Energiearmut in Österreich – welche Gruppen sind besonders betroffen?

22. Juni 2023

Ob Freizeitgestaltung, Kochen, Körperhygiene oder das Heizen der Wohnung – Energienutzung betrifft uns alle. Können sich Menschen die ausreichende Nutzung von Energie nicht leisten, hat das enorme Auswirkungen auf ihren Lebensalltag. Seit Beginn des Jahres 2022 wird die Nutzung von Energie immer teurer. Das bedeutet gleichzeitig für viele Menschen, dass die Gefahr, von Energiearmut betroffen zu sein, erheblich steigt. Einzelne Bevölkerungsgruppen sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als andere – die Schere zwischen ihnen und anderen Bevölkerungsgruppen geht immer weiter auseinander. Aber welche Personengruppen sind laut aktuellen Erhebungen überhaupt besonders betroffen?

Energiearmut in Krisenzeiten

Allgemein kann Energiearmut als Zustand, in dem ein Haushalt oder eine Person keinen sozial und materiell adäquaten Zugang zu Energiedienstleistungen in der Wohnung hat beziehungsweise sich diese nicht leisten kann, beschrieben werden. Energiearmut ist keineswegs ein neues Phänomen. In den Jahren 2010 bis 2017 lag die Energiearmutsquote in Österreich auf einem relativ stabilen Niveau zwischen 2,9 und 3,7 Prozent. Danach ist bis Anfang des Jahres 2021 ein leichter Rückgang auf durchschnittlich zwei Prozent zu beobachten.

Seit dem letzten Quartal des Jahres 2021 führt die Statistik Austria die Umfrage „So geht’s uns heute“ durch, um die Lebenslage der österreichischen Bevölkerung mit den immer weiter steigenden Preisen zeitnah abzubilden. Hierfür werden alle drei Monate neue Befragungen durchgeführt. Das macht die dabei erhobenen Daten besonders wertvoll, da die Zeitspanne, die zwischen Erhebung und Auswertung der Daten liegt, um einiges geringer ist, als es bei statistischen Erhebungen die Norm ist. Aktuelle empirische Daten dienen oft als Grundlage für politische Handlungsempfehlungen und als Orientierungshilfe für die Entwicklung von (Unterstützungs-)Maßnahmen. Damit diese Maßnahmen dort ansetzen, wo sie am meisten gebraucht werden, haben wir die aktuellen Zahlen zu Energiearmut ausgewertet, um Rückschlüsse für den kommenden Winter zu ziehen.

Wird der zeitliche Verlauf der Energiearmut betrachtet – gemessen an Personen, die ihre Wohnung nicht angemessen warm halten können – wird deutlich sichtbar, dass der Prozentsatz energiearmer Menschen in Österreich eklatant gestiegen ist: Berechnungen zeigen, dass bei der Erhebung im 4. Quartal 2021 6 Prozent als energiearm galten. In den darauffolgenden Quartalen lag die Energiearmutsquote bei 6,1 Prozent, 8,4 Prozent und 11,3 Prozent, während die Zahl derer, die als energiearm bezeichnet werden können, im 4. Quartal 2022 bereits 12,1 Prozent betrug. Das entspricht knapp 765.000 Personen und bedeutet, dass sich die Zahl der Betroffenen in einem Jahr verdoppelt hat. Das kann unter anderem auf die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Teuerungswelle bei Energie zurückgeführt werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Wer ist besonders davon betroffen?

In der bisherigen Literatur wurden diverse soziodemografische Merkmale mit der Betroffenheit von Energiearmut in Verbindung gebracht. Bei der Auswertung der einzelnen Quartalsdaten konnten wir vier Bevölkerungsgruppen als besonders betroffen beziehungsweise gefährdet herausarbeiten: Ausländer:innen, Arbeitslose, Mieter:innen und Personen mit niedriger Bildung. Diese (und einige andere) Gruppen wurden in der bisherigen Literatur schon zuvor als vulnerabel identifiziert. Die genaue empirische Auswertung ist allerdings neu, da es die entsprechenden Daten bislang nicht gab. Die grafische Darstellung ist deshalb besonders spannend, weil die Auswirkungen der Rekordinflation auf Energiearmutsbetroffene dadurch besonders deutlich werden.

Menschen mit Migrationshintergrund und arbeitslose Personen

Abbildung 2 deutet auf deutliche Unterschiede zwischen Inländer:innen und Ausländer:innen hin (entsprechend der Erhebungsmethode gelten als Ausländer:innen alle Personen, deren Geburtsort außerhalb von Österreich liegt). Während zum Zeitpunkt der Befragungswelle eins (Q4/2021) lediglich 4,8 Prozent der im Inland geborenen Befragten als energiearm galten, waren es zum selben Zeitpunkt 10,1 Prozent der im Ausland Geborenen. In den darauffolgenden Quartalen ist der Anteil der energiearmen Ausländer:innen auf über 24 Prozent im 4. Quartal 2022 angestiegen. Zu diesem Zeitpunkt war demnach bereits (nahezu) jede:r vierte Migrant:in energiearm, wohingegen nur jede elfte befragte, in Österreich geborene Person angab, dass sie zum Befragungszeitpunkt ihre Wohnung nicht angemessen warm halten konnte.

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Als weitere besonders vulnerable Gruppe konnten Arbeitslose identifiziert werden. In der aktuellen Befragung (Q4/2022) gaben 29,4 Prozent von ihnen an, dass sie ihre Wohnung nicht angemessen warm halten konnten. Das bedeutet, dass zu Jahresende 2022 nahezu jede dritte arbeitslose Person energiearm war, während das lediglich auf jede zehnte Person, die einer Erwerbsarbeit nachging, zutreffend war.

Mieter:innen und Personen mit niedriger Bildung

Abbildung 3 zeigt die Energiearmutsquote bei Mieter:innen, Eigentümer:innen und Mieter:innen von Gemeindewohnungen im Vergleich. Dabei wird sichtbar, dass Mieter:innen über den gesamten Betrachtungszeitraum deutlich stärker von Energiearmut betroffen sind als Eigentümer:innen. Außerdem ist zu erkennen, dass die Schere zwischen den beiden Gruppen immer weiter auseinandergeht. So betrug die Energiearmutsquote bei Menschen, die in einer Mietwohnung leben, im 4. Quartal 2022 knapp 20 Prozent, während sie in der Gruppe der Eigentümer:innen bei lediglich ca. 7 Prozent lag. Noch erschreckender ist die Energiearmutsquote bei Mieter:innen von Gemeindewohnungen. Wie in der Grafik erkenntlich ist, war hier beim Höchstwert im 4. Quartal 2022 fast jede dritte Person energiearm, während zu Beginn der Betrachtungsperiode nur knapp jede siebte Person betroffen war.

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Als letzte vulnerable Gruppe sind Personen mit niedriger Bildung besonders herausgestochen. Bei dieser Gruppe ist die Entwicklung im Jahr 2022 ebenfalls dramatisch: Die Energiearmutsquote hat sich zwischen dem 4. Quartal 2021 mit 10,1 Prozent und dem 2. Quartal 2022 mit knapp 20 Prozent fast verdoppelt. Zum Vergleich: Bei Personen aus hohen Bildungsschichten lag der Höchststand an von Energiearmut Betroffenen im 4. Quartal 2022 bei 11,3 Prozent.

Die Daten zeigen also, dass bei allen vier dieser genannten vulnerablen Gruppen bereits im 4. Quartal 2021 eine deutlich stärkere Betroffenheit von Energiearmut festzustellen war als bei anderen Bevölkerungsgruppen. Zusätzlich dazu sind die Zahlen der energiearmen Menschen in diesen vier Gruppen seit damals noch viel stärker gestiegen als bei der restlichen Bevölkerung. Das zeigt, dass Menschen, die ohnehin schon in prekären Situationen leben, durch die steigenden Preise immer weiter in eine Notlage geraten. Durch Hilfeleistungen nach dem Gießkannenprinzip wird diese immer weiter steigende soziale Ungleichheit aber nicht aufgehalten werden, denn Einmalzahlungen bewahren Menschen auf Dauer nicht davor, steigende (Energie-)Kosten monatlich selbst stemmen zu müssen.

Und was nun?

Im zeitlichen Verlauf ist ein allgemeiner Aufwärtstrend der Energiearmutsquote zu beobachten. Hierbei sind entweder im zweiten oder dritten Quartal 2022 große Sprünge zu sehen, was möglicherweise auf die effektive Preissteigerung der Energiepreise zurückzuführen ist. Insbesondere der Anstieg zum Jahresende 2022 sollte sowohl aus sozialpolitischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht beobachtet werden, um daraus politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Es ist zu vermuten, dass sich dieser Trend im ersten Quartal 2023 fortsetzt; bisher liegen dafür aber noch keine Daten vor.

Die Ergebnisse unserer Ausarbeitung zeigen, dass arbeitslose Personen, Mieter:innen, Menschen mit ausländischer Herkunft sowie solche mit niedriger Bildung am häufigsten von Energiearmut betroffen sind (ein Teil der Menschen fällt in mehr als eine dieser Gruppen). Da Energiearmut ein mehrdimensionales Phänomen ist, müssen auch Lösungsansätze dementsprechend vielfältig sein. Nun gilt es, gezielte Lösungsvorschläge abzuleiten, die besonders vulnerable Personengruppen schützen. Seit dem rasanten Anstieg der Energiekosten haben einige große Energielieferanten Energie- und Wohnkostenberatungsstellen in Zusammenarbeit mit NGOs eingerichtet, um schnelle Hilfe für Betroffene anzubieten, und auch von staatlicher Seite wurden Maßnahmen gesetzt, um dem Preisanstieg bei den Energiekosten entgegenzuwirken. Die Zahlen zeigen allerdings, dass diese Hilfestellungen nicht ausreichen, beziehungsweise Menschen erst dann erreichen, wenn sie schon nicht mehr in der Lage sind, ihre Wohnung warm zu halten, sich eine warme Mahlzeit zuzubereiten oder warm zu duschen.

Bei steigenden Temperaturen fällt es leicht, das Problem der Energiearmut hintanzustellen. Diese sind allerdings nur temporär und der Sommer würde sich anbieten, flächendeckend präventive Unterstützungsleistungen einzurichten, damit sich im nächsten Winter nicht noch mehr Menschen entscheiden müssen, ob sie „lieber“ hungern oder frieren. Denn eine Sache ist gewiss: Der nächste Winter kommt bestimmt. Und wenn nicht gehandelt wird, wird dieser für viele Menschen kälter denn je.

Dieser Blogbeitrag ist das Ergebnis einer studentischen Forschungsarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, die gemeinsam mit Matthis Pechtold verfasst wurde.

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