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Diese Sonderregelungen wurden jedoch nicht nur mehr, sondern auch zunehmend aggressiver, sodass sie nun echte Steueroptimierungsstrategien auf der Grundlage einfacher Wohnsitzverlegungen ermöglichen. Dies wird beispielsweise anhand von Plattformen wie Nomad Capitalist deutlich, welche sich auf die Steuervermeidung durch die weltweite Wohnsitzverlegung spezialisiert haben und mit der Vermittlung von Informationen über steueroptimale Wohnorte sogar Geld verdienen.
Anfänglich konzentrierten sich die Regelungen auf das Einkommen, das im neuen steuerlichen Wohnsitzland erzielt wurde. Mit der Zeit wurde dieser Geltungsbereich jedoch auch auf im Ausland erzieltes bzw. weltweites Einkommen ausgedehnt. Voraussetzung, um diese Spezialregelungen in Anspruch zu nehmen, ist – wie gesagt – der Wohnsitzwechsel. Dies bedeutet, dass der bzw. die Begünstigte einen steuerlichen Wohnsitz in einem Land begründen muss, in dem eine solche Regelung in Kraft ist. Dafür braucht es (in der Regel) nicht nur einen Wohnsitz, sondern auch soziale und wirtschaftliche Anknüpfungspunkte im täglichen Leben (Mittelpunkt der Lebensinteressen). In den meisten Ländern darf der- bzw. diejenige außerdem für eine gewisse Anzahl von Jahren vor Inanspruchnahme der Regelung keinen Wohnsitz in diesem Land gehabt haben. In einigen Fällen besteht die zusätzliche Voraussetzung, dass keine Staatsangehörigkeit des entsprechenden Landes vorliegen darf, um von den besonderen Zuzugsbegünstigungen profitieren zu können.
Die in der Europäischen Union gängigsten Modelle für Steuererleichterungen bei Privatpersonen
Die jeweiligen nationalen Modelle sind zwar unterschiedlich ausgestaltet, dennoch lassen sich drei Hauptmodelle an Zuzugsbegünstigungen identifizieren:
- Pauschalsteuersysteme:
Normalerweise zahlen Steuerpflichtige nicht nur Steuern auf die Einkünfte, die sie in ihrem Wohnsitzstaat erwirtschaften, sondern auf ihr Welteinkommen. Pauschalsteuersysteme ignorieren das Welteinkommen bzw. beziehen es nur über (geringe) Pauschalbeträge ein. Ein Beispiel für ein solches Modell ist das 2017 in Italien eingeführte „Lump-Sum Tax Regime for High-Net-Worth Individuals“. Hierbei können neue Steueransässige einen Pauschalbetrag (100.000 Euro/Jahr und 25.000 Euro/Kind) als Steuer für ihre ausländischen Einkommensquellen zahlen – egal, wie hoch sie sind. Das in Italien erzielte Einkommen wird weiterhin mit dem üblichen progressiven Steuertarif besteuert. 2024 wurde die pauschale Steuer auf 200.000 Euro pro Jahr verdoppelt, jedoch nur für Personen, die neu von der Regelung Gebrauch machen möchten. Für Personen, die bereits von dem Pauschalsteuersatz in Höhe von 100.000 Euro profitieren, änderte sich nichts.
- Regelungen in Verbindung mit Einkünften, die bei der Ausübung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat erzielt werden:
Diese Modelle zielen meist auf hochqualifizierte Arbeitskräfte, wie Forscher:innen, Wissenschaftler:innen, aber auch Künstler:innen und Profisportler:innen, ab und befreien teilweise inländische Einkünfte dieser neuen Steueransässigen bzw. besteuern diese günstiger. Hierbei werden jedoch nur Einkünfte begünstigt, welche im neuen Steuerdomizil erzielt werden. Diese Regelungen sind meist an gewisse Einkommensvoraussetzungen gebunden. Bei der finnischen 32-Prozent-Steuerbefreiungsregelung hat man beispielsweise als Zuzügler:in ab gewissen Einkommensvoraussetzungen und Fachkenntnissen das Recht, seine finnischen Einkünfte (anstelle des progressiven Steuertarifs) mit einem festen Steuersatz von 32 Prozent zu versteuern. Finnische Steuerzahler:innen, welche nicht in den Genuss der Regelung kommen, müssen hingegen für das gleiche Einkommen 37 Prozent oder mehr an Steuern abführen.
- Auf Pensionist:innen ausgerichtete Regelungen:
Diese Modelle adressieren Pensionist:innen und begünstigen deren Pensionseinkünfte aus dem Ausland. Das Ziel dieser Regelungen ist es, neue Verbraucher:innen und damit Kaufkraft anzuziehen. Ein Beispiel hierfür ist die 2009 in Portugal eingeführte Regelung, wonach für neu im Land ansässige Pensionist:innen ausländische Alterspensionen vollständig von der Einkommensteuer befreit sind. 2020 wurde diese Regelung reformiert, sodass der Steuersatz von null auf 10 Prozent angehoben wurde. Portugal ist mittlerweile nicht mehr das einzige Land mit einer solchen Regelung; mehrere europäische Staaten haben derartige oder ähnliche Systeme eingeführt, in diesem Zusammenhang nennenswert sind Malta, Zypern, Italien oder auch Griechenland.
Zu den aggressivsten Regelungen zählen die in Griechenland und Italien eingeführten Pauschalsteuerregelungen für Einkünfte aus dem Ausland. Damit sollen vermögende Privatpersonen aus dem Ausland angezogen werden. In beiden Fällen ist es möglich, dass Privatpersonen bis zu acht Jahre von diesen Regelungen profitieren. Zudem ist keine reale wirtschaftliche Tätigkeit im neuen Ansässigkeitsstaat notwendig, um in den Genuss der Regelung zu kommen.
Zu den weniger aggressiven Regelungen gehören in erster Linie befristete und solche, die darauf abzielen, gewisse hochqualifizierte Arbeitskräfte in das Land zu bringen. Darunter fallen beispielsweise die österreichische Künstler:innen- und Sportler:innenregelung oder die finnische Forscher:innenregelung.
Politische Schlussfolgerungen
Während der Steuerwettbewerb um ausländische Direktinvestitionen von Konzernen im Rahmen der Körperschaftsteuer seit vielen Jahren intensiv in Wissenschaft und Politik debattiert wird, gibt es zum neuen Steuerwettbewerb um (vermögende) Privatpersonen noch wenig Diskussion. Das Problem ist aber nicht minder bedeutsam und verlangt nach politischen Antworten.
Ein Lösungsansatz, der sich aufdrängt, ist eine fortlaufende Besteuerung, die es den Staaten ermöglicht, (vermögende) Privatpersonen, die ihre Heimat in Richtung einer Steueroase oder eines Staates mit attraktiven steuerlichen Zuzugsbegünstigungen verlassen, über einen gewissen Zeitraum weiter zu besteuern. Begründen kann man eine solche Maßnahme damit, dass der Wohlstand der abwandernden Personen (größtenteils) in den Abwanderungsstaaten erwirtschaftet wurde, woraus sich gewisse über den Wegzug hinausreichende Verpflichtungen ableiten lassen.
Das Problem mit diesem Ansatz ist, dass er den Doppelbesteuerungsabkommen widerspricht, die viele Staaten abgeschlossen haben. Österreich z. B. hat mit circa 80 Staaten solche Abkommen abgeschlossen. Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge, welche die Staaten abschließen, um bei grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Sachverhalten eine Doppelbesteuerung der Steuerpflichtigen zu vermeiden. Diese Abkommen regeln auch, wo jemand steuerlich ansässig ist und welchem Staat die Besteuerungsrechte an Einkommen und Vermögen zufallen, wenn es Anknüpfungspunkte zu beiden Staaten gibt. In manchen Bereichen ist es der Quellenstaat, in anderen der Ansässigkeitsstaat. Eine generelle fortlaufende Besteuerung des Welteinkommens im „alten“ Ansässigkeitsstaat, z. B. auf 10 Jahre ins Gesetz zu schreiben, würde diesen Abkommen komplett zuwiderlaufen.
Eine Antwort darauf könnte sein, eine Änderung der Verträge anzustreben, z. B. über eine Änderung des OECD-Musterabkommens, das ein Hebel für eine Änderung der bilateralen Verträge sein könnte. Innerhalb der EU könnte man das Problem auch mit einer Richtlinie lösen. Das Problem: In beiden Varianten braucht man die Zustimmung von Staaten, die auf den neuen Steuerwettbewerb setzen und kein Interesse haben, sich auf Restriktionen einzulassen.
Welche Möglichkeiten gibt es auf nationaler Ebene? Nicht zu empfehlen wäre eine Missachtung der Doppelbesteuerungsabkommen. Das gilt gerade für ein kleines Exportland wie Österreich. Sinnvoller erscheint es da, die Spielräume des bestehenden Systems zu nutzen. Denn die Doppelbesteuerungsabkommen machen die steuerliche Ansässigkeit wesentlich auch durch den sogenannten „Mittelpunkt der Lebensinteressen“ fest, also wo jemand Familie, Freund:innen und Erwerbsquellen hat. Hier gilt die Verwaltungspraxis, dass die Verlagerung der Lebensinteressen zwei bis fünf Jahre dauert, die Gerichte erachten teilweise aber auch kürzere Zeiträume als ausreichend. Nachdem es auf den Einzelfall ankommt, sind harte legistische Maßnahmen naturgemäß schwierig, aber gewisse Möglichkeiten zur Absicherung des Besteuerungsrechts an den inländischen Einkunftsquellen gibt es schon. Das zeigt die Regelung in § 2 deutsches Außensteuergesetz.
Der zweite nationale Hebel ist die Wegzugsbesteuerung. Sie erfasst die stillen Reserven von Vermögenswerten, wo Österreich beim Wegzug das Besteuerungsrecht verliert (z. B. bei Aktienpaketen). Hier ist das Problem, dass bei natürlichen Personen, die in einen EU/EWR-Staat verziehen, über die stillen Reserven nur abzusprechen, die Steuerschuld auf Antrag aber erst bei einer Veräußerung der Vermögenswerte festzusetzen ist. Im Ergebnis wird die Wegzugsbesteuerung also gestundet; potenziell über Generationen, da Erbschaften und Schenkungen keine Veräußerungen darstellen. Diese Lücke sollte geschlossen werden und die stillen Reserven sollten über einige Jahre verteilt sofort versteuert werden müssen (wie das z. B. auch Deutschland macht). Für Fälle, wo der Wegzug temporär bzw. eine Rückkehr absehbar ist, sollte es Ausnahmen geben. Und man sollte sich überlegen, die Wegzugsbesteuerung dahingehend zu ändern, dass sie zukünftig auch im Verhältnis zu Staaten greift, mit denen Österreich kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat, z. B. europäische Steueroasen wie Monaco. Denn wo kein Abkommen, da kein Verlust des Besteuerungsrechts und damit keine Wegzugsbesteuerung. In diesen Fällen wird jetzt quasi automatisch gestundet.
Fazit
Es braucht dringend eine intensivere politische Debatte über den neuen Steuerwettbewerb um superreiche Privatpersonen und was man dagegen tun kann.
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