Kraft­akt Ret­tungs­dienst: Arbeit­nehmer:­innen­schutz in Verzug

05. September 2025

„Verantwortungsvoll, aber auch physisch wie psychisch belastend“ – eine Kurzbeschreibung der Arbeit im Rettungsdienst, der niemand widersprechen wird. In Österreich finden Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer:innen aber nicht immer die Beachtung, die es bräuchte. International übliche Hilfsmittel wie elektrohydraulische Fahrtragen oder Tragstühle mit Raupenmodulen sind in österreichischen Rettungsfahrzeugen kaum zu finden. Völlig veraltete Konzepte werden aus reinen Kostengründen weiterhin verwendet und der Status Quo dadurch nicht nur sprich- sondern auch wortwörtlich auf dem Rücken der Mitarbeiter:innen aufrecht erhalten. 

Krankentransporte belasten den Bewegungsapparat massiv 

Zivildiener und in zunehmendem Maße Teilnehmer:innen des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) werden in ganz Österreich im Rettungsdienst und Krankentransport eingesetzt. Diese Gruppe an Beschäftigten ist zwar überwiegend sehr jung und gesund, aber auch sie „spüren“ die Belastungen des Alltags am eigenen Körper. Der Autor konnte in vielen Gesprächen über die Jahre feststellen, dass auch bei diesen Personengruppen die Tätigkeiten zu Schmerzen oder gesundheitlichen Problemen im Bereich des Bewegungsapparates führen. Die Frage, ob das denn wirklich unausweichlich ist und tatsächlich so sein muss, dass sogar junge Menschen nach wenigen Monaten im Rettungsdienst das erste Mal in ihrem Leben „Rückenschmerzen“ haben, stellt sich aber niemand. Es ist vielmehr sogar bekannt, wird aber trotzdem oft als unausweichliche und vor allem unabwendbare Tatsache hingenommen. 

Rechtliche Basis: ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 

Mit dem EU-Beitritt 1995 musste Österreich viele neue Gesetze aufgrund von EU-Richtlinien einführen, so auch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz. Im Gesetz finden sich klare Verpflichtungen von Arbeitgeber:innen zur regelmäßigen Evaluierung von Gefahren für die Gesundheit sowie die Implementierung und die regelmäßige Anpassung von Maßnahmen, um festgestellten Gefahren zu begegnen. Maßnahmen müssen dem sogenannten „STOP“-Prinzip folgend geplant und umgesetzt werden, wobei zwar alle Möglichkeiten wichtig sind, die Reihung allerdings auch eine Wichtung vorgibt. So sind beispielsweise technische Maßnahmen, wenn sie verfügbar sind, klar personenbezogenen Maßnahmen vorzuziehen. („Grundsätze der Gefahrenverhütung“ S1f, ASchG §4, §7

„STOP“-Prinzip: 

  • Substitution – Ersatz bzw. Beseitigung einer Gefahr (im Rahmen des Rettungsdienstes und Krankentransportes fast nicht möglich, da z. B. die Patienten transportiert bzw. gerettet werden müssen) 
  • Technik – Treffen von technischen Maßnahmen zum Schutz vor Gefahren (z. B. elektrohydraulische Fahrtragen statt manuellen Tragen) 
  • Organisation – Organisatorische Maßnahmen wären z. B. nur Mitarbeiter:innen zusammen einzusetzen, welche eine ähnliche Körpergröße (reduziert Belastung beim Tragen eines Tragstuhles) oder eine entsprechende körperliche Konstitution aufweisen. 
  • Personenbezogene – Hierzu zählen z. B. Schulungen und Unterweisungen zum richtigen Heben und Tragen, Trainings zum rückenschonenden Arbeiten, theoretische und praktische Unterweisung in Techniken und Umgang mit Arbeitsmitteln. 

Die Handhabung von Lasten unterliegt im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz  einem eigenen Paragraphen, basierend auf der EU-Richtlinie zu Sicherheit am Arbeitsplatz – manuelle Handhabung von Lasten: „[…] Die Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, daß es bei den Arbeitnehmern nicht zu einer Gefährdung des Bewegungs- und Stützapparates kommt oder daß solche Gefährdungen gering gehalten werden, indem sie unter Berücksichtigung der Merkmale der Arbeitsumgebung und der Erfordernisse der Aufgabe geeignete Maßnahmen treffen.“ 

Es mag in diesem Zusammenhang eventuell despektierlich erscheinen, das Transportieren und Retten von hilfsbedürftigen oder erkrankten Menschen als „manuelle Handhabung von Lasten“ zu beschreiben, der Effekt wenn zwei Sanitäter:innen einen Menschen mit einem Tragstuhl über mehrere Stockwerke tragen oder eine Rettungsliege vom Boden anheben und in ein Fahrzeug einladen, lässt sich aber im Sinne des Gesetzes nur als eine solche Tätigkeit einstufen. 

Arbeitsplatzevaluierung auf Basis von Individuellen Bewertungsmethoden  

Für die Überwachung der Einhaltung von Schutzvorschriften für Arbeitnehmer:innen sind in Österreich die Arbeitsinspektionen zuständig. Auf der Webseite der österreichischen Arbeitsinspektionen finden sich umfassende Informationen und Hinweise was bei der Evaluierung von Belastungen bei manueller Lasthandhabung zu beachten ist. Insbesondere welche Möglichkeiten der möglichst objektiven Bewertung der Belastungen existieren und geeignet sind, um im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes angewendet zu werden. Da es in Österreich keine Durchführungsverordnung zum Heben und Tragen gibt, ist der Stand der Technik heranzuziehen. Hier werden u. a. die Leitmerkmalmethoden der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) referenziert, welche auch in Deutschland für die Gefährdungsbeurteilung (deutsches Synonym für die österreichische Arbeitsplatzevaluierung) von physischen Gefahren durch Lasten am Arbeitsplatz  empfohlen und verwendet werden.  

Wissenschaft und Normen bilden neue Erkenntnisse ab 

Neben individuellen Bewertungsmethoden sind aber selbstverständlich auch andere Informationsquellen, wie z. B. wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen oder auch Normen, hochrelevant zur Wissensgewinnung und Einschätzung des Gefährdungspotentials sowie zur Festlegung und Umsetzung von empfohlenen Maßnahmen. Die europäische Norm zu „Rettungsdienstfahrzeuge und deren Ausrüstung“ führt im deutschen nationalen Vorwort in der aktuellsten Version seit 2020 aus: „In der Norm neu aufgeführt sind als Stand der Technik kraftunterstützte Beladesysteme, die ein ergonomisches Ein- und Ausladen von Patienten ermöglichen (siehe 4.3.6). Hiervon sollte nur im Ausnahmefall abgewichen werden, wenn dies dem Arbeitgeber auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung möglich ist.“ 

AUVAfit-Projekt zeigt die Belastungen auf 

Nach vielen intensiven Gesprächen, angetrieben vom Betriebsratsgremium und der Arbeitsinspektion, wurde 2024 ein AUVAfit-Projekt in Innsbruck angestoßen. Unter der Federführeng von Ergonomie-Expert:innen der AUVA mit Unterstützung des Betriebsrates, der betroffenen Arbeitnehmer:innen sowie des Arbeitgebers (Rotes Kreuz Tirol – Gemeinnützige Rettungsdienst GmbH) wurden die konkreten Belastungssituationen in Innsbruck stellvertretend für Tirol erhoben. Zielsetzung war eine repräsentative Abbildung der üblichen Arbeiten beim Rettungs- und Krankentransportdienst und der daraus resultierenden körperlichen Belastungen. Zusätzlich zu den Leitmerkmalmethoden wurden ausgewählte Teiltätigkeiten mit CAPTIV Motion Messungen analysiert. Aufbauend auf der abschließenden Beurteilung der einzelnen Tätigkeiten wurden zudem Empfehlungen erarbeitet und die ersten Maßnahmen mit der Arbeitsinspektion besprochen. Download des Berichtes: https://www.gesundearbeit.at/content/dam/gesundearbeit/downloads/Ergebnisse%20AUVAfit%20tiroler%20RettungsGmbH.pdf 

Rettungsdienst mit Arbeitnehmer:innenschutz 

Zusammenfassend lässt sich nur sagen: Die derzeitige Situation im Rettungsdienst muss sich zeitnah und tiefgreifend ändern. Die Ergebnisse des AUVAfit-Projektes belegen die massiven Belastungen beim Personentransport. In Tirol wurde der Handlungsbedarf bei der Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln erkannt, dennoch gibt es Fragen bezüglich der weiteren Umsetzungsschritte und insbesondere der Umsetzungsdauer. In Hinblick auf eine flächendeckende österreichweite Umsetzung von Verbesserungen ist jedoch festzustellen, dass noch keine Maßnahmenpläne existieren und daher massiver Handlungsbedarf besteht. 

Es ist nicht hinnehmbar, dass das System auf Kosten der Gesundheit der Mitarbeiter:innen aufrecht erhalten wird. Ein Umsetzungszeitraum von 5-10 Jahren (mit Blick auf die durchschnittliche Verwendung von Fahrzeugen von 5-7 Jahren) und mehr ist ebenso wenig zu akzeptieren und widerspricht ebenso wie der Status quo in eklatanter Weise den derzeitig gültigen Schutzgesetzen. Arbeitgeber:innen sind ebenso gefordert wie Auftraggeber:innen, den unwürdigen Zustand zeitnah zu beenden und nachhaltige Systeme und Mechanismen zu implementieren, welche auch in Zukunft das Einhalten der Gesetze überwachen und fördern. Konkret geht es etwa auch darum, bei Neuanschaffungen von Fahrzeugen auf eine Ausstattung mit elektrohydraulischen Tragen und elektrohydraulischen Tragstühlen zu achten sowie auf weitere Hilfen (Rollboards, Treppen-Gleittuch, keine Niederdachfahrzeuge etc.). Im Grunde geht es aber um eine vollinhaltliche Umsetzung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, denn gerade die Arbeit im Rettungswesen darf nicht krank machen. In Hinblick auf die demographische Entwicklung braucht es daher nachhaltige Investitionen in bessere und gesunde Arbeitsbedingungen. 

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