Zukunft der Arbeit: Maschine als Boss?

10. November 2025

Wenn in den letzten Jahren über künstliche Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz gesprochen wurde, dachten viele zuerst an Chatbots, automatisierte Prozesse oder Roboter in der Fabrikhalle. Nun aber rückt ein anderes Thema in den Mittelpunkt: Eine neue Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) zeigt, KI übernimmt zunehmend die Organisation von Arbeit. Wer, wann, wo, was … die Maschine gibt immer öfter den Takt vor. Das nennt sich algorithmisches Management: KI-gestützte Software übernimmt die Aufgabenverteilung in der Belegschaft, überwacht und bewertet die erbrachte Leistung. Die Analyse der Studie liefert zugleich die inhaltliche Grundlage für die Empfehlung des Beschäftigungsausschusses (EMPL), über eine europäische Richtlinie zum algorithmischen Management nachzudenken. KI braucht insbesondere auch am Arbeitsplatz eine Regulierung.

Aktuelle Entwicklungen

Laut der Studie geben EU-weit bereits rund 42 Prozent der Beschäftigten an, von algorithmischen Managementsystemen betroffen zu sein. Mittelfristig könnte dieser Anteil auf über 55 Prozent steigen. Die tatsächliche Verbreitung lässt sich allerdings nur schwer exakt messen, da verschiedene Erhebungen unterschiedliche Definitionen und Befragungsansätze verwenden.

Auffällig ist zudem, dass Beschäftigte in Betrieben mit Arbeitnehmer:innenvertretung überdurchschnittlich häufig betroffen sind – in Österreich, Finnland und Frankreich sogar besonders stark. Dieses Muster verweist darauf, dass algorithmisches Management nicht nur in prekären Arbeitsverhältnissen, sondern auch in formal regulierten Strukturen Fuß gefasst hat. Dadurch entstehen neue Herausforderungen für Mitbestimmung.

Diese Systeme sind längst nicht mehr auf Plattformarbeit oder Lieferdienste beschränkt. Sie finden sich in Lagerhäusern, Krankenhäusern, Telekommunikationsbetrieben, großen Dienstleistungsunternehmen und der Industrie. Mit anderen Worten: Auch im „normalen“ Betrieb steuern zunehmend Algorithmen den Arbeitstag.


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Die Funktionsweise ist bekannt: Aufgaben werden automatisch verteilt, Leistung gemessen, Benchmarks gesetzt, Warnungen oder Hinweise verschickt, und all das fließt in weitere kontinuierliche Bewertungen ein. Was früher zwischenmenschlich verhandelt wurde, in Gesprächen mit Vorgesetzten, läuft heute zunehmend über Dashboards und Softwarelogiken. Es heißt weniger: „Sprechen Sie mit Ihrem Chef“; und öfter: „Das System zeigt, Sie haben 78 Prozent des Ziels erreicht.“

Warum das wichtig ist

Es geht hier nicht nur um Jobverlust durch Automatisierung, obwohl das Thema bleibt. Entscheidend sind drei weitere Entwicklungen:

  • Steigender Arbeitsdruck: Die Systeme erhöhen Tempo und Erwartungsdruck, reduzieren Pausen und verändern, was als „pünktlich“ oder „effizient“ gilt.
  • Fehlende Transparenz: Viele wissen nicht, wie die Bewertungen entstehen, welche Daten genutzt werden oder wie sie fehlerhafte Ergebnisse anfechten können.
  • Lücken in der Regulierung: Es gibt rechtliche Schutzinstrumente, etwa im Datenschutz oder Arbeitsschutz, doch sie greifen oft nur punktuell. Individuelle Rechte, wie der Zugang zu den eigenen Daten, führen selten zu kollektiver Mitbestimmung über die eingesetzten Systeme.

Was die neue Studie des EU-Parlaments zeigt

Die neue Studie des Europäischen Parlaments bestätigt, was wir auch in unseren eigenen Analysen zum algorithmischen Management im Außendienst und in mobilen Arbeitsumgebungen beobachten: Tools, die zunächst als Planungshilfe oder Optimierung gedacht waren, werden stillschweigend zu Überwachungsinstrumenten. Damit ist klar: Das ist kein Randphänomen, sondern ein struktureller Wandel in der Arbeitswelt.

Besonders relevant: Der Bericht zeigt, dass die europäische Politik inzwischen aufholt.
Die EU prüft, ob sie ein eigenes Rechtsinstrument für algorithmisches Management schaffen soll, zusätzlich zu bestehenden Gesetzen wie der Datenschutz-Grundverordnung oder dem AI Act. Damit rückt das Thema von der Forschungsebene auf die politische Agenda.

Was Mitbestimmungs-Akteure jetzt tun können

  • Transparenz einfordern: Welche Daten werden erhoben? Wie entstehen Bewertungen? Welche Algorithmen treffen Entscheidungen? Nur wer die Grundlagen kennt, kann mitreden.
  • Mitbestimmung stärken: Wenn neue Regeln kommen, braucht es vorbereitete Akteure. Betriebsräte und Gewerkschaften sollten sich technisches Wissen aneignen und die Systeme verstehen, bevor sie voll eingeführt werden.
  • Überwachung als Arbeitsfrage begreifen: Eine Routing-App, ein Wearable oder ein Tracking-System ist nicht nur ein Produktivitätstool, sondern Teil der Arbeitsbeziehung, mit Auswirkungen auf Autonomie und Gesundheit.
  • Cyber- und Datensicherheit einbeziehen: Manipulierbare oder unsichere Systeme können Beschäftigten direkt schaden – etwa wenn Leistungsdaten in falsche Hände geraten.
  • Kennzahlen nutzen: Die Studie bietet gute Anhaltspunkte für die Argumentation: 42 Prozent betroffen, 55 Prozent erwartet. Das verdeutlicht, dass algorithmisches Management kein Einzelfall, sondern ein europaweiter Trend ist.
  • Psychosoziale Risiken betonen: Dauerhafte Bewertung, Echtzeitdruck und Kontrollgefühl sind klassische Stressoren. Gewerkschaften können hier an bestehende Arbeitsschutzrahmen anknüpfen.

Fazit

Algorithmisches Management ist keine Zukunftsfrage mehr, sondern zunehmend Realität in den Betrieben. Es verändert, wie Führung und Kontrolle in der Arbeitswelt praktiziert werden: weg vom persönlichen Gespräch, hin zum Urteil des Systems. Für Beschäftigte und ihre Vertretungen bedeutet das: aktiv werden, bevor sich neue Machtasymmetrien verfestigen.

Die gute Nachricht: Die Politik hat das Problem erkannt. Auf EU-Ebene beginnt die Diskussion über neue Regeln und Schutzmechanismen. Jetzt kommt es darauf an, dass Gewerkschaften, Betriebsrät:innen und Beschäftigtenvertretungen diese Chance nutzen, um mitzubestimmen, wie KI und algorithmisches Management unsere Arbeit gestalten. Nicht das System sollte über die Menschen entscheiden, sondern die Menschen über das System.

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