei Aufträgen, etwa im Fahrzeugbau, in der Infrastrukturmodernisierung oder bei digitalen Systemen, kann der Staat die Bahnindustrie gezielt stärken. Öffentliche Ausschreibungen sollten außerdem künftig ökologische, soziale und regionale Kriterien einbeziehen. Wir empfehlen, auf Grundlage des Vergaberechts strategische Ziele wie Klimaschutz zu fördern. Außerdem soll es so reformiert werden, dass regionale Wertschöpfung aktiv gefördert werden kann.
Zugleich braucht es eine europäische Koordination, um zentrale Komponenten wie Halbleiter, Batterien oder Software nicht vollständig dem globalen Wettbewerb zu überlassen. Strategische Resilienz, also die Fähigkeit, auch in Krisenzeiten unabhängig zu bleiben, sollte dabei als Leitprinzip gelten.
Jetzt ist die Zeit für eine aktive Bahnpolitik
Die Mobilitätswende erfordert es, Industriepolitik, Beschäftigungssicherung und Klimaschutz gemeinsam zu denken. Die Bahnindustrie kann dabei zur Schlüsselbranche werden — vorausgesetzt, es wird politisch gehandelt. Was es braucht, ist ein Staat, der aktiv steuert, investiert, qualifiziert und den Umbau gestaltet. Nur so lassen sich soziale und ökologische Ziele verbinden und eine nachhaltige Wirtschaft der Zukunft aufbauen.