Die neue AK-Studie „Transformation des Wiener Altbau-Miethausbestands: Angebotsdynamiken und Verdrängungsdruck“ untersucht die sogenannten Zins- oder Gründerzeithäuser in Wien. In der Studie wird die Marktdynamik zwischen 2000 und 2022 auf Basis der Kaufpreissammlung (Liegenschaftstransaktionsdatenbank, die von der Stadt Wien seit dem Jahr 1986 geführt wird) genau analysiert. Zusätzlich werden mittels Interviews in sogenannten Konflikthäusern die häufigsten Methoden, mit denen Mieter:innen unter Druck gesetzt werden, herausgearbeitet.
Ein Viertel der Altbau-Mietshäuser mindestens einmal verkauft
In Wien gibt es rund 20.000 Altbau-Mietshäuser. In diesem Sektor des Häusermarktes gibt es überdurchschnittlich viele Transaktionen: Zwischen 2000 und 2022 gab es rund 6.400 Käufe und Verkäufe, das entspricht 87 Prozent aller Transaktionen mit Mietshäusern in diesem Zeitraum. Darunter sind auch Mehrfachverkäufe. Rund 4.700 Altbau-Mietshäuser wurden mindestens einmal verkauft, das ist rund ein Viertel des Bestands.
Der klassische Wiener Hausherr stirbt aus
Gewerbliche Unternehmen haben zwischen 2000 und 2022 insgesamt 4.475 Altbau-Mietshäuser gekauft – das sind 70 Prozent aller Altbau-Mietshauskäufe. Im Zeitverlauf hat die Marktdominanz dieser kapitalstarken Käufer deutlich zugenommen. Im Jahr 2000 waren „nur“ bei 53 Prozent aller Transaktionen gewerbliche Unternehmen die Käufer. 2022 kauften sie bereits 92 Prozent aller gehandelten Altbau-Mietshäuser.
Preise von Altbau-Mietshäusern explodieren
Zwischen 2000 und 2022 gibt es einen deutlichen Preisanstieg bei den Altbau-Mietshäusern: 3,5 Millionen Euro kostete im Median ein Altbau-Mietshaus im Jahr 2022, aber im Jahr 2000 waren es noch 573.000 Euro. Die Steigerung entspricht einer Erhöhung um 511 Prozent! Der Anstieg liegt damit deutlich über der Inflation, die sich im selben Zeitraum um 62 Prozent erhöht hat, und über dem Baukostenindex, der um 98 Prozent anstieg.
Mehrfachverkäufe bringen schnelle Gewinne
Knapp ein Viertel aller Transaktionen zwischen 2005 und 2022 betraf Wiederverkäufe innerhalb von fünf Jahren. Ein Großteil dieser Verkäufe (75 Prozent) wurde sogar nur innerhalb von zwei Jahren getätigt. Im Jahr 2002 lag man bei Verkäufen innerhalb von zwei Jahren noch bei einem Bruttoverkaufsgewinn von rund 91.600 Euro. Im Jahr 2022 machten Verkäufer:innen nach zwei Jahren Besitzdauer einen Bruttogewinn von 815.000 Euro. Wer das Haus fünf Jahre lang besaß, machte durchschnittlich bereits 1,17 Millionen Euro Gewinn – heruntergerechnet ist das ein Gewinn von fast 2.000 Euro am Tag. Kurzfristige Wiederverkäufe sind auch deswegen interessant, weil angenommen werden kann, dass in diesen kurzen Zeiträumen selten saniert wurde.
Preisspirale erzeugt Verwertungsdruck: Das Haus muss Rendite machen
Auf dem angeheizten Markt setzt sich eine Spirale in Gang: Durch hohe bezahlte Preise steigt auch der Druck auf die Käufer:innen, eine Refinanzierung ihrer Investition bzw. einen Gewinn zu erzielen.
Verwertungsstrategien können etwa der Abriss und Neubau eines Hauses sein, der Abverkauf der einzelnen Wohnungen in einem Haus oder das Abschließen neuer befristeter und überhöhter Mietverträge. Auch neue Verträge unterliegen am Altbaumarkt dem Richtwertmietzins. Mietwucher mit illegal hohen Mieten über dem Richtwert ist deshalb kein seltenes Phänomen, das vielleicht von ein paar „schwarzen Schafen“ ausgeht, sondern bei so hohen Kaufpreisen eine Voraussetzung für das Geschäftsmodell. Eine legale Möglichkeit, die Mieten zu erhöhen, bietet hingegen der Lagezuschlag. Er berechnet sich wiederum auf Basis von durchschnittlichen Kaufpreisen in einem Viertel.
Alt-Mieter:innen stehen im Weg
Alle diese Verwertungsoptionen haben eine Sache gemein: Die Altmieter:innen stehen ihnen zumeist im Weg. Es kommt daher oft zu Situationen, in denen Druck auf die Mieter:innen ausgeübt wird, ihre Wohnungen zu kündigen und Verträge zu lösen. In der Studie wurden anhand von Interviews mit betroffenen Mieter:innen vier Strategien identifiziert, wie dieser Druck ausgeübt werden kann:
Von der ersten Strategie des physischen Drucks auf die Bausubstanz des Hauses spricht man, wenn Eigentümer:innen mit Absicht ihre Häuser verfallen lassen. Es werden keine Reparaturen mehr vorgenommen, Dreck nicht gereinigt oder viele Wohnungen im Haus leer stehen gelassen. Die krasseste Form ist die absichtliche Beschädigung von Häusern bis hin zu Abrissversuchen, wie ein Mieter im Interview schildert: „Der Vermieter hat nicht nur das Dach, sondern das leerstehende darunterliegende Geschoss abgerissen, obwohl da drunter noch Mieter waren.“
Als zweite Strategie wurde der ökonomische Druck durch Teuerung identifiziert: Obwohl das Mietrecht das Anheben von Mieten in bestehenden Verträgen untersagt, gibt es durch § 18-Verfahren eine Ausnahme, die eine temporäre Erhöhung für Verbesserungsarbeiten unter bestimmten Rahmenbedingungen erlaubt. „Meiner Meinung nach ist der Sinn der Erhöhung nur gewesen, so viel Druck auszuüben, damit wir gehen“, sagt eine Mieterin in der Studie.
Eine dritte Methode zielt auf die Sicherheit der Mietverträge ab: Durch illegale Kündigungen, das Vorlegen von neuen befristeten Verträgen oder zu geringen Ablöse-Angeboten wird auf die Rechtssicherheit der Verträge abgezielt. Das Zitat eines Mieters zeigt diese Situation: „Bei uns wurde an die Tür geklopft und die haben gesagt, ihr müsst da und da ausziehen, das war für uns mit einem unbefristeten Mietvertrag völlig überraschend.“
Die vierte Strategie ist psychischer Druck auf das Sicherheits- und Zuhausegefühl der Mieter:innen: Es wurde etwa über absichtlich nicht reparierte Eingangstüren berichtet, durch die hausfremde Personen ins Haus kommen können. Eine besonders perfide Methode stellt die Einmietung von Menschen in prekären Lagen in leerstehende Wohnungen dar. Es wurde von stark überbelegten Wohnungen berichtet, in denen Menschen ohne vertragliche Absicherung überhöhte Mieten zahlen. Dies sorgt auch für Konflikte im Haus, wie das Zitat einer Mieterin zeigt: „Es war ein ständiger Durchzug im Haus. Es sind Leute hin und her gegangen, es wurde gestritten, geschrien, es wurde gedealt, es gab mehrere Polizeieinsätze.“
Auswege aus dem Spekulationsdruck
Wohnen ist ein Grundrecht und kein Spekulationsobjekt. Es muss sich dringend etwas ändern, um die Situation am Altbau-Miethausmarkt zu entspannen und bessere Wohn- und Lebensbedingungen für die Bewohner:innen sicherzustellen.
- Es braucht ein modernes Mietrecht mit klaren Mietobergrenzen und transparenten Zu- und Abschlägen. Generell sollten Zuschläge mit 25 Prozent gedeckelt werden. Zudem muss es für alle privaten Mietwohnungen gelten, die älter als 30 Jahre sind. Das wäre mehr als zeitgemäß, da die derzeitige Definition nur Häuser, die älter als 80 Jahre sind, als Altbau ansieht.
- Die Entrechtung der Mieter:innen durch Befristungen muss beendet werden. Große Immo-Gesellschaften und Vermietungsunternehmen sollen nicht mehr befristet vermieten dürfen. Privatpersonen sollen ab der zweiten von ihnen vermieteten Wohnung unbefristet vermieten. Befristungen sind nicht nur ein großer Unsicherheitsfaktor für die Wohn- und Lebenssituation der Menschen, sondern verunmöglichen meist auch ein Eintreten für die eigenen Rechte gegenüber Vermieter:innen und öffnen so die Tür für überhöhte Mieten.
- Spekulation muss ein Riegel vorgeschoben werden: Bei überhöhten Mieten muss es wirksame Sanktionen bei den Vermieter:innen geben. In allen anderen Lebensbereichen ist es Normalität, dass mit nachgewiesenem Diebstahl Strafen einhergehen. Nur beim Wohnen ist es der Fall, dass Vermieter:innen auch im Wiederholungsfall nur (maximal) die überhöhte Miete zurückzahlen müssen und ansonsten nichts zu befürchten haben. Hier muss es härtere Geldstrafen bis hin zu Haftstrafen geben.
- Die Vermieter:innen müssen stärker in die Pflicht genommen werden, wenn sie ihren Erhaltungspflichten der Gebäude nicht nachkommen – zuerst Verwaltungsstrafen und dann Zwangsverwaltung des Gebäudes.
- Gleichzeitig müssen die Mieter:innen bei Sanierungen besser geschützt werden: Damit Mieter:innen durch übertragene Erhaltungskosten nicht unter Druck geraten, muss der Verteilungszeitraum dieser Kosten von zehn auf 20 Jahre verlängert werden. So bleiben monatliche Belastungen möglichst gering und Wohnen leistbar.