Der Druck auf den Gesundheits- und Pflegebereich steigt immer mehr. Leidtragende davon sind nicht nur die Patient:innen, sondern auch die Beschäftigten. Es braucht dringend Maßnahmen, um auf die Herausforderungen einer älter werdenden Bevölkerung sowie auf klimabedingte Veränderungen einzugehen, die Beschäftigten zu entlasten und für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Angesichts der hohen Personalbedarfe – und auch der schwächelnden Konjunktur – sind mehr Ausgaben und gezielte Investitionen in Pflege und Gesundheit deshalb das Gebot der Stunde. Das führt auch zu mehr Einnahmen und einem hohen Nutzen, der die Kosten bei Weitem übersteigt, wie eine Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt.
Demografie, Klima und Arbeitsbelastung als zentrale Herausforderungen
Studienautorin Elisabeth Dreer, Ökonomin am Institut für Bankenwesen an der JKU, hat für den stationären Bereich (Krankenhäuser), den niedergelassenen Bereich (Haus- und fachärztliche Versorgung) und die Langzeitpflege drei Prognoseszenarien erstellt:
- Im Szenario „Demografie“ wird auf eine erhöhte Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen aufgrund einer älter werdenden Bevölkerung eingegangen. Die Spitalsnutzung der über 65-Jährigen wird in Österreich zwischen 2022 und 2030 beispielsweise um knapp 23 Prozent steigen. Die Anzahl der gepflegten und betreuten Personen wird um ein knappes Viertel zunehmen.
- Auf eine höhere Anzahl an Extremwetterereignissen wird im Szenario „klimabedingte Veränderungen“ eingegangen. Mehr Hitzetage führen zu einer steigenden Mortalität, die vorgelagert wiederum zusätzlich benötigte Gesundheitsleistungen mit sich bringt.
- Die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich stehen außerdem unter hohem Druck. Es braucht deshalb nicht nur zusätzliches Personal zur Bedienung der steigenden Nachfrage, sondern auch, um die Arbeitsbelastung zu senken. Im Szenario „Arbeitsentlastung“ werden deshalb 20 Prozent zusätzliches Personal gerechnet.
In jedem Szenario werden Personalbedarfe und Kosten, aber auch der Nutzen im Zeitraum von 2022 bis 2030 erhoben. Die Szenarien bauen aufeinander auf. Im Szenario „Arbeitsentlastung“ sind demnach die Mehrbedarfe an zusätzlichem Personal durch demografische und klimabedingte Veränderungen bereits enthalten.
Großer Wirtschafts- und Jobimpuls durch den Gesundheits- und Pflegebereich
Die demografischen Entwicklungen verlangen laut Studie österreichweit rund 25.500 zusätzliche Vollzeitäquivalente im Gesundheits- und Pflegebereich. Werden auch klimabedingte Veränderungen mit ins Bild genommen, steigt der Personalbedarf auf ca. 55.160. In diesen zwei Szenarien arbeiten Beschäftigte mit gleich hoher Arbeitsbelastung weiter wie 2022. Wenn sie zusätzlich durch 20 Prozent mehr Personal entlastet werden, sind im Jahr 2030 rund 77.400 zusätzliche Personaleinheiten nötig. Insgesamt gäbe es dann 253.000 Beschäftigte – gemessen in Vollzeitäquivalenten – im Gesundheits- und Pflegebereich.
Auf der einen Seite entstehen durch die Finanzierung dieser Arbeitsplätze Kosten. Auf der anderen Seite dürfen aber die positiven Effekte dieser Ausgaben nicht aus dem Blick gelassen werden. Durch die Finanzierung dieser rund 253.500 Arbeitsplätze werden weitere 289.300 Arbeitsplätze außerhalb des Gesundheits- und Pflegebereichs geschaffen oder gesichert. Erklärbar ist dieser Effekt über wirtschaftliche Verflechtungen und Effekte aus der Nachfrage. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich geben ihr Einkommen in anderen Branchen aus. Durch diese Nachfrage werden auch in der restlichen Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Die angesprochenen Zahlen verdeutlichen, wie wichtig und groß die Effekte von öffentlichen Investitionen bzw. Ausgaben im Sozialstaat sind.
Nutzen übersteigt Kosten
„Nutzen“ kann unterschiedlich betrachtet werden. In der vorliegenden Studie wird dieser anhand von Steuern und Abgaben, die wieder retour zur öffentlichen Hand gelangen, und über – aufgrund wirtschaftlicher Verflechtungen entstehende – Nachfrageeffekte gemessen. Wenn Beschäftigte ihr Einkommen ausgeben, entsteht Wertschöpfung auch in Bereichen außerhalb des Gesundheits- und Pflegebereichs.
Im Szenario „Arbeitsentlastung“ liegen die Gesamtkosten, die den Personal- und Sachaufwand beinhalten, bei ungefähr 40,6 Milliarden Euro. Dadurch werden – neben dem Sachaufwand – die vorher beschriebenen 253.500 Arbeitsplätze im Gesundheits- und Pflegebereich finanziert. Über 19 Milliarden Euro fließen über Lohn- und Mehrwertsteuer oder Sozialversicherungsbeiträge und andere Steuern und Abgaben wieder direkt zurück an die öffentliche Hand. Durch die Effekte aus der gestiegenen Nachfrage entsteht ein zusätzlicher „Nutzen“ von knapp 29 Milliarden Euro. Insgesamt liegt der Nutzen also bei über 48 Milliarden Euro und übersteigt die Gesamtkosten klar. Ausgaben rentieren sich daher. Es kommt mehr in Form von „Nutzen“ zurück, als zuvor unter dem Label „Kosten“ ausgegeben wurde.
Eine Frage des politischen Willens
Die Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegebereich werden größer. Nicht nur aufgrund der demografischen Veränderungen werden Mehrausgaben unabdingbar. Finanzierungsdebatten werden oft zu einseitig mit bloßem Verweis auf Ausgaben und Kosten geführt – häufig auch getragen von einer neoliberalen Logik, die Kürzungen und in deren Folge Privatisierungen als Mittel zur Schwächung des Sozialstaats versteht. Dabei sind Kosten und Nutzen zwei Seiten einer Medaille, wobei der Nutzen im Gesundheits- und Pflegebereich die Kosten deutlich übersteigt.
Dass die Kosten im Gesundheits- und Pflegebereich steigen, liegt nicht nur am demografischen Effekt oder an immer besser – aber auch teurer – werdenden Behandlungsmethoden. Ein Grund liegt schlicht darin, dass dieser Bereich wenig rationalisiert werden kann. Im Vergleich zur Industrieproduktion lässt sich die Arbeit an pflegebedürftigen und kranken Menschen nur sehr bedingt automatisieren. Es ist deshalb logisch, dass auch in Zukunft ein größerer Teil der Wirtschaftsleistung für Gesundheit und Pflege aufgewandt werden muss. Die Frage ist dabei nicht, ob wir uns dies als Gesellschaft leisten können, sondern ob wir uns dies politisch leisten wollen. Gerade jetzt, in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten steigender Arbeitslosigkeit, wären diese ohnehin notwendigen Investitionen in konjunkturunabhängige Jobs – wie sie im Gesundheits- und Pflegebereich zu finden sind – dringend erforderlich.