Pluralismus und Korporatismus oder „Vielfalt versus Begrenzte Anzahl“

22. Juni 2018

Die Angriffe auf Sozialpartnerschaft, Selbstverwaltung und die gesetzliche Mitgliedschaft werden als Befreiung von Zwang, als mehr Demokratie und als mehr Vielfalt in der Interessenspolitik verkauft. Dabei geht es in Wahrheit nur um die Durchsetzung einzelner, elitärer Interessen. Denn gerade die begrenzte Anzahl von Verbänden ist der Garant für eine plurale Demokratie.

Pluralismus und Korporatismus

In Demokratien gibt es unterschiedliche Formen, wie Interessen durchgesetzt und ausgeglichen werden können. In der Sozialpartnerschaft sind den stark unterschiedlichen Interessensgruppen Kapital und Arbeit wenige starke und selbstverwaltete Verbände zugeordnet. Sie bemühen sich um einen Ausgleich durch Kooperation und Konsensfindung. Dieses System wird auch als (Austro-)Korporatismus bezeichnet („Begrenzte Anzahl“).

Demgegenüber steht der Ansatz einer vielfältigeren (pluraleren) Form der Einflussbeziehungen zwischen Staat und Verbänden. Die BefürworterInnen des Pluralismus versprechen sich eine transparentere, effizientere, demokratischere und freiere Form der Interessenspolitik und somit eine offenere und modernere Gesellschaft („Vielfalt“).

Pluralistische Interessensdurchsetzung

Diese Forderungen einer pluraleren Interessensdurchsetzung entspringen einer ökonomischen Auslegung des Liberalismus: Die Gesellschaft besteht demnach aus freien Individuen, die alle die gleichen Chancen in der Gesellschaft und auf dem Markt vorfinden. Freiwillige Zusammenschlüsse und Lobbyverbänden sollen in einem Wettstreit der Ideen gegeneinander antreten. Das klingt im ersten Moment ganz klug und fair. Hierbei wird aber völlig verkannt, dass nicht jedes Individuum und jede Gruppe dieselben Möglichkeiten vorfindet, ihre Interessen zu organisieren und zu vertreten. Das hat viele Gründe, die von der Bildung über das gesellschaftliche Umfeld bis hin zu den materiellen Möglichkeiten reichen.

Demokratische Vielfalt statt Kapitalinteressen

Daher muss ein demokratisches politisches System Mechanismen ausbilden, die Minderheiten und schwächere sowie benachteiligte Gruppen organisiert und auf Augenhöhe mit den Starken und Privilegierten bringt. Die Geschichte des Kapitalismus zeigt deutlich, dass das „Kapital“ seine politischen Interessen und Zugänge zur Macht immer besser verwirklichen konnte als die ArbeitnehmerInnen. Erst durch harte Kämpfe und gesetzliche Rahmenbedingungen wurde dieses Ungleichgewicht etwas ausgeglichen. Korporatistisch organisierte Interessensdurchsetzung schafft nun genau diese Rahmenbedingungen, in dem sie zentrale Gruppen der Gesellschaft zusammenfasst und privilegiert.

Abschaffung der Sozialpartnerschaft

Parteien und politische Gruppen, die eine „vielfältige“ Interessensdurchsetzung, mehr Mitbestimmung und mehr Demokratie fordern, geht es aber in Wahrheit um etwas ganz anderes:

Sie wollen die alleinige Interessensdurchsetzung jener, die sich durch Geld, Stand und Bildung vom Großteil der Gesellschaft unterscheiden. Sie wünschen sich daher ein Ende der Sozialpartnerschaft, ein Ende der Selbstverwaltung und Mitbestimmung und die Abschaffung der gesetzlichen Mitgliedschaften in den Kammern. Denn dann ist ein Ausgleich der Interessen nicht mehr möglich – die Interessen des Kapitals setzen sich durch.

Begrenzte Anzahl statt Vielfalt

Demokratische politische Systeme zeichnen sich durch Gleichheit aller BürgerInnen und die Freiheit der Einzelnen aus. Vielfalt ist dabei eine wichtige Grundbedingung. Doch die propagierte pluralistische Vielfalt der KämpferInnen gegen die Sozialpartnerschaft entspricht diesem Ideal deutlich weniger als die begrenzte Anzahl von organisierten Interessen. Die begrenzte Anzahl privilegierter Verbände ist daher einer pluralen Vielfalt von Interessensgruppen (Lobbyismus) vorzuziehen, denn:

  • im Korporatismus steht die Steuerung des gesellschaftlichen Gemeinwohls im Vordergrund und nicht finanzkräftige Einzelinteressen,
  • der Korporatismus schafft ein stabiles politisches Gleichgewicht unterschiedlicher Interessensgruppen,
  • mit dem Korporatismus lässt sich der Neoliberalismus nicht aufhalten, aber doch deutlich beeinflussen, abschwächen und filtern,
  • der Korporatismus zeichnet sich durch seine gute Performance in ökonomischen Krisen und bei der Abfederung der gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen aus,
  • im Korporatismus finden die in der Geschichte immer benachteiligten Interessen der ArbeitnehmerInnen eine außergewöhnliche Stellung der politischen Einflussnahme und Vormachtstellung vor, die ein Verhandeln mit dem Kapitel auf Augenhöhe möglich macht.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des Textes „Begrenzte Anzahl vs. Vielfalt
Zwischen Korporatismus und Pluralismus in der politischen Interessensvermittlung in Österreich“ erschienen im WISO 01/2018.